Thomas Kemmerich war mit Stimmen von FDP, CDU und AfD zum Ministerpräsident von Thüringen gewählt worden.

Erfurt – Nach dem politischen Fiasko in Thüringen ist Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Das teilte die FDP-Landtagsfraktion am Samstag in Erfurt mit. Sämtliche Bezüge aus dem Amt des Ministerpräsidenten und des geschäftsführenden Ministerpräsidenten werde er an die Staatskasse zurückgeben. Kemmerich war im dritten Wahlgang mit Stimmen von FDP, CDU und AfD gewählt worden, was in Deutschland einen Sturm der Empörung ausgelöst hatte.

Trotz der kurzen Amtszeit stünden ihm knapp 100.000 Euro zu, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Angekündigt hatte Kemmerich seinen Schritt bereits am Tag nach dem Eklat im Thüringer Landtag. Doch eingereicht hatte er das Rücktrittsschreiben erst am Samstag.

Neuwahl und keine Zusammenarbeit mit AfD

Die große Koalition in Berlin fordert indes bei einem Treffen im Bundeskanzleramt eine baldige Neuwahl in Thüringen. Nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses betonten CDU, CSU und SPD in Berlin, dass umgehend ein neuer Ministerpräsident im Landtag gewählt werden müsse – "aus Gründen der Legitimation der Politik", erklärten die Partner. Es gehe darum, schnell für stabile und klare Verhältnisse in Thüringen zu sorgen. Überdies einigten sie sich auf eine klare Absage jeder Zusammenarbeit mit der AfD auf "allen Ebenen".

Merkel entlässt Hirte

Kurz vor dem Treffen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Ostbeauftragten der Regierung, Christian Hirte, entlassen. Er war wegen eines Glückwunsch-Tweets für den mit AfD-Hilfe gewählten Ministerpräsidenten Kemmerich kritisiert worden.

Merkel hatte am Donnerstag die von CDU und AfD ermöglichte Wahl Kemmerichs als "unverzeihlich" verurteilt. Deshalb müsse "auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden", sagte die Kanzlerin während eines Besuchs im südafrikanischen Pretoria.

Politische Turbulenzen

Das Treffen des Koalitionsausschusses war kurz nach der überraschenden Wahl Kemmerichs zum neuen Thüringer Regierungschef am Mittwoch angesetzt worden. Die SPD fordert deswegen von der Union Klarheit zur Abgrenzung von der AfD. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte am Freitag, sie wolle von der SPD wissen, "wie sie die Verantwortung in Thüringen wahrnimmt". Kramp-Karrenbauer fordert von SPD und Grünen, einen neuen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt aufzustellen. Sie hatten bisher eine Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow (Linke) angestrebt.

In Unionskreisen hieß es, Kramp-Karrenbauer habe in einem Vieraugengespräch in Erfurt auch Thüringens CDU-Landeschef Mike Mohring den Rücktritt nahegelegt. Dies hatte sie in der Präsidiumssitzung der CDU am Freitag gesagt, wofür es nach Angaben von Teilnehmer weitgehenden Zuspruch gegeben habe. Mohring wird dafür verantwortlich gemacht, dass die CDU-Landtagsfraktion sich bei der Wahl des Ministerpräsidenten nicht wie ursprünglich vereinbart in allen drei Wahlgängen enthalten hatte. Damit habe sie mitzuverantworten, dass der FDP-Politiker mit den Stimmen der AfD ins Amt gehievt worden sei. Dies hatten sowohl Merkel als auch die CDU-Chefin scharf kritisiert.

Mehrheit für Grün-Rot-Rot im Bund

Die Causa Thüringen verhilft Grünen, SPD und Linkspartei einer Umfrage zufolge zu einer Mehrheit auf Bundesebene. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden die Grünen der am Samstag veröffentlichten Forsa-Umfrage für RTL/ntv zufolge auf 24 Prozent (plus eins) zulegen, die SPD auf 15 Prozent (plus zwei) und die Linken auf zehn (plus zwei). Die FDP rutschte dagegen um fünf Prozentpunkte auf fünf Prozent ab. Die AfD erhielte zwei Punkte weniger und käme auf neun Prozent. Die Union könnte unverändert mit 28 Prozent rechnen. Der Anteil für Kleinparteien stieg auf neun Prozent (plus zwei). (APA, red, 8.2.2020)