Hildur Guðnadóttir (37): Oscar für ihren "Joker"-Score.

Foto: Antje Taiga Jandrig

Ein klassischer Hollywood-Soundtrack verstärkt die gezeigten Bilder. Er interpretiert die Innensicht der Helden aus der äußeren Distanz. Was aber passiert, wenn ein wahnsinniger Clown eine Treppe hinunter- oder vor dem Spiegel einer öffentlichen Toilette tanzt, weil in seinem Schädel ein orchestrales Schwirren und Dröhnen umgeht, bei dem ein innerer Dämon den Taktstock schwingt?

Psychoakustik und Stimmen hören, der Übergang von der Depression über den irremachenden Ohrwurm zum Durchdrehen ist hier fließend. Die Trostlosigkeit, die Verzweiflung des Protagonisten Arthur Fleck, dazu braucht es keinen bombastischen Totentanz. Ein einsames Cello, dessen Melodie in dumpfes Trommeln und bedrohliches Dröhnen mündet, tut es zur Not auch.

Aus der Avantgarde kommender Zugang

Die 37-jährige isländische Komponistin Hildur Guðnadóttir hat als erst vierte Frau in der 92-jährigen Geschichte des Oscar den Preis für die beste Musik erhalten. Hört man den Score zu Todd Philipps‘ Joker, etwa das Stück Bathroom Dance, dann völlig zu Recht. Die Academy kommt damit nicht nur zur erstaunlichen Erkenntnis, dass Frauen komponieren können.

Im Gegensatz zu schwülstig gegen das Kinopublikum vorrückenden alten Herren wie ihrem heurigen Konkurrenten John Williams für Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers erfährt auch ein psychologisierender, zeitgemäßer, aus der Avantgarde kommender Zugang eine Würdigung. Drittens: Man kann Frauen engagieren, es gibt sie!

Verstörende Endzeitstudien

Dabei schreibt die in Berlin mit einem siebenjährigen Sohn lebende studierte Cellistin und Elektroakustikerin Hildur Guðnadóttir schon seit zwei Jahrzehnten für Film und Theater. Für ihren 2018 parallel zu Joker entstandenen niederschmetternden Industrial-Soundtrack zur TV-Serie Chernobyl, in dem sie Field-Recordings aus dem aufgelassenen litauischen Kernkraftwerk Ignalina mit ihrer Stimme montierte, wurde sie heuer schon mit einem Golden Globe geehrt. Für Sicario 2 fertigte sie zuvor die verstörende Musik ebenso, wie sie Cello für Jóhann Jóhannssons Arrival oder auf Ryuichi Sakamotos und Alva Notos Score für The Revenant spielte.

Zuletzt war Guðnadóttir nach Ausflügen in den Pop, etwa mit Múm oder The Knife, am Album Life Metal der US-Metalmönche SunnO))) und deren erdschweren Endzeitstudien beteiligt. Für Komödien wird die Frau also auch in Zukunft eher nicht zu haben sein. (Christian Schachinger, 10. 2. 2020)