Dass Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP, rechts) als Beschuldigter geführt wird, ärgert Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP, links)

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Am 12. November platzt in der Casinos-Affäre eine Bombe: Ermittler führen im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Hausdurchsuchungen bei den Ex-Finanzministern Hartwig Löger und Josef Pröll sowie bei der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) – deren Vorstand aus der ÖVP stammt – und bei Casinos-Aufsichtsratspräsident und Raiffeisen-General Walter Rothensteiner durch. Die bislang tiefblaue Affäre, mitausgelöst durch das Ibiza-Video, erhält plötzlich ein türkis-blaues Muster. Wenige Tage später dringen Chats zwischen Löger und dem einstigen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) an die Öffentlichkeit: Letzterer bedankte sich bei Löger für die Bestellung von Parteifreund Peter Sidlo in den Casinos-Vorstand, Löger replizierte mit einem "Daumen hoch"-Emoji. Er selbst interpretierte das später öffentlich als ein "Lass mich in Ruhe". Die große Frage wurde plötzlich: Wie tief steckt die ÖVP in dem Sumpf aus angeblichem Gesetzeskauf, Postenschacher und Glücksspiellizenzen?

Auch als Podcast: Fabian Schmid und Renate Graber erklären, was Kurz mit seinem Angriff auf die Justiz bezweckt.

1. Ein Keil, der schon lange da war

Es ist nicht das erste Mal, dass die WKStA mit ihren Ermittlungen die Politik durcheinanderwirbelt. In der BVT-Affäre sorgte die Behörde Ende Februar 2018 für eine vielgescholtene Razzia beim Verfassungsschutz. Es folgte ein U-Ausschuss, in dessen Abschlussbericht von einem "Ermittlungsdruck" durch das damals blaue Innenministerium gesprochen wird. Das Verfahren gerät zum Desaster, bis heute sind keine Anklagen erhoben worden. Die WKStA zog sich schon damals den Zorn von Christian Pilnacek zu, der vor zehn Jahren unter Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) zum Leiter der Sektion Strafrecht im Ministerium ernannt worden war.

Pilnacek war erbost, weil die WKStA die Weisungskette nicht eingehalten und ihn über die bevorstehende Hausdurchsuchung im BVT und Gespräche mit dem Generalsekretär von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) nicht informiert hatte. Der Konflikt mit Pilnacek eskalierte später in einer Dienstbesprechung zur Causa Eurofighter. Diese wurden der WKStA von der Staatsanwaltschaft Wien übertragen. Die Korruptionsstaatsanwälte wollten nach jahrelangen Ermittlungen ihrer Kollegen eine komplett neue Strategie entwerfen, Pilnacek war strikt dagegen. Es müsse etwas weitergehen, und dafür könne man gewisse Verfahrensstränge auch "erschlagen", sagt Pilnacek. Dabei wurde er heimlich aufgenommen, später erschien ein Protokoll. Die WKStA zeigte Pilnacek wegen Amtsmissbrauchs an, er reagierte mit einer Gegenanzeige. Ermittlungen wurden dazu nicht aufgenommen, Justizminister Josef Moser (ÖVP) bestellte einen Mediator.

2. "System Pilnacek"

Die Vorgänge passen in das Bild, das Gegner vom ebenso streitbaren wie mächtigen Sektionschef zeichnen. Ihm wird unterstellt, Verfahren "verschwinden" zu lassen: Als "Black Box in der Sektion Pilnacek" bezeichnet das etwa Neos-Aufdeckerin Stephanie Krisper. Pilnacek hat das Recht dazu, Weisungen zu erteilen. Diese werden dann dokumentiert. Aber seine Kritiker behaupten, Pilnacek würde Verfahren subtiler beeinflussen. Da es offenbar im Justizministerium Tradition ist, einander gegenseitig heimlich aufzunehmen, gibt es auch dazu ein Tonband. Ausschnitte davon wurden verschriftlicht am Freitag auf Peter Pilz’ Online-Plattform ZackZack publiziert.

Pilz und Pilnacek verbindet übrigens seit Jahren eine gut gepflegte Feindschaft.In dem Tonband aus dem Jahr 2014 geht es um die Frage, ob Staatsanwälte eine Aussage Pilnaceks, einen Meinl-Banker nicht festzunehmen, als Weisung auffassen mussten oder ob die Staatsanwälte Pilnacek falsch verstanden haben. Die Leiterin der Staatsanwaltschaft Wien versuchte damals, zu vermitteln, sie sagt heute, dass sie die Causa in der Sache wie Pilnacek sah. Unbestritten ist jedoch die fachliche Kompetenz Pilnaceks – und dass dieser Staatsanwälte verärgert, weil er Verfahrensschritte anders beurteilt als sie.

3. Treffen mit Folgen

Die Ressentiments gegen Pilnacek wurden erst vor wenigen Tagen wiederbelebt: Da drang nach außen, dass der Sektionschef Ende Jänner zwei Beschuldigte in der Casinos-Affäre, Raiffeisen-General Walter Rothensteiner und Ex-ÖVP-Chef Josef Pröll, im Ministerium empfangen hatte – aus "Höflichkeit", wie Pilnacek danach erklärte. Alle Oppositionsparteien unterstellen hingegen in seltener Einigkeit, dass der Zweck wohl eher gewesen sei, die Ermittlungen in der Causa Casinos zu beeinflussen. Dass ausgerechnet zwei von drei Beschuldigten aus dem Dunstkreis der ÖVP bei Pilnacek auftauchten, macht den Sektionschef in den Augen von Kritikern zum Mitstreiter von Kanzler Sebastian Kurz.

4. Kurz’ Theorien über die WKStA

Dem Kanzler scheint die WKStA schon seit längerem ein Dorn im Auge zu sein. Die Staatsanwälte prüften zuletzt auch Ermittlungen gegen Milliardäre und Spender aus dem Umfeld der ÖVP.Mitte Jänner verbreitete Sebastian Kurz in einem vertraulichen Hintergrundgespräch vor rund vierzig Journalisten seine Sicht auf die Behörde: Dort gebe es viele "rote" Staatsanwälte, die parteipolitisch agierten und auch vertrauliche Aktenteile nach außen spielten. Die WKStA führe besonders häufig Verfahren gegen ÖVP und FPÖ. Das sollten sich die Journalisten doch einmal anschauen, sagte Kurz sinngemäß. Die meisten Anwesenden weisen dies heftig zurück, bei einem kommt die Anregung aber an: oe24.at-Chefredakteur Richard Schmitt twittert am Morgen danach: "Schon aufgefallen? Aus der WKStA oder der StA gehen immer nur Akten über ÖVPler und FPÖler an die Medien." Die WKStA wird jedenfalls zum Thema.

Dieses Wochenende folgte der Versuch, die parteipolitische Zugehörigkeit von Staatsanwälten zu "belegen": Kurier, Krone und Oe24.at veröffentlichen ein 23 Jahre altes Protokoll aus der Kanzlei des SPÖ-nahen Anwalts Gabriel Lansky. Dort soll im Jahr 1997 besprochen worden sein, wie man mehr "Rote" in die Justiz bringen könne. Angeblich auch dabei: Maria-Luise Nittel, Leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Wien. Allerdings hat Nittel das stets bestritten und schon 2011 eine Gegendarstellung im Kurier erwirkt, der die Behauptung zumindest Samstag früh dennoch wiederholte – was für den Kurier juristische Folgen haben könnte. Woher das 1997er-Papier stammt? "ÖVP-nahe Kreise" hätten es verteilt, schreibt Oe24.at-Chef Richard Schmitt. Sofort nach der Veröffentlichung werden die Artikel von türkisen Pressesprechern in sozialen Medien verbreitet. Freilich, ohne die Frage zu beantworten, wie sich in 20 Jahren blauer oder ÖVP-nominierter Justizminister (Ausnahme: Maria Berger (SPÖ), die ein Jahr lang das Amt führte) derartige "rote Netze" bilden hätten können.

Im Justizministerium streitet man jedenfalls zwar gern intern, auf externe Kritik reagiert man jedoch allergisch. So soll sich dem Vernehmen nach auch Pilnacek im Ministerium über die Vorwürfe des Kanzlers gegen die Staatsanwälte aufgeregt haben. Außerdem attestierte Pilnacek der WKStA zuletzt anerkennend, sie habe Kritikpunkte rasch abgearbeitet. (Fabian Schmid, 7.2.2020)