Wien – FPÖ und SPÖ üben scharfe Kritik an den unfreiwillig publik gewordenen PR-Instruktionen beim Bundesheer unter Neo-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Der blaue Klubchef Herbert Kickl, einst als Innenminister wegen umstrittener medialer Vorgaben seines Ressorts für die Polizei unter Beschuss, vermisst einen "Aufschrei" wie in seiner Amtszeit. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wiederum verlangt von der Kanzlerpartei ÖVP, die "Orbanisierung Österreichs sofort einzustellen".

Vermisst Aufregung wie in seiner Amtszeit: FPÖ-Klubchef Herbert Kickl.
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Hintergrund: Dem STANDARD wurde eine Rede von Tanners Pressesprecher Herbert Kullnig zugespielt, die dieser bei der Kommandantentagung am 31. Jänner vor den Leitern der neun Militärkommanden sowie aller Brigaden gehalten hat, die dann mit 4. Februar per Mail an alle PR-Betrauten des Bundesheeres erging. Darin findet sich der Satz: "Wir müssen bei der Auswahl der Reporter sehr sorgsam sein und Sie, meine Herren, besser vorbereiten, Stichwort Medientraining, etc."

Anlass dafür war unter anderem ein ORF-Beitrag im Zuge der grenzüberschreitenden Luftraumüberwachung zum Schutz des Davoser Weltwirtschaftsforums, der Tanners Pressestab missfiel und im Transkript von Kullnigs Rede als ",manipuliert' verkürzt wiedergegeben" bezeichnet wurde. Daher lautet ein weiterer Befund des Medien-Mannes der Ministerin, der auch Leiter des Zentrums für Information und Wehrpolitik ist: "Medien oder dem Bundesheer nicht freundliche Organisationen" würden unbedachte Äußerungen "meist ausnutzen". Auch könne es passieren, dass "Angehörige des Bundesheeres gegenseitig ausgespielt werden".

Rot sieht nächsten Schritt Richtung Ungarn

Burgenlands roter Landeshauptmann Hans Peter Doskozil findet als Ex-Verteidigungsminister solche PR-Vorgaben "sehr skurril – vor was oder vor wem fürchtet man sich hier? Das ist nicht mein Verständnis von Transparenz." Auch Kullnigs ausgegebene Parole, dass man im Bundesheer "von der Linie wegkommen" müsse, "alles schlecht zu reden", ist für Doskozil befemdlich: "Den Versuch, jetzt zu suggerieren, dass die finanziellen Mittel für das Bundesheer ausreichen würden, kann ich nicht nachvollziehen. Der Eindruck der letzten Jahre verfestigt sich für mich – man dürfte kein großes Interesse daran haben, das Bundesheer mit den notwendigen Mittel auszustatten." Für die Sicherheit Österreichs sei das "ein fatales Signal".

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sieht sogar "einen nächsten Schritt zur Orbanisierung Österreichs: Erst gängelt ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz die Justiz, attackiert die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und schießt frontal den Verfassungsgerichtshof an – und jetzt wird auch noch ein Medienerlass im Verteidigungsressort bekannt." Angesichts Kullnigs Sätze, zu denen dieser auf Anfrage durchaus stand, fragt Deutsch: "Will Tanner nur mehr mit auserwählten Journalisten sprechen? Was meint das Verteidigungsressort mit ‚sehr sorgsam' bei der Auswahl von Reportern?"

Kritisiert fragwürdige Vorgaben unter der Kanzlerpartei ÖVP: SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch.
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Aus demokratiepolitischer Sicht sei der Versand einer solchen Rede im Bundesheer "ein äußerst bedenklicher Vorgang". Und Deutsch hält auch fest: Es sei ein "No-Go, die freie und unabhängige Berichterstattung zu beschneiden". Der SPÖ-Politiker fühlt sich "stark an Kickl, Orban & Co" erinnert und nimmt hierfür auch den Juniorpartner der ÖVP in die Pflicht: "Das Schweigen der Grünen zum anti-demokratischem Regierungsstil der ÖVP ist unerträglich – sie müssen endlich ihre Stimme wiederfinden und sich für demokratische Grundwerte starkmachen."

Kickl fühlt sich ungleich behandelt

FPÖ-Klubchef Kickl wiederum fühlt sich ungleich behandelt – mit einem Eintrag auf Facebook erinnert er an die Aufregung rund um die Informationspolitik unter ihm als Innenminister. Im September 2018 habe der Sprecher des Innenressorts, ohne sein Wissen wohlgemerkt, nach negativer Berichterstattung "gewisser Medien" empfohlen, die Zusammenarbeit mit diesen "auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerl, wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen". Explizit genannt und damit quasi auf die rote Liste gesetzt wurden damals DER STANDARD, "Kurier" und "Falter".

Kickl postet nun: "Februar 2020: Der "Standard" zitiert aus einem Redetext, der vom Pressesprecher der Verteidigungsministerin Tanner (ÖVP) an mehr als hundert mit Öffentlichkeitsarbeit befasste Personen verschickt wurde", und: "Es folgt… nichts. (...) Keine mahnenden Worte von Kanzler und Bundespräsident (...). Keine Parlamentsdebatte. Keine tagelange Titelseitenberichterstattung weder im In- noch im Ausland." Zudem greife kein anderes Medium den Bericht auf – "nicht einmal der ORF, dessen Bericht als ,manipuliert' bezeichnet wurde."

Immerhin sei die umstrittene Mail von Tanners persönlichem Pressemann versandt worden, gibt Kickl zu bedenken, und: "Der Sprecher ist gleichzeitig Gruppenleiter und damit zumindest einem großen Teil der Adressaten gegenüber weisungsbefugt." Sie müssen also gemäß seinen Empfehlungen handeln, so Kickl.

Fazit des FPÖ-Klubchefs: "Für den Bundespräsidenten, den Kanzler und alle anderen, die damals die Pressefreiheit in Gefahr sahen, dürfte es nur einen relevanten Unterschied geben: Frau Tanner ist bei der ÖVP, ich bin bei der FPÖ." (Nina Weißensteiner, 9.2.2020)