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Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten. Der zuvor verbannte Feuerlord Ragnaros sammelt seine Kräfte, um Azeroth in Schutt und Asche zu legen. Eine Gruppe von 40 Abenteurern bestehend aus Trollen, Orcs, Untoten und Tauren dringt tief in den geschmolzenen Kern ein, verborgen in den Tiefen des Schwarzfels. Es liegt an ihnen, die drohende Gefahr zu beseitigen. Für diesen Tag haben sie sich monatelang vorbereitet: verrückte Beschwörer bezwungen, eine verseuchte Stadt befreit und sich mit der feindlichen Fraktion bekriegt, bis die Maximalstufe 60 erreicht war. Auf der langen Reise formten sich Freundschaften und Gemeinschaften.

Der Feuerlord Ragnaros.
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Das MMORPG – Kurzform von Massives-Mehrspieler-Online-Rollenspiel – World of Warcraft (WoW) erschien am 11. Februar 2005 in Europa und begeistert auch noch heute Millionen. Mit seinem benutzerfreundlichen Ansatz und der damals innovativen Bezahloption wurde es bis dato zum erfolgreichsten MMORPG. Anders als bei damaligen Genre-Konkurrenten bedeutete der Tod der Spielfigur nicht, dass man einen Teil seines Fortschritts verlor. 2005 war es zudem nicht üblich, ein Abonnement für ein Spiel einzurichten – die breite Masse war noch nicht dazu bereit. Blizzard Entertainment bot Prepaid-Karten an. Für 25 Euro bekam man 60 Tage Spielzeit. So waren für jeden die Tore geöffnet – ohne Bindung.

Im Jahr 2010, am Ende der zweiten Erweiterung Wrath of The Lich King, erreichte WoW seinen Zenit: zwölf Millionen aktive Abos. Das ist dem bekanntesten Antagonisten des Warcraft-Universums zu verdanken, dem namensgebenden Lichkönig, dem letzten Boss der Erweiterung. Seinen Werdegang erlebt man im dritten Teil der Echtzeitstrategiereihe Warcraft – oder heute Warcraft Reforged.

Fusion, die alles verändert

Im Juli 2008 wurde Activision-Blizzard gegründet, eine Fusion des Publishers Activision mit Blizzard Entertainment. Ab hier veränderte sich das Spiel maßgeblich. Benutzerfreundliche Features wurden eingeführt. Beispielsweise ein Tool, das per Knopfdruck eine zufällig zusammengestellte Dungeon-Gruppe formiert. Die Fünfergruppen formten sich so wortlos wie sie auseinandergingen. Der soziale Aspekt rückte immer weiter in den Hintergrund.

Jede der damals zehn spielbaren Charakterklassen verfügte über mehr als 60 verschiedene Talente, auf die der Spieler seine Talentpunkte frei verteilen konnte. So konnte sich ein Schamane entscheiden, ein paar Punkte in verbesserte Heilzauber zu investieren und den Rest in verstärkte Schadenszauber. Mists of Pandaria, WoWs vierte Erweiterung, brachte hier eine weitere Simplifizierung. Zur Auswahl standen nur noch 21 Talente, aus denen sieben gewählt werden konnten. Weniger Auswahl, mehr Auswirkung. Dieses System ist bis heute noch aktiv. Zuvor dagewesene Fähigkeiten wurden entfernt, da diese zu selten verwendet wurden.

Mit den Änderungen sind auch die zahlenden Kunden gegangen. Das neue Talentsystem nahm vielen den Reiz am Spiel. Die hervorragend gestalteten Schlachtzüge und Dungeons sind der Hauptgrund für den Verbleib vieler Kunden. Genre-Konkurrenten versuchten zu der Zeit mit neuer Grafik, innovativem Levelsystem und direkterem Storytelling zu punkten, scheiterten aber an der Gestaltung herausfordernder Schlachtzüge. WoW hat bis heute die anspruchsvollsten Dungeons.

"You guys don't know what you want": World of Warcraft Classic

Vanilla wird die Ursprungsform des MMORPGs genannt, die Zeit mit Stufe 60 als Maximum. Jede Erweiterung brachte fünf bis zehn weitere Stufen mit sich – aktuell sind es 120. Man konnte 15 Jahre lang ein und denselben Charakter aufwerten.

Nach so vielen Jahren kamen die ersten "Früher war alles besser"-Stimmen. Die Community verlangte nach der guten alten Zeit: Server, die nicht über Stufe 60 hinausgehen. So wurde bei einem Q&A auf der Blizzcon 2013, Activision Blizzards eigener Messe, nach Classic-Servern gefragt. Produktionsleiter J. Allen Brack antwortete: "Ihr wisst nicht, was ihr wollt." Ein riesiger Shitstorm war die Folge.

Produktionsleiter J. Allen Brack antwortet bei Q&A auf Classic-Server-Frage.
Brett the Behemoth

Am 27. August 2019 wurden die Fans dann doch erhört, die ersten Classic-Server gingen online. Der Ansturm war unerwartet groß, mit neun Stunden langen Warteschlangen auf beliebten Servern – tagelang. Die Ernüchterung kam für einige ein paar Monate später. 2005 war die Spielwelt noch mysteriös und unerforscht. Man wusste nicht, wie man seinen Charakter effizient spielt. 15 Jahre später weiß man, was einen erwartet. Programme können die effizientesten Spielweisen ausrechnen. Die Charakterklasse Magier verfügt über mehr als zehn verschiedene Schadenszauber, doch die effizienteste Spielweise besteht darin, nur einen davon zu verwenden – durchgehend. Dennoch ist die Classic-Community nicht zu verachten, die Abozahlen stiegen immens.

WoWs aktuellste Erweiterung Battle for Azeroth erschien am 14. August 2018. Die neu angekündigten Features klangen vielversprechend: nie zuvor erforschte Inseln, die bei jedem Besuch ein anderes Spielerlebnis mitbringen, Kriegsfronten gegen die andere Fraktion, bei denen Ressourcen gesammelt werden müssen, eine Hommage an die Echtzeitstrategiezeiten des Universums, Ausrüstungsgegenstände mit eigenen Talentbäumen, die man an jede Situation anpassen kann. Alles entpuppte sich als unausgereift und langweilig. Das Storytelling muss man dennoch an dieser Stelle loben. Die Videosequenzen der neuesten Erweiterung sind von bester Qualität und erzählen – teilweise – spannende Geschichten.

Warum immer noch Millionen aktive Abos?

Abozahlen veröffentlicht Activision-Blizzard seit Ende 2015 nicht mehr. Die letzte offizielle Zahl lag bei 5,5 Millionen. Dennoch ist World of Warcraft an der Spitze der MMORPGs. Das ist sicher den spannenden Bosskämpfen und Dungeons zu verdanken. Die Schlachtzugsgrößen sind jetzt flexibel. Man braucht zwischen zehn und 30 Leute, frei wählbar – auf der schwierigsten Stufe "mythisch" werden genau 20 Spieler benötigt. Jeder Schwierigkeitsgrad bringt eine andere Herausforderung. Auf den ersten zwei Schwierigkeitsgraden muss man die Bossfähigkeit "verfluchtes Blut" aus der Gruppe rechtzeitig heraustragen, da man sonst seinen Mitstreitern Schaden zufügt. Auf "mythisch" hingegen muss diese Fähigkeit im richtigen Moment von einem anderen Mitspieler entzaubert werden, weil sonst die ganze Gruppe stirbt. Nicht nur Fähigkeiten ändern sich, es kommen auch neue dazu. Zusätzlich erhöhen sich der zugefügte Schaden und die Leben der Feinde. Koordination und Ruhe sind gefragt. Ein Nervenkitzel und Frust, den sonst kaum ein Spiel auslösen kann.

2020 soll die achte Erweiterung Shadowlands erscheinen. Hierbei wird die Maximalstufe wieder auf 60 zurückgesetzt. Neben einer neuen Welt und neuen Fähigkeiten kommen auch alte, zuvor entfernte Fähigkeiten wieder zurück. Activision-Blizzard hat sich wohl vom unerwarteten Classic-Erfolg inspirieren lassen. Vielleicht kommen dank Shadowlands neue Spieler in die Welt von Azeroth, die sonst von der scheinbar unbezwingbaren Mauer, 120 Charakterstufen zu erspielen, eingeschüchtert sind.

Revendreth, neues Gebiet der bevorstehenden Erweiterung "Shadowlands".
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Ob Shadowlands besser als der enttäuschende Vorgänger wird, bleibt abzuwarten. Zumindest die Schlachtzüge und Dungeons dürften wieder eine spannende Herausforderung sein. Abonnenten haben derzeit die Möglichkeit, entweder zu 40. den Feuerlord Ragnaros zu bezwingen oder doch die normale Version des MMORPGs zu spielen, sofern sie die aktuellste Erweiterung besitzen. Für die Classic-Server reicht ein aktives Abo. (Konstantin Emminger, 11.2.2020)