Die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens mit den Stimmen der AfD hat in Deutschland für massive Proteste gesorgt.

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FDP-Chef Christian Lindner ist mit der Situation in Thüringen sichtlich unzufrieden. Seine Vertrauensabstimmung gewann er aber deutlich.

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Erfurt – Die politische Krise in Thüringen geht nach der von der AfD unterstützten Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten weiter. Zwar hat Kemmerich am Donnerstag, nur einen Tag nach seiner Wahl, seinen Rücktritt angekündigt. Allerdings stehen Neuwahlen, obwohl von den meisten Parteien im Landtag gefordert, trotzdem nicht unmittelbar vor der Tür – denn mehrere Parteien, vor allem aber die Landesfraktion der CDU, lehnen diese weiterhin ab.

Damit ist die Führung der CDU um Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Kanzlerin Angela Merkel im Machtkampf mit der Thüringer Landespartei vorerst gescheitert, deren Chef Mike Mohring sich gegen Neuwahlen stellt. Mohring war in der Nacht auf Freitag noch als Chef der Landespartei bestätigt worden – nur knapp zwölf Stunden später kündigte er dennoch seinen Rücktritt an. Später präzisierte er, er werde bis Mai schrittweise seine Funktion zurücklegen.

Lindner in der Bundes-FDP bestätigt

Bei der FDP gab es nach der Wahl ebenfalls Wirbel. Parteichef Christian Lindner, bisher wegen seiner Verdienste um die Rückkehr der Partei in den Bundestag unumstritten, musste sich erstmals ernsthafte Kritik seiner Gesinnungsgenossinnen und -genossen anhören. Konkret geht es dabei um den Vorwurf, er habe gemeinsam mit Kemmerich das Szenario, das sich am Mittwoch in Erfurt zutrug, geplant. Das weist er zurück. Lindner stellte am Freitag aus diesem Grund die Vertrauensfrage.

Wie am Nachmittag bekannt wurde, gewann er diese mit 33 Jastimmen gegenüber einer Neinstimme. Es gab zwei Enthaltungen. Er betonte danach, die FDP werde weiterhin für "eine klare Abgrenzung zur AfD" stehen. Bei den Rechtspopulisten handle es sich "um eine völkische Partei", das stehe den Werten der FDP entgegen. Es sei ein Fehler gewesen, dass Kemmerich sich habe aufstellen lassen, es sei auch ein Fehler gewesen, die Wahl anzunehmen. "Wir haben uns in der AfD geirrt", sagte Lindner, der für eine Neuwahl in Thüringen plädiert.

Ein Thema, das bei den Konservativen weiter für Ärger sorgt. Dort hatte Parteichefin Kramp-Karrenbauer der Haltung der Thüringer CDU, sie sei gegen eine Neuwahl, am Freitagvormittag noch einmal widersprochen: Sie erklärte, ein rascher Urnengang sei aus ihrer Sicht die beste Lösung. Allerdings nahm sie vor allem SPD, Linke und die Grünen in die Pflicht. Die drei Parteien forderte sie auf, einen neuen Kandidaten zur Wahl aufzustellen. Eine Person aus der Mitte könnte die CDU mittragen, das wäre ein möglicher Ausweg aus der Krise.

Gegen den Willen Merkels

Mit ihrer Haltung gegen Neuwahlen stellte sich die Thüringer CDU gegen die Wünsche von Kanzlerin Merkel, Parteichefin Kramp-Karrenbauer und Generalsekretär Paul Ziemiak, die alle für Neuwahlen plädiert hatten. Der stellvertretende CDU-Chef Armin Laschet äußerte sich hingegen am Freitagvormittag kritisch über Neuwahlen. Sein Argument: Es sei nicht gesagt, dass ein weiterer Urnengang nicht erneut die AfD stärke, deren Einfluss man durch Kemmerichs Rücktritt ja gerade zu begrenzen versucht habe.

Danach freilich sehen Umfragen derzeit nicht aus, sie sehen die Zustimmung für die AfD weitgehend unverändert. Sie legen aber trotzdem nahe, wieso die Konservativen nicht an Neuwahlen interessiert sind. Große Gewinnerin wäre nämlich die Linke, große Verliererin die CDU. Sie würde gemäß einer Forsa-Umfrage nur noch zwölf Prozent erzielen und damit fast zehn Prozentpunkte gegenüber dem Oktober verlieren. Weil die Linke zugleich mit einem Plus von sechs Punkten auf 37 Prozent käme, wäre auch eine rot-rot-grüne Koalition mit der SPD (neun Prozent, plus eins) und den Grünen (sieben Prozent, plus zwei) wieder möglich.

Instabile Verhältnisse

Schuld an den instabilen Verhältnissen ist das Patt im Landesparlament, das schon die Wahl eines Regierungschefs ohne die Stimmen der AfD, die bei der Landtagswahl im Oktober rund 23 Prozent erreicht hatte, lange Zeit unmöglich gemacht hatte.

Die Linke als stärkste Landtagsfraktion (31 Prozent) hätte gemeinsam mit den Grünen (fünf Prozent) zwar die nötigen Stimmen, um eine Auflösung des Parlaments zumindest zu beantragen. Die beiden Parteien wollen das aber erst tun, wenn Kemmerich auch die kommissarische Führung der Landesregierung abgibt und es zur Neuwahl des Ministerpräsidenten kommt. Die CDU (21 Prozent), die gemeinsam mit Kemmerichs FDP (fünf Prozent) fast ebenfalls auf die nötigen Stimmen käme, hat sich am Freitag auch gegen Neuwahlen gestellt. Parteichef Mohring plädiert für "eine Lösung im Landtag", diese liege "definitiv nicht in Neuwahlen".

Auch mit Linken keine Zusammenarbeit

Von ihrer Haltung, keine Wahl des bisherigen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ermöglichen zu wollen, um so die Krise zu lösen, rücken freilich weder CDU noch FDP ab: Man wolle beide Parteien "der politischen Ränder" nicht in Machtpositionen verhelfen – was wiederum selbst für Kritik sorgt. Das sei eine Gleichsetzung der Linken, die sich in den vergangenen Jahren mehrfach als demokratische Regierungspartei erwiesen habe, mit der AfD, die in Thüringen als besonders radikal gilt. Ihr Chef Björn Höcke ist Gründer des rechten Flügels der AfD, der den Namen "der Flügel" trägt. Er wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft. Höcke selbst darf nach einem Gerichtsurteil als "Faschist" bezeichnet werden, die Richter sahen dieses "Werturteil" als "nicht aus der Luft gegriffen" an. Höcke hatte Kemmerich nach dessen Wahl gratuliert und ihm die Hand geschüttelt. (Manuel Escher, 7.2.2020)