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Ein Bad in der Menge – und so tun, als habe man nichts lieber als das: Joe Biden...

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...Bernie Sanders...

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... und Pete Buttigieg.

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Sie müsse jetzt, sagt die junge Frau mit der olivgrünen Baseballkappe, eine "etwas gemeine Frage" stellen: Madison Moore, Studentin der Wirtschaftswissenschaften, stellt sie sich vor. Sie hat sich das Mikrofon geschnappt, steht ganz nahe bei Joe Biden. "Wie erklären Sie sich die Sache mit Iowa?", fragt sie. "Wie wollen Sie die Leute davon überzeugen, dass Sie der Richtige sind, um Donald Trump zu besiegen?" Draußen: klirrende Kälte. Drinnen: viel graues Haar, abgesehen von Madison und den Schülern, die die Regie so platziert hat, dass man im Fernsehen nicht gleich an einen Seniorentreff denkt.

In New Hampshire, dem nordöstlichsten Bundesstaat der USA, finden am Dienstag die Präsidentschaftsvorwahlen statt. Christophe Kohl (ORF) berichtet vor Ort.
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Die "Sache mit Iowa" ist das enttäuschende Abschneiden in dem Bundesstaat, dessen Wähler als Erste darüber abstimmten, wer Trump herausfordern soll. Dort landete Biden nur auf dem vierten Platz. Seit Monaten wirbt der ehemalige Vizepräsident damit, dass nur er Trump schlagen könne: zum einen wegen seiner Regierungserfahrung; zum anderen, weil er den Rust Belt – 2016 die wahlentscheidende Region – von allen Bewerbern am besten kenne. Die Parteibasis in Iowa hat er damit nicht überzeugt. Nun geht es in New Hampshire, in der zweiten Etappe des Vorwahlrennens, eigentlich schon um alles.

Es droht das Aus

Schneidet er hier nicht besser ab, ist er schnell als Verlierer abgestempelt. Dann würden ihm bisher großzügige Spender nach der unerbittlichen Logik unerbittlich harter Wahlkämpfe im Nu den Geldhahn zudrehen. Womöglich müsste er aufgeben, noch ehe die Karawane weiterzieht nach South Carolina. Dort will der 77-Jährige das Feld von hinten aufrollen. Dort sind es mehrheitlich Afroamerikaner, die bei den Demokraten abstimmen. Gerade bei ihnen steht Biden in hohem Ansehen, allein schon wegen seiner Loyalität gegenüber Barack Obama. Doch damit er im Süden ein Comeback feiern kann, darf er sich in New Hampshire nicht mehr so blamieren.

Deshalb hetzt er kreuz und quer durch den Staat, um wettzumachen, was er in der Favoritenrolle monatelang an Einsatz vermissen ließ. In Hampton am Atlantik stürmt er zu Klängen Bruce Springsteens in einen Hotelsaal, federnd darum bemüht, möglichst dynamisch zu wirken.

Denn vor allem bei Debatten erweckt Biden den Eindruck, als sei er zu alt, zu müde, nicht mehr gedankenschnell genug. Gerade auf der Debattenbühne hat ihm Pete Buttigieg, der junge, hellwache, wortsichere Ex-Bürgermeister der Industriestadt South Bend, den Rang abgelaufen. Da auch Buttigieg für Reformen in kleinen Schritten steht, ist er in den Augen vieler Wähler inzwischen so etwas wie der jüngere, politisch attraktivere Joe Biden. Der neue Hoffnungsträger des moderaten Flügels. Weshalb Biden eindringlich davor warnt, sich auf ein gewagtes Experiment einzulassen.

Buttigieg – ein Risikokandidat?

Er glaube, sagt er, dass die Partei ein Risiko eingehe, wenn sie einen Kandidaten nominiere, der noch nie ein höheres Amt ausgeübt habe als das des Bürgermeisters von South Bend. Ein Filmchen seiner Kampagne zeigt den bunt angestrahlten St. Joseph River, der sich durch South Bend schlängelt, wozu eine Sprecherin kommentiert: "Als Spaziergänger sich an Pete Buttigieg wandten, installierte er farbige Lampen unter Flussbrücken." Vizepräsident Biden dagegen sei immer dann gefordert gewesen, wenn es um Wichtiges ging.

Er selber erzählt dann vom Atomdeal mit dem Iran, vom Pariser Klimaabkommen, von der Gesundheitsreform. "Um das alles hab ich mich im Auftrag Baracks gekümmert." Eher ungewollt klingt es fast so, als sei Obama nur zu Repräsentationszwecken im Oval Office gesessen, während er, Biden, die kniffligen Verhandlungen führte. Es gilt, den Kontrast zu Buttigieg herauszustellen: hier der erfahrene Staatsmann – dort der Newcomer aus der Provinz. "Nur schön langsam, der Bursche ist doch kein Barack Obama!", beschwerte sich Biden neulich bei Reportern. Der Vergleich sei doch absurd. Und doch: Eine Umfrage des Senders CNN sieht ihn in New Hampshire mit elf Prozent der Stimmen nur auf Rang drei – weit hinter Bernie Sanders (28 Prozent) und Buttigieg (21 Prozent).

Flügelkämpfe auszufechten, das gehört seit jeher zur DNA der Demokraten. Stets musste eine Partei, unter deren Dach sich möglichst viele versammeln sollen, Kompromisse schmieden zwischen einer eher linken und einer eher zentristischen Fraktion. Diesmal wird der Streit allerdings mit kompromissloser Härte ausgetragen, mindestens so hart wie 2016 bei Hillary Clinton und Bernie Sanders. Bei dem Richtungsstreit geht es nicht nur um Programmpunkte, es geht auch um das "big picture" – das historische Gesamtbild.

Die Fans der "Bernie-Revolution"

Der Mut zum Wandel sei schon immer eine amerikanische Tugend gewesen, wirbt Sanders für das, was seine Fans die "Bernie-Revolution" nennen. In der Oper der Kleinstadt Rochester, wo er augenzwinkernd bemerkt, er hoffe, dieses alte Haus werde später, nach dem heutigen Ansturm, noch heil auf seinem Fundament stehen, bringt Nina Turner aus Ohio ganz große Namen ins Spiel: etwa Franklin D. Roosevelt, der auf die Weltwirtschaftskrise mit dem New Deal reagierte, also mit Staatsprogrammen in heute fast unvorstellbarer Dimension. "Was hat FDR seinen im Hass gegen ihn vereinten Gegnern 1936 gesagt? ‚Ich begrüße ihren Hass!‘ Und 2020 sagt Bernie exakt dasselbe!"

Folgt man James Carville, dann würde es auf politischen Selbstmord hinauslaufen, sollten die Demokraten Sanders ins Duell gegen Trump schicken. In der Welt der Politikberater ist Carville eine Legende, seit er 1992 als Wahlstratege von Kandidat Bill Clinton auf eine Zeile brachte, wo für die meisten Wähler die Prioritäten liegen: "It’s the economy, stupid!" ("Es geht um die Wirtschaft, Blödmann!") In einem Essay fragt er nun: "In welchem Universum bekommen solche Politiker die Mehrheiten, die wir brauchen, um gegen Trump zu gewinnen?"

Buttigieg steht in der Turnhalle der Highschool von Salem vor Sternenbannern und wiederholt Carvilles Botschaft mit eigenen Worten – weniger polemisch, versöhnlicher: "Es gibt Leute, die sagen euch, es kann nur eines von beiden geben: die Revolution oder den Status quo. Nun, damit haben die meisten von uns ein Problem – weil keines von beidem so recht auf uns passt." Buttigiegs Erfolgsrezept ist es, den goldenen Mittelweg zu skizzieren. Einen Schwenk nach links – aber sachte. Reformen – mit Augenmaß. Damit bleibt er zwar im Ungefähren, aber er stößt auch keinen vor den Kopf. Mayor Pete, der Praktiker aus dem Mittleren Westen.

Buttigieg war 17, als Eric Harris und Dylan Klebold am 20. April 1999 in Trenchcoats in die Columbine High School in Littleton, Colorado, marschierten und zwölf Schüler und einen Lehrer erschossen. Er war 19, als Terroristen am 11. September 2001 Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon krachen ließen. Seine Generation, sagt er, sei die erste, die sich an Schießereien an Schulen habe gewöhnen müssen. Seine Generation habe das Gros der Soldaten gestellt, die in die Kriege im Irak und in Afghanistan zogen. Seine Generation sei die erste in Amerika, der es schlechter gehe als ihren Eltern. Die Erfahrungen seiner Generation, schlägt er den Bogen zur Wahlschlacht, könnten vielleicht auch im Oval Office nützlich sein – nützlicher als die eines Urgesteins wie Biden, der doppelt so alt sei wie er.

Bidens Witz geht nach hinten los

Ob er der Richtige sei, um Trump zu besiegen? Joe Biden nimmt einen langen Anlauf, bevor er Madison, der Studentin, antwortet. Er zitiert seinen Vater: "Es zählt nicht, wie oft du am Boden liegst. Es zählt nur, wie schnell du dich wieder aufrappelst." Dann fragt er: "Waren Sie jemals bei einem Caucus?" Nein, sagt er selbst und zitiert aus dem John-Wayne-Film Hondo: Sie sei eine "hundsgesichtige verlogene Pony-Kavalleristin". Es ist wohl als Witz gemeint – doch der Gag geht nach hinten los.

Ach ja, eine Antwort gibt Biden der Studentin dann eigentlich nicht – jedenfalls keine überzeugende: "Wir werden es bald herausfinden", sagt der Veteran. "Das war keine gemeine Frage, sondern eine ehrliche", fügt er noch hinzu. Es klingt fast schon ein bisschen nach Resignation. (Frank Herrmann aus Hampton, New Hampshire, 11.2.2020)