Im Gastkommentar hat der Jurist und Ökonom Erhard Fürst Anmerkungen zur Debatte um Ziffernnoten und Josef Christian Aigners Gastkommentar "Fällt die Ziffernnote endlich?".

Im Kommentar der anderen hält Josef Christian Aigner eine Philippika gegen Unkundige, bis hinauf zu Unterrichtsministern, die – entgegen den Ergebnissen des Diskurses der besten Fachleute – einer völlig verkrusteten Leistungsideologie anhängen und für Ziffernnoten eintreten, meist ohnehin ergänzt durch eine verbale Beurteilung. Es sei einem "Unkundigen" gestattet, einige Argumente Aigners zu hinterfragen und zu kommentieren.

Eine Vorarlberger Schule hat zwar mittlerweile eingelenkt, ursprünglich wollte man alle Schülerinnen und Schüler in der Schulnachricht einheitlich mit "Gut" beurteilen.
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· Ziffernnoten seien nicht objektiv (verschiedene Lehrer bewerten gleiche Leistungen sehr unterschiedlich): Ist wissenschaftlich belegt, dass dies nicht ebenso bei verbalen Beurteilungen der Fall ist?

· Ziffernnoten seien nicht valide, weil sie nicht nur die Leistung, sondern etwa auch schichtspezifische Faktoren bei der Beurteilung berücksichtigen: stimmt, kann aber durch eine begleitende verbale Beurteilung berücksichtigt werden.

· Ziffernnoten seien nicht reliabel, da die gleiche Arbeit zu einem anderen Zeitpunkt von der gleichen Lehrperson oft anders benotet wird: Ist wissenschaftlich belegt, dass dies nicht auch bei verbalen Beurteilungen vorkommt?

Lächerlicher Streit

Warum also das fraglos für sich allein in gewisser Hinsicht als unbefriedigend empfundene Instrument der Ziffernnote nicht weiterhin durch das Instrument der schriftlichen Beurteilung ergänzen? Auch diese hat ihre Schwächen, insbesondere die fehlende Vergleichbarkeit und die mangelnde Klarheit und manchmal auch Verständlichkeit für Eltern.

Ich meine, dass die überwiegende Mehrheit der Unkundigen mit einer Kombination der beiden Beurteilungsinstrumente einverstanden ist und damit der für Unkundige ohnehin lächerlich wirkende Streit beendet werden könnte. Eines muss man den Ziffernnoten nämlich lassen, auch wenn das Argument etwas demagogisch klingen mag: Die in diesem System groß gewordenen Schüler konnten nach Abschluss der vierten Klasse Volksschule in der Regel schreiben, lesen und rechnen, was heute jeder vierte Fünfzehnjährige noch nicht kann.

Keule Suizidgefährdung

Interessant ist, dass Ziffernnoten heute noch in den asiatischen Ländern angewendet werden, die bei internationalen Leistungsvergleichen besonders gut abschneiden und mit ihrer "verkrusteten Leistungsideologie" auch gesamtwirtschaftlich überaus erfolgreich sind. Die Androhung disziplinärer Maßnahmen für Lehrpersonal, das sich nicht an staatliche Verordnungen auf gesetzlicher Basis hält, sollte in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein und den Schülern die Funktionsweise unseres demokratischen Systems zu verstehen helfen.

Dass die Keule Suizidgefährdung für die Notendiskussion herhalten muss, spricht nicht gerade für die Wissenschaftlichkeit des Beitrags. Denn auch eine ehrliche verbale Beurteilung kann ein Kind treffen. Und es gibt durchaus anerkannte Psychologen, die den übertriebenen Schutz der Kinder durch Eltern vor Enttäuschungen – Stichwort "Overparenting" – als negativ für die Kindesentwicklung und die spätere Lebensbewältigung beurteilen. Bloß ist es wissenschaftlich nur schwer festzustellen, wie viel spätere suizidäre Anwandlungen durch "Abhärtung" im Kindesalter verhindert werden können.

Könnte es sein, dass Aigner im Grunde gegen jede Art der Leistungsbeurteilung ist? (Erhard Fürst, 10.2.2020)