Der koreanische Regisseur Bong Joon-ho konnte sein Glück kaum fassen: Vier Oscars wurden es für "Parasite" am Ende.

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Sogar einen wenig rühmlichen Österreichbezug gibt es beim diesjährigen Oscar-Gewinner: Für das Design des Hauses seiner Sozialsatire Parasite hat der koreanische Regisseur Bong Joon-ho nämlich das Anwesen der Fritzl-Familie studiert. Wer den Film gesehen hat, weiß, wie wichtig der Schauplatz ist: Der höchst vergnügliche Film erzählt von einer Familie am unteren Ende der Gesellschaft, die sich in die Villa einer sehr wohlhabenden einnistet. Parasite liefert Klassenkampf auf engem Raum und damit eine Gegenwartsparabel, die zugleich großes Unterhaltungskino ist. Ein Kino, wie es Hollywood wohl immer noch realisieren könnte, aber schon länger nicht mehr zulässt.

Auch als Podcast: Die historischen Gewinner und mächtigen Verlierer der Oscar-Verleihung 2020.

Lebhaft wurde im Vorfeld der Oscar-Verleihung über #OscarSoWhite, über den Mangel an Diversität bei den Oscar-Nominierungen diskutiert. Mit dem mehrfachen Triumph von Parasite gab es am Ende ein Ergebnis, mit dem sich die Tür in ein neues Zeitalter einen großen Spalt breit geöffnet hat: Bong Joon-ho, bereits beim Filmfestival von Cannes 2019 mit der Goldenen Palme prämiert, wurde gleich mit vier Oscars ausgezeichnet: Er wurde zum besten Film und zum besten internationalen Film gekürt, zudem gewann er den Regie-Oscar sowie jenen für das beste Originaldrehbuch. Eigentlich ironisch: Just in dem Jahr, wo man die Kategorie des besten fremdsprachigen Films in jene des besten internationalen umgetauft hat, schreibt Parasite mit einer Doppelauszeichnung Geschichte.

Die südkoreanische Gesellschaftssatire Parasite von Bong Joon-ho holte als erster nichtenglischsprachiger Film in der Geschichte den Oscar in der Königskategorie "Bester Film".
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"Irre" Veränderung

Man darf dies als klares Zeichen dafür werten, dass der wichtigste Preis des US-Films deutlicher denn je in der globalen Filmgemeinschaft angekommen ist. Die Academy erlebt damit einen beträchtlichen Modernisierungsschub, den sie nachhaltig nutzen sollte. Denn man darf nicht außer Acht lassen, dass es hinsichtlich der Diversität bei den rund 6000 Mitgliedern immer noch einigen Nachholbedarf gibt. In den letzten Jahren wurde der Anteil an Minderheiten zwar verdoppelt, er macht aber dennoch erst 16 Prozent aus. Mit Cynthia Erivo war dieses Jahr nur eine schwarze Darstellerin unter den 20 nominierten Schauspielern zu finden. Auch kein Darsteller aus dem asiatischen Cast von Parasite (wie etwa der großartige Song Kang-ho) war darunter.

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"Irre, wie sich die Oscars in den vergangenen 92 Jahren verändert haben: Damals gab es noch keine Nominierung für einen Schwarzen. Und heute gibt es eine", scherzten die Komiker Steve Martin und Chris Rock auf der Bühne.
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Die repräsentationspolitische Ebene wurde auf der Gala so auch wiederholt zum Thema gemacht. Die Soul-Funk-Star Janelle Monáe eröffnete den Abend mit einer Nummernrevue, in der einige die Kostüme aus Filmen trugen, die bei der Nominierung übergangen wurden. Sie übte auch Kritik daran, dass keine Frau für den Regie-Oscar nominiert war.

"Irre, wie sich die Oscars in den vergangenen 92 Jahren verändert haben: Damals gab es noch keine Nominierung für einen Schwarzen. Und heute gibt es eine", scherzten die Komiker Steve Martin und Chris Rock im Anschluss auf der Bühne. Es sei der Academy gelungen, alle anderen schwarzen Talente "hinter Cynthia Erivo zu verstecken" – ein Hinweis auf ihre Rolle als Fluchthelferin für Sklaven im historischen Filmdrama Harriett. Auch fehlende Geschlechterparität wurde in mehreren Dankesreden zum Thema, besonders eindringlich bei der Isländerin Hildur Guðnadóttir, die für die beste Filmmusik in Joker ausgezeichnet wurde und "alle Mädchen, Frauen, Mütter, Töchter, die die Musik in sich sprudeln fühlen", dazu aufrief, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen.

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Renée Zellweger erhielt die begehrte Trophäe als beste Hauptdarstellerin in "Judy".
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Interessante Ergebnisse brachte der Abend allerdings auch hinsichtlich des anhaltenden Ringens zwischen Streaming-Anbietern und klassischen Studios. Von den Netflix-Produktionen wurde nur der Dokumentarfilm American Factory und Noah Baumbachs Scheidungsdrama Marriage Story mit einem Oscar gewürdigt – Laura Dern wurde als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. Martin Scorseses Mafia-Epos The Irishman ging völlig leer aus, der italoamerikanische Regisseur musste sich damit trösten, dass er von Bong ausdrücklich als Vorbild gewürdigt wurde.

Laura Dern ("Marriage Story") wurde als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet.
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Netflix’ hohe Investitionen im Prestigefach haben sich damit zumindest dieses Jahr nicht bezahlt gemacht – innerhalb der Academy dürfte es noch einigen Widerstand geben, die kinounfreundliche Logik des Unternehmens zu unterstützen.

Nicht das gewünschte Ergebnis für den Favoriten

Auch für Sam Mendes’ Erster-Weltkrieg-Drama 1917, das punktgenau zur Oscar-Saison in den Kinos startete und bei den Buchmachern als Favorit gehandelt wurde, brachte der Abend nicht das erwünschte Ergebnis. Der Film musste sich mit Oscars für die beste Kamera (Roger Deakins) und für zwei weitere in technischen Kategorien begnügen.

In den Schauspielkategorien gab es dieses Jahr keine Überraschungen, die Favoriten machten das Rennen: Joaquin Phoenix wurde für seine Rolle als psychotischer Joker mit seinem ersten Oscar gewürdigt und sprach sich in seiner Dankesrede für den Mut zur Veränderung aus – vor allem innerhalb einer Branche, die sich allzu oft mit edlen Worten schmückt. Wie erwartet wurde auch Renée Zellweger für ihre Verkörperung von Judy Garland prämiert.

Wie prognostiziert holte sich Ausnahmedarsteller Joaquin Phoenix für seine Leistung in Todd Phillips' Psychoporträt "Joker" seinen ersten Oscar nach drei erfolglosen Nominierungen. Seine Rede nutzt er, um den Kampf gegen Ungerechtigkeit zu thematisieren.
Good Dot

Brad Pitt erhielt den Oscar für seinen Part als loyaler Stuntman in Quentin Tarantinos Once Upon a Time … in Hollywood. Beim coolsten Mann in der Traumfabrik flatterten ein wenig die Nerven – einer der "echten" Momente dieses Abends.

Pitt war der Einzige, der das Impeachment-Verfahren gegen Trump ansprach: Er habe 45 Sekunden – das sei mehr, als der Senat John Bolton zur Verfügung gestellt habe. "Vielleicht macht ja Quentin darüber einen Film." (Dominik Kamalzadeh, 10.2.2020)