Der Halbmond hängt über der Kuhstallbar in Tribuswinkel, als DJ Bootsy mit seinem schwarzen Van samt DJ-Wunschkennzeichen vorfährt und sich einparkt, zweimal vor und zweimal zurück, dann passt's. Mit Schwung steigt der strahlende Mittelscheitelträger aus und begrüßt Chefin Gabriele, die an der Garderobe steht und neun Euro für den Abend kassiert. Dort gibt der abgelegte Mantel den Blick auf manch gewagte Strumpfhose an Damenbeinen frei, während die Männer meist "Hemd in die Blue-Jeans-Hose mit Gürtel" tragen. Dann geht es rein in eine Nacht voll tiefer Blicke, zärtlicher Gesten und säuselnder Worte. In eine Welt ganz ohne Tinder und Insta.

DJ Bootsy liefert die Soundtracks an diesem Abend.
Foto: Christian Fischer

Auch Gabriele hat ihren Franz, den Chef, noch "analog" im Wiener Tanzlokal Bora Bora kennengelernt. Er hat sie gefragt, ob neben ihr noch ein Platz frei sei, was sie mit einem "Nein" beantwortete, das aber wiederum ihn nicht daran hinderte, sich trotzdem zu ihr zu setzen. Seither sind sie ein Paar und wissen alles über die Liebe und ihre Gäste im Kuhstall, den manche als eine der letzten "Aufreißhütt'n" im Einzugsgebiet Wien-Umgebung, Baden und Burgenland bezeichnen.

Im Kuhstallinneren wird gerade noch der wöchentliche Tanzkurs (Lateinamerikanisch) abgehalten, während dem der junge Tanzlehrer die Lernwilligen im Alter von 30 bis 70 über den Dancefloor treibt – "un, dos, tres, Drehung!". Und abschließend bitte "den Schal", wobei der Galan den Arm um den Nacken der Tänzerin legt. DJ Bootsy hat also noch Zeit, bevor er den Laptop anschließt. Aber über das "Aufreißverhalten paarungswilliger Vorstädter", nach dem ich ihn frage, könne er mir trotz 30 Jahren Erfahrung im Geschäft wirklich nichts erzählen, sorry. Er nehme seinen Job nämlich ernst, lasse sich nicht ablenken von schönen Augen und praktischen Kurzhaarfrisuren.

Lamourhatscher zum Aufwärmen

Stattdessen denke er immer drei Nummern im Voraus, und zwar Musiknummern. "Lamourhatscher" oder gar "Schenkelöffner", wie man das früher nannte, lege er zwar schon auf, aber selten: Something Stupid von den Sinatras oder Close to you von den Carpenters seien bewährte Näherbringer, häufiger aber spielt er Partymusik mit "Wiedererkennungswert" wie It's Raining Men, das vor allem die Damen in Tanzekstase versetze, welche von den Männern aber nach wie vor nicht in gleichem Maß erwidert werde: An deren relativer Tanzfaulheit habe sich in den 30 Jahren nichts geändert.

Auch nicht an ihrer Paarungsbereitschaft. Harald, ein trainierter, 55-jähriger Vin-Diesel-Lookalike, besetzt mit seinem Habschi Richard einen Stehtisch neben der Tanzfläche. Dieser wiederum würde in jedem ORF-Landkrimi als Dorfgigolo durchgehen, und er verrät auch gerne seine Erfolgsgeheimnisse: Neben dem getönten Haar ist es die Fleischkrawatte, die er fast bis zum Gürtel trägt, und – ganz wichtig! – sein Duft: "Davidoff, die braune Flasche mit dem gelben Deckel", die er beim Müller im Vorratspack, zwei Stück zum Preis von einem, kauft. Vom Kennenlernen im Internet hält er nichts, denn "du musst sie spüren, riechen, von allen Seiten sehen und vor allem mit ihr tanzen". Schon führt er eine schöne Rothaarige auf die Tanzfläche, es läuft Georgie von Pussycat, während Harald lachend erzählt, dass hier natürlich "alle auf Druck" seien. Also auf Aufriss.

Der Kuhstall, relativiert der Chef, sei vor allem ein "Tanzlokal mit Livemusik", was man im Gästebuch gerne nachlesen könne: The Untouchables, Ivan Rebroff, Andy Borg, Brigitte Nielsen, Peter Kent und immer wieder: The Untouchables. Eine "Aufreißhütt'n" wäre es seiner Meinung nach "Jein". Jedenfalls gebe es hier kein Internet, "und wir erledigen noch alles zu Fuß", lacht er. "Also auch das Kennenlernen." Die Damen hören hier noch ein "Darf ich bitten?" und werden nach dem Tanz zum Tisch zurückgeführt. Für den heutigen Abend hat Franz sogar einen "Taxitänzer" engagiert, der den tanzwütigen Damen, die gerade keinen Partner haben, den ganzen Abend lang zur Verfügung steht. Er ist gut trainiert und blond – also auch was fürs Aug – und heißt Christian. "Das Tanzniveau ist mittel", lacht er, mit seltenen Ausreißern nach oben hin und häufigeren nach unten.

Christian und Monika beherrschen ihn, den Lamourhatscher.
Foto: Christian Fischer

"Was wir da schon Ehen gestiftet haben!", lobt sich Franz ein wenig selbst, und Gattin Gabriele ergänzt: "Für jedes Paarl, das ich da zusammengebracht habe, möchte ich einen Schülling!" Auch Kellner Ronnie, ein blonder Hüne in der Nachfolge von Rutger Hauer und seit 15 Jahren hinter der Budel, weiß von "sicher zehn verheirateten Paaren, die ich zusammengeführt habe". Wie? "Ich setze sie zusammen!", lacht er. "Wenn sie ein halbes Jahr lang nicht mehr kommen, dann weiß ich, dass es gefunkt hat." Und wenn sie doch wiederkommen, einzeln und nicht mehr zusammen, dann weiß er, dass der Funken kein richtiges Feuer entfachen konnte.

Anders als bei Norbert (60), und Christa ("Ende 30, zwinker, zwinker"), die Ronnie nun zu ihrem Tisch ganz hinten im ausreservierten Kuhstall führt. Er trägt einen 70er-Jahre-Partyanzug mit dazupassender Perücke, seine schöne Begleiterin ihre langen, blonden Haare offen. Vor 16 Jahren haben die beiden einander während einer Fortbildung in Bad Ischl kennengelernt, wo er "ein bisserl hilflos" war, wie sie erzählt, und er sich mächtig "ins Zeug gelegt" hätte, nachdem sein "Sonnenschein" ihn gefragt hatte, ob er sich beim Abendessen zu ihr setzen wolle. Aus ihrer Initiative wurde Liebe, die in der Folge "immer noch größer und größer wurde". Ihr Geheimnis: "Dass man es auch regelmäßig sagt, wie wichtig einem der andere ist." Beide können auch heute noch kaum fassen, wie schön das Leben mit dem anderen ist: "So ein Glück muss man einmal haben!"

Norbert und Christa tanzen und lieben sich seit 16 Jahren.
Foto: Christian Fischer

Das Glück auf der Tanzfläche

Manchmal muss das Glück auch angeschoben werden, so wie bei Sibylle (53): "Es war in Eisenstadt nach einem Konzert. Meine Freundinnen haben gesagt: 'Da auf der Tanzfläche ist so ein fescher Mann!'" Er hieß Sascha (55), und sie hat ihn sich geschnappt, weil sie, sagt Freundin Elfie, "einfach gut aufreißen kann". Beim Tanz kamen die beiden drauf, dass sie jeweils geborene Schützen sind, "und beim Schützen ist es ja schwierig", sagt sie, "da passt nicht viel". Während eines Urlaubes in Venedig hat es ihnen "den Vogel hinausgeschossen", und auch "erotisch passt alles, was in unserem Alter schon sehr wichtig ist. Oder?" Ihre Frage beantwortet Sascha mit innigem Kuss. Es gibt nur eine Sache an seiner Sibylle, über die er den Kopf schütteln muss: "Dass sie die Teller abwäscht, bevor sie diese in den Geschirrspüler gibt!"

Peter an der Bar ist eine zweimal geschiedene Frohnatur, die als Reisender "a poar, oba net olle Lamourhatscherhütt'n im Land" kennt. "Wennst am Tog zwischen 300 und 700 Kilometer foahrst, bis am Abend froh, wennst im Hotel schlofn kaunnst." Den Kuhstall besucht er "als Peter oder Jaqueline", für die er acht Perücken hat und einige schöne Kleider. Als solche wird er dann ständig von Männern zum Tanz aufgefordert, deren Drängen er aber nicht nachgibt. Selbst wenn einer, wie es schon vorkam, "3.000 Euro am Tisch knallt, damit ich zwei Stunden mit ihm tanz!".

Wer "Jaqueline" eine Rose schenken möchte, der wende sich an Django, den 65-jährigen ägyptischen Rosenverkäufer. Bei ihm hat die Liebe nach 33 Jahren Ehe eine tiefe Wunde hinterlassen. "Aber wurscht", sagt er. "Ich schaue nach vorn. Weil wie ich zurückgeschaut habe, habe ich Zucker gekriegt." Nun tanzt er hier selbst öfter, als dass er Rosen verkauft, denn die kauft praktisch keiner mehr: "Romantik? Geh!", sagt er, bevor er zu Lonely Nights im Getümmel verschwindet.

Der Halbmond über Tribuswinkel wird ein paar Meter weitergewandert sein, wenn DJ Bootsy frühmorgens den Van wieder startet. Und Kellner Ronnie wird dann am besten wissen, wer von den Paaren, die eng umschlungen den Kuhstall verlassen, am Valentinstag wieder für eine legendäre Nacht vorbeischauen oder ein Jahr lang pausieren wird. Wegen gerade entdeckter Lust an der Zweisamkeit. (Manfred Rebhandl, 14.2.2020)