Eisbären kommen bei der Nahrungssuche zunehmend in die Nähe des Menschen. Hier macht sich eine Gruppe der ansonsten einzelgängerischen Tiere über die Müllhalde des sibirischen Dorfes Beluschja Guba her.
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Moskau – Der Eisbär gilt als Ikone des Klimawandels. Kaum ein Lebewesen wird häufiger herangezogen, um die fatalen Folgen der globalen Erderwärmung insbesondere für die Arktis zu illustrieren. Und tatsächlich zählt das größte Landraubtier der Erde als Spitzenprädator des Nordens zu den Hauptbetroffenen. Wie bereits zahlreiche Studien belegen, ist Ursus maritimus, so der wissenschaftliche Name des Eisbären, in vielen seiner Verbreitungsgebiete kaum mehr in der Lage, seinen hohen Energiebedarf zu decken. Den Hauptanteil ihrer Beute liefern Robben, die sie auf dem Packeis jagen. Schwinden allerdings die Meereisflächen, sind die Bären dazu gezwungen, neue ungewohnte Nahrungsquellen zu erschließen. Dazu zählen mancherorts inzwischen auch Delfine.

Menschen als Beute

Bisweilen hat die prekäre Ernährungssituation auch gefährliche Konsequenzen für Menschen: In Spitzbergen, Grönland, den USA, Kanada und Sibirien treibt der Hunger die gewaltigen Räuber mit einer Schulterhöhe von bis zu 160 Zentimetern immer häufiger in die Städte. Vor einem Jahr beispielsweise kam es auf der sibirischen Arktis-Inselgruppe Nowaja Semlja zu einer regelrechten "Invasion" durch aggressive Eisbären. Dutzende Tiere seien in Häuser eingedrungen, es musste der Notstand ausgerufen werden. Zu Schaden kam glücklicherweise aber niemand. Da Eisbären Menschen grundsätzlich als Beute betrachten, sei es nach Ansicht von Experten nur mehr eine Frage der Zeit, bis es vermehrt zu tödlichen Konfrontation zwischen den Polarbären und den menschlichen Bewohnern der Arktis kommt.

Eisbären sehen in Menschen hauptsächlich Beute.
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Unklare Bestandszahlen

Auch ihr Liebesglück wird von den schmelzenden Meereisflächen zunehmend geschmälert: Damit die ansonsten einzelgängerisch lebenden Eisbären für die Fortpflanzung im Frühjahr zueinander finden, hinterlassen empfängnisbereite Weibchen Duftmarken auf dem Packeis. Da das Eis immer früher im Jahr aufbricht, werden die "Duftrouten" zerrissen und die Männchen finden nicht mehr zu ihren potenziellen Partnerinnen.

All diese Entwicklungen sowie Umweltverschmutzung und die verstärkte Förderung von Erdöl und Erdgas in den arktischen Regionen führen nach Meinung von Biologen dazu, dass die Eisbär-Populationen allmählich schrumpfen. Seit 2015 wird der Eisbär auf der Roten Liste des IUCN als gefährdete Art geführt. Wissenschafter des US Geological Survey prognostizierten, basierend auf moderaten Projektionen für den durch den Klimawandel verursachten Schwund des Sommereises, dass zwei Drittel der weltweiten Eisbären bis 2050 verschwinden könnten. Die Ergebnisse werden freilich in der Fachwelt diskutiert. Wie groß der heutige Gesamtbestand ist, lässt sich jedenfalls nur schwer einschätzen; man geht aktuell von 20.000 bis 30.000 Individuen aus. Den größten Anteil dürfte daran Kanada haben.

Nur in wenigen arktischen Regionen ist die Eisbärenwelt noch in Ordnung.
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Umfassendes Monitoring

Um die Lücken in den Bestandsdaten zu schließen, will Russland nun erstmals die Eisbären auf seinem Staatsgebiet zählen. Finanziert werden soll das Projekt von dem russischen Mineralölunternehmen Rosneft. Ziel des größten Monitorings der Geschichte sei es nach Angaben des Ministeriums für Naturschutz in Moskau, einen Überblick über die Lage der bedrohten Raubtiere zu bekommen und Bedingungen zu schaffen, damit sich ihre Population erholt.

Russland will nach Angaben des Ministeriums mit der Zählung in der Region Tschukotka im äußersten Nordosten Sibiriens beginnen. Geplant seien dann Zählungen vom Flugzeug aus in den Randmeeren des Nordpolarmeers und schließlich in der Barentssee und auf Franz-Josef-Land. Das Forschungsprojekt werde sich demnach bis 2023 hinziehen. (tberg, red, 10.2.2020)