Fünf Ziffern, die aufregen: Dass Noten ab heuer bereits für Zweitklässler wieder Pflicht sind, wollen nicht alle widerspruchslos hinnehmen.

Foto: Regine Hendrich

Am Wiener Minoritenplatz könnte die Poststelle demnächst einiges zu tun bekommen – und zwar nicht weil der Bildungsminister so viele Urlaubsgrüße aus den im Westen eben beginnenden Semesterferien erhält. Es sind Vorarlberger Eltern, konkret jene aus der Volksschule Frastanz, die Heinz Faßmann (ÖVP) zusätzlich zu einem Protestschreiben gegen die Notenpflicht auch gleich das ungeliebte Halbjahreszeugnis ihres Nachwuchses ins Briefkuvert stecken. Sie wünschen sich die Rückkehr zur alternativen Leistungsbeurteilung – und zwar ausschließlich, nicht als Add-on zur Ziffernnote.

Einheitsnote "Gut"

Die Frastanzer Eltern sind mit ihrem Unmut nicht alleine. Bereits Mitte Jänner kündigte die Volksschule Lustenau-Kirchdorf an, auf die von der türkis-blauen Vorgängerregierung beschlossene verbindliche Ziffernnote für Zweitklässler mit einer einheitlichen Bewertung aller Schülerinnen und Schüler zu reagieren. Am Freitag sollten alle Drittklässler mit der Einheitsnote "Gut" beurteilt werden – jedenfalls in den reformpädagogischen Klassen der Schule. Acht dieser Klassen werden jahrgangsübergreifend geführt, das heißt, hier lernen Sechsjährige gemeinsam mit bis zu zehnjährigen Kindern. Für entsprechend systemwidrig hält man es, wenn einzelne Jahrgänge mittels Noten bewertet werden, während andere die – laut Schulangaben wesentlich aufwendigere – alternative Leistungsbewertung erhalten. Man habe über viele Jahre "eine ganz andere Kultur" des Lernens gelebt, stellte sich Direktor Christoph Wund hinter seine Lehrkräfte: "Sie sind meine Experten" – und weil ihnen der Verzicht auf Notengebung so ein großes Anliegen ist, unterstütze er die Aktion, sagte Wund im ORF-Radio Vorarlberg.

Weil das nicht ohne Konsequenzen bliebe – die Bildungsdirektion kündigte bereits eine externe Überprüfung der Noten samt möglichen disziplinarrechtlichen Konsequenzen an –, erklärte der Direktor jedoch: "Recht brechen kommt für uns nicht infrage." Der Schule gehe es um einen "Bewusstwerdungsprozess", soll heißen: "Wenn es nicht gleich eine Lösung gibt, kommt es vielleicht auf längere Sicht zu einer Änderung." Ob die Kombination aus Protestbrief und Zeugnisversendung auch für die Lustenauer eine Option ist? Das blieb offen.

Dabei stoßen die Widerständler mit ihrer Aktion selbst bei der Vorarlberger Schulbehörde auf Verständnis. Andreas Kappaurer, pädagogischer Leiter der Bildungsdirektion, befand im ORF-Radio: "Ich habe selbst Bauchweh dabei." Bei einem Vor-Ort-Besuch in Lustenau habe er "ein Stück weit mitgelitten". Denn an der Schule werde "hervorragende Arbeit" geleistet, die Lehrkräfte würden nicht aus Sturheit, sondern aus tiefer pädagogischer Überzeugung agieren. Nachsatz des Behördenvertreters: "Mir wäre der liebste Zustand die Autonomie."

Selbst der christlich-soziale Pflichtschulgewerkschafter Paul Kimberger appelliert an den Bildungsminister: "Ich kann ihm nur empfehlen, dass man hier eine Korrektur vornimmt." Nach Kimberger’scher Lesart sollte jedenfalls in den ersten beiden Schulstufen Wahlfreiheit herrschen.

Genau das schließt Faßmann bis dato allerdings kategorisch aus. Im ORF-Mittagsjournal erklärte er zuletzt, er sehe "keine unmittelbare Notwendigkeit", die Debatte über die Art der Beurteilung wieder aufzunehmen.

West wie Ost

Das Vorarlberger Aufbegehren sorgt auch anderorts für eine Belebung der Debatte. In Wien kündigt die Elterninitiative "Kinderköpfe", die mit ihrer Petition gegen Noten bereits knapp 6000 Unterschriften gesammelt hat, noch vor dem Sommer eine "Aktion des zivilen Ungehorsams" an: "Wir wollen uns vor dem Ministerium versammeln und die Zeugnisse mit Ziffernnoten symbolisch verbrennen", sagt Sprecherin Sabrina Dorn zum STANDARD.

Empörte Mütter und Väter gibt es auch an der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau. "Es wäre gut, wenn der Minister sich seines Grundberufes als Wissenschafter erinnert", findet die dortige Elternvereinsvorsitzende Elisabeth Fröhlich. Bei Experten ist die Aussagekraft von Noten nämlich durchaus umstritten. Mit anderen Eltern hat Fröhlich Unterschriften für eine parlamentarische Bürgerinitiative gesammelt. Um das Thema im Parlament zu behandeln, wurden 500 Unterschriften gebraucht, an die 2000 sind es geworden. Wunschszenario der Initiatoren: dass es – wie früher – der Schule überlassen bleibt, wie beurteilt wird.

Aktionen wie diese sind bei den Grünen gern gesehen. Bei den Koalitionsverhandlungen konnte man sich bei dem Thema bekanntlich nicht durchsetzen. Jetzt sagt Bildungssprecherin Sibylle Hamann, sie freue sich "über alle Initiativen, die wieder Bewegung in die Sache bringen". Die Vorarlberger können nicht mehr warten. Eine mögliche Lösung: Zeugnisse wie gesetzlich gefordert ausstellen, allerdings direkt im Kuvert an die Eltern statt in die Hände der Kinder. (Peter Mayr, Karin Riss, 7.2.2020)