Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (links) soll Kanzler Sebastian Kurz (rechts) bei der "Aussprache" mit Justizvertretern unterstützen

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Dem Zufall überlassen Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine türkise ÖVP bekanntermaßen nichts – auch nicht, wenn es um die Justiz geht. Am Montag findet das Treffen im Kanzleramt statt – und unter dem Titel "Info-Update: Es braucht eine unabhängige und funktionierende Justiz" wurden bereits am Freitag alle Abgeordneten zum National- und Bundesrat, zum Europäischen Parlament und ÖVP-Klub und parlamentarische Mitarbeiter zum Thema gebrieft. Klubobmann August Wöginger und Generalsekretär Axel Melchior sorgten per Mail fürs argumentative Update.

Für die ÖVP sei klar, dass Hausdurchsuchungen wie beim BVT, die vom Oberlandesgericht Wien für rechtswidrig erklärt worden seien, "nie wieder vorkommen dürfen", heißt es in dem Schreiben. "Genau so müssen wir sicherstellen, dass Verhaltensweisen beendet werden, die das Vertrauen in die Justiz beeinträchtigen und weiter gefährden wie der öffentlich ausgetragene Konflikt und Anzeigen zwischen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und den Oberbehörden", geben die beiden Funktionäre und Abgeordnete den türkisen Mailadressaten das gemeinsame Ziel vor.

Zum Nachhören: Wieso Kurz die Justiz angreift.

ÖVP schlägt Pflöcke ein

Weil eine unabhängige und funktionierende Justiz wesentlicher Bestandteil des demokratischen Rechtsstaats sei, habe der Kanzler Standesvertreter, Justizministerin Alma Zadić, Kanzleramtsministerin Caroline Edtstadler zu einem Runden Tisch geladen. Drei Punkte zählen Klubobmann und Generalsekretär auf, die besonders thematisiert werden sollen: Verfahrensdauer, Vertrauen in die Justiz und Unabhängigkeit und Objektvität.

Was die Verfahrensdauer betrifft, sucht die ÖVP dem Schreiben gemäß nach Maßnahmen, "damit Schuldige schneller bestraft werden und Unschuldigen nicht zu lange Unrechtes vorgeworden wird, wodurch diese massive Nachteile, insbesondere in ihrem Berufsleben in Kauf nehmen müssen". Mag sein, dass dabei an die Causa Postenschacher in den Casinos Austria gedacht wurde, in der u.a. auch Exfinanzminister Hartwig Löger (ÖVP) als Beschuldigter geführt wird. Zur Klarstellung: Für alle in dem Zusammenhang hier Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

"Vertrauen leidet"

Das Vertrauen in die Justiz, die durch die jüngst veröffentlichten kritischen Aussagen von Kurz in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten ins Gerede gekommen ist, wollen die Türkisen "nicht weiter leiden" lassen. Wie sie das Leiden beenden wollen: Es gelte "die anscheinend gravierenden Unstimmigkeiten, Anschuldigungen, Anzeigen … zwischen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und den Oberbehörden endgültig zu lösen". Damit dürfte wohl der Streit zwischen WKStA und Strafsektionschef Christian Pilnacek rund um den Umgang mit der Causa Eurofighter gemeint sein, der inzwischen mit Mediation beendet wurde.

Ob beim "runden Tisch" (ÖVP; die grüne Justizministerin spricht lieber von einer "Aussprache"; selbige haben die Standesvertreter nach Bekanntwerden von Kurz‘ Kritik an der WKStA verlangt) Thema sein wird, dass Pilnacek jüngst die in der Causa Casinos Beschuldigten Raiffeisenmanager Walter Rothensteiner und Josef Pröll persönlich empfangen hat, geht aus dem türkisen Argumentarium nicht hervor. In der Justiz hält man dieses Treffen für untragbar, die Justizministerin hat eine Weisung erteilt, auf dass Derartiges nicht mehr vorkomme.

Sensible Bereiche

Die Message zum Thema Unabhängigkeit und Objektivität lautet so: Laut ÖVP gibt es "eine lange Tradition und gelebte Praxis von parteipolitischen Besetzungen in Teilen der Justiz". Gerade "im sensiblen Bereich der Korruptionsstaatsanwaltschaft" müsse sichergestellt werden, dass "dies nicht stattfindet", informieren Wöginger und Melchior ihre Parteifreunde über die Stoßrichtung der neuen ÖVP. Was sie in dem Schreiben freilich auch einräumen: Es brauche eine "entsprechende finanzielle Ausstattung der Justiz". Die nötigen Mittel hatte Übergangsjustizminister Clemens Jabloner mit mehr als 90 Millionen Euro beziffert.

Schwarz sehen die Türkisen nicht, was die Justiz betrifft, die ausgegebene Parole lautet so: Als neue Volkspartei sei man überzeugt, dass "eine sachliche und faktenbasierte Debatte ohne Tabus zu einer Stärkung und verbesserten Objektivität" der Arbeit der Justiz führen werde.

Edtstadlers WKStA-Expertise

Offen ist, ob beim Thema Postenbesetzungen auch Kanzleramtsministerin Edtstadler über ihre Erfahrungen berichten wird. Sie war ab 2008 Richterin am Landesgericht Salzburg, wurde als solche dem Justizministerium dienstzugeteilt, wo sie zunächst bei Pilnacek als Referentin in der Legistik-Sektion und ab 2014 als Referentin im Kabinett von Minister Wolfgang Brandstetter (er war von Ende 2013 bis Ende 2017 Minister) tätig war. Als derart Dienstzugeteilte verdiente sie im Ministerium weiterhin so viel wie als Richterin. Bis 2015.

Im Jänner 2015 wurde Edtstadler dann aber bei der WKStA auf den Posten einer Oberstaatsanwältin ernannt, mit der entsprechenden Gehaltsaufbesserung. Edtstadler hat freilich nie in der Behörde gearbeitet, das war auch nicht beabsichtigt, sie blieb weiterhin dem Ministerium zugeteilt. Bei der WKStA ist sie somit in einer justizintern "Mascherlposten" genannten Position gelandet. Ein nicht unübliches Vorgehen, mit dem, flapsig gesagt, das festgeschriebene Beamten-Entlohnungsschema umgangen wird. Dienstzugeteilte Kabinettsmitarbeiter im Justizministerium können so zu Gehaltsaufbesserungen kommen.

Die Voraussetzungen für die Tätigkeit einer Oberstaatsanwältin in der WKStA hätte die heutige Ministerin eher nicht erfüllt: Sie müssen mindestens fünf Dienstjahre als Strafrichter oder Staatsanwälte vorweisen können, besondere Erfahrung in der Führung von Großverfahren und eine wirtschaftliche Zusatzausbildung absolviert haben.

Schwarze Farbenspiele

Politische Postenbesetzungen sind der ÖVP jedenfalls nicht fremd. Als es galt, die Leitung der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien neu zu besetzen – nach Werner Pleischl, der der Sozialdemokratie zuzurechnen war – waren auf dem Dreiervorschlag der Personalkommission drei Frauen zu finden. Erstgereihte war Ilse-Maria Vrabl-Sanda, Zweitgereihte Maria-Luise Nittel und Drittgereihte Eva Marek, die Frau von Günther Marek, eines der schwarzen Reichshälfte zuzurechnenden Gruppenleiters im Innenministerium mit besten Kontakten zur ÖVP Niederösterreich. Minister Brandstetter nahm eine Umreihung vor (Minister sind an die Reihung der Personalkommission nicht gebunden) und machte Marek zur Chefin der OStA. Vrabl-Sanda leitet inzwischen die WKStA, Nittel die StA Wien.

Nittel war am Samstag zum Ziel eines Angriffs ÖVP-naher Kreise geworden. Sie spielten Oe24.at, Kurier und Krone ein Papier aus dem Jahr 1997 zu, demzufolge Nittel an einer Sitzung "roter Juristen" beim Rechtsanwalt Gabriel Lansky teilgenommen hatte – was Nittel strikt bestreitet. Ziel war es, zu überlegen, wie die Sozialdemokratie sich in der Justiz vernetzen kann.

Jarolim verteidigt Vorgehen

Der langjährige Justizsprecher Hannes Jarolim rechtfertigte dieses Vorhaben in der ORF "Zeit im Bild 1" am Sonntag damit, dass die ÖVP davor dasselbe gemacht habe. Es sei eine "sehr durchgehenden Strategie" der Volkspartei, eigene Leute in der Justiz unterzubringen, sagte Jarolim. Dem wollte die SPÖ etwas entgegensetzen, um "eine Ausgeglichenheit in der Ausbildung zu bekommen". Der Kernsatz des Aktenvermerks: "Junge Genossinnen und Genossen" sollten motiviert werden, "in den Richterdienst zu gehen". Jarolim, selbst Rechtsanwalt, war laut dem Aktenvermerk bei dem Treffen dabei.

"Schockiert" zeigte sich in einer Aussendung die stellvertretende Generalsekretärin der ÖVP, Gaby Schwarz, über die Aussagen Jarolims in der ZIB. Er habe "angedeutet, dass es Plan gewesen sei, Genossinnen und Genossen in Justizposten unterzubringen. Sollte das zutreffen, wäre das eine inakzeptable Unterwanderung der Unabhängigkeit der Justiz", so Schwarz. Sie forderte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch auf, "ihr Schweigen zu brechen und sofort Klarheit in der Sache zu schaffen".

Nittel überlegt "Kurier" zu klagen

Das jetzt 23 Jahre alte Schreiben war schon 2011 lanciert worden, damals hatte der Kurier eine "Gegendarstellung" bringen müssen – denn Nittel bestreitet, bei dem Treffen dabei gewesen zu sein. Weil der "Kurier" diese Behauptung jetzt wiederholt hat – der Artikel wurde erst nach ein paar Stunden geändert – drohen ihm juristische Konsequenzen. Denn Nittel will sich mit ihrer Rechtsanwältin Maria Windhager, die auch den STANDARD vertrtitt, "beraten" – und gegebenenfalls gegen die neuerliche Falschmeldung vorgehen. (Renate Graber, Fabian Schmid, 9.2.2020)