Umfragen vor der Wahl hatten ergeben, dass die nationalistische Oppositionspartei Sinn Fein stärkste Kraft werden könnte.

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Dublin – Nach der vorgezogenen Parlamentswahl in Irland zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Die Partei von Regierungschef Leo Varadkar, Fine Gael, lag mit 22,4 Prozent der Stimmen hauchdünn in Führung, wie am Samstagabend aus Nachwahlbefragungen hervorging. Die republikanische Sinn-Fein-Partei kam auf 22,3 Prozent, während die Oppositionspartei Fianna Fail 22,2 Prozent der Stimmen holte.

Die Auszählung der Stimmen beginnt erst am Sonntagmorgen und könnte wegen des komplizierten Wahlverfahrens mehrere Tage dauern. Der 41-jährige Varadkar hatte Mitte Jänner die vorgezogene Neuwahl angesetzt. Bei den Wahlen im Februar 2016 hatte seine konservative Fine Gael eine Mehrheit verfehlt. Seither war sie auf die Unterstützung der größten Oppositionspartei Fianna Fail angewiesen.

Brexit nur Nebensache

Der EU-Austritt Großbritanniens hat bei der Wahl so gut wie keine Rolle gespielt. Das ergab eine Nachwahlbefragung im Auftrag mehrerer irischer Medien. Nur ein Prozent der Wähler gab demnach an, der Brexit habe ihre Entscheidung beeinflusst, berichtete der irische Rundfunksender RTE am Sonntag. Die während des Brexit-Chaos in London herrschende Einigkeit zwischen den beiden rivalisierenden Parteien bröckelte zuletzt zusehends.

Die beiden Mitte-rechts-Parteien, die seit der Unabhängigkeit Irlands vor fast einem Jahrhundert fast immer abwechselnd die Regierung stellten oder zusammen regierten, liegen nun offenbar gleichauf mit der linksgerichteten Sinn Fein.

Die Sinn Fein strebt ein vereintes Irland an – mit dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland. "Die Leute haben uns im Wahlkampf die ganze Zeit gesagt, dass sie einen Wandel wollen", sagte Sinn-Fein-Parteichefin Mary Lou McDonald bei der Stimmabgabe in Dublin. Sie wirbt dafür, in den kommenden fünf Jahren ein Referendum über die irische Einheit abzuhalten. Vor allem bei jungen Wählern in den Städten kommt diese Forderung gut an.

Streitpunkt Nordirland

Die Nordirland-Frage war auch einer der Hauptstreitpunkte bei den Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel, da die Grenze zwischen Irland und Nordirland durch den Brexit de facto zu einer Landgrenze zwischen der EU und Großbritannien wurde. Das Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem der jahrzehntelange blutige Nordirland-Konflikt überwunden wurde, sieht allerdings eine offene Grenze vor.

Fine Gael und Fianna Fail haben eine Zusammenarbeit mit der Sinn Fein, dem einstigen politischen Flügel der irischen Untergrundarmee IRA, ausgeschlossen. Die Partei habe sich "nicht von ihrer blutigen Vergangenheit reingewaschen", sagte der Chef von Fianna Fail, Micheal Martin, am Vortag der Wahl.

Varadkar, seit fast drei Jahren der erste offen homosexuelle Regierungschef des einst streng katholischen Landes, steht für ein neues, modernes Irland. Der Sohn einer irischen Krankenschwester und eines indischen Arztes hatte im Wahlkampf seine starke Rolle in den Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel in den Mittelpunkt gestellt. Viele Wähler interessierten sich aber offenbar gar nicht für den Brexit, sondern vielmehr für Themen wie Wohnen und Gesundheit. (APA, 9.2.2020)