Nach der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) – auch mit den Stimmen der AfD – zum Thüringer Ministerpräsidenten fordern viele Demonstranten, hier in Jena, rasche Neuwahlen.

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Schadensbegrenzung – so lautet zurzeit das meistgebrauchte Wort im politischen Berlin. Gemeint ist natürlich die Lage in Thüringen, wo am Mittwoch nach der Wahl des Ministerpräsidenten ein so großes Chaos ausgebrochen war, dass davon auch die Parteien in Berlin erfasst und gewaltig durcheinandergeschüttelt wurden.

Völlig überraschend war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen von FDP, CDU und – erstmals in einem deutschen Landtag – auch der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Linken-Politiker Bodo Ramelow, der eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung anführen wollte, ging leer aus.

"Unverzeihlich" nannte Kanzlerin Angela Merkel die Wahl durch die AfD während ihres Besuchs in Südafrika. Kaum war sie am Wochenende zurück in Berlin, tagte auch schon der Koalitionsausschuss zur Causa prima.

Darauf gedrängt hatten die Sozialdemokraten: Sie wollten wissen, wie es die Union denn nun generell mit einer Zusammenarbeit mit der AfD halte. Nach dem Treffen war klar: Die große Koalition in Berlin macht weiter, es kommt nicht zum Bruch.

Dafür hatte Merkel auch etwas getan. Auf ihren Druck hin gab der Beauftragte der Regierung für die ostdeutschen Länder, Christian Hirte, sein Amt auf. Er hatte nach der Wahl Kemmerichs getwittert: "Deine Wahl als Kandidat der Mitte zeigt noch einmal, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben. Viel Erfolg für diese schwierige Aufgabe zum Wohle des Freistaats." Die SPD hatte daraufhin seinen Rücktritt gefordert.

Keine Kooperation mit AfD

Zudem wurde im Koalitionsausschuss von Union und SPD eine Vereinbarung unterzeichnet, in der es heißt: "Regierungsbildungen und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen wir aus. Das ist und bleibt die Beschlusslage der die Koalition tragenden Parteien für alle Ebenen." Auch damit war die SPD zufriedengestellt.

Dann äußerten die Berliner Koalitionäre noch ein paar Forderungen an die Thüringer Landespolitik: Es müsse umgehend ein neuer Ministerpräsident gewählt werden, es solle "aus Gründen der Legitimation der Politik" auch bald Neuwahlen geben.

Für beides machte Kemmerich dann den Weg frei. Er hatte seinen Rückzug am Tag nach der umstrittenen Wahl ja nur angekündigt, am Samstag aber teilte er mit: "Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Ministerpräsident des Freistaats Thüringen mit sofortiger Wirkung. Sämtliche aus dem Amt des MP und des geschäftsführenden Ministerpräsidenten entstehenden Bezüge werde ich an die Staatskasse zurückgeben."

Erst Wahl, dann Neuwahl

Bodo Ramelow, der in den vergangenen fünf Jahren Ministerpräsident war, ist bereit, erneut zur Wahl anzutreten, damit Thüringen rasch eine handlungsfähige Regierung bekommt. In einem weiteren Schritt könnte er die Vertrauensfrage stellen, diese verlieren, dann gäbe es Neuwahlen.

Doch wieder herrscht Sorge vor dem Wahlgang, den die Linke noch im Februar erwartet. Für die absolute Mehrheit sind im Thüringer Landtag 46 Stimmen nötig, Linke, SPD und Grüne verfügen gemeinsam aber nur über 42.

Die restlichen Stimmen könnten von der AfD kommen. Er empfehle den thüringischen Freunden, "Herrn Ramelow zu wählen", sagt der Chef der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland – nämlich um "ihn sicher zu verhindern". Denn wenn er Stimmen der AfD bekomme, dürfe Ramelow das Amt dann auch nicht annehmen.

Von Thüringen nach Ibiza

Die AfD-Fraktion in Thüringen will Ramelow nach derzeitiger Auskunft jedoch nicht wählen, die CDU ebenso nicht. Zweiteres fordert aber Thüringens Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow: "Wir müssen dokumentieren, dass er von Demokraten gewählt wurde." Dafür könnte die CDU öffentlich erklären, dass ein paar ihrer Abgeordneten für Ramelow votieren, ohne allerdings Namen zu nennen.

Eine neue Variante hat FDP-Chef Christian Lindner ins Spiel gebracht. Er spricht sich gegen Ramelow als Regierungschef aus, da er "in dieser extrem empfindlichen Situation" nicht geeignet sei, das Land zu beruhigen.

Besser wäre es, eine unabhängige Persönlichkeit für eine Übergangszeit zu wählen. Lindner verwies dabei auf Wien, wo nach dem Ende von Türkis-Blau die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Brigitte Bierlein, das Kanzleramt übernommen hatte. (Birgit Baumann aus Berlin, 10.2.2020)