Es ist sich nicht ausgegangen. Wieder einmal. Aber nur weil ich Anfang Februar kaum Zeit habe, werden die Veranstalter der Ispo, der größten Fachmesse des Sports, ihre Veranstaltung halt doch nicht verlegen.

Doch wenn ich ganz ehrlich bin, stört mich das nicht wirklich: Ich bin kein Messe-Mensch. Die Vorstellung, mich ein paar Tage zwischen 80.000 anderen Messebesuchern durch 18 Hallen zu wälzen, um am Schluss eh nicht mehr zu wissen, was ich bei welchem der 2.850 Aussteller (womit die Eckdaten er Ispo abgesteckt wären) gesehen habe, ist für mich ein Horror.

Aber andere lieben das. Und geben sich die Ispo alle Jahre wieder mit großer privater und noch größerer beruflicher Begeisterung. Mein Freund Ed zum Beispiel: Der fährt jedes Jahr zur großen Sportmesse nach München – und ist dort dann ein paar Tage voll in seinem Element. Und dann bitte ich ihn – wie im Vorjahr – um einen Gastartikel.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Ed ist allerdings nicht einfach irgendein Ed: Ed Kramer betreibt seit mittlerweile vier Jahren mit seiner Frau Elisa Kramer-Asperger den auf Traillaufen (aber nicht nur) spezialisierten Laufshop Traildog Running in Wien-Liesing. Was als Liebhaberei (lange vor dem Shop) begann, ist mittlerweile eine fixe Größe in der Laufwelt. Ed und Elisa zählen darüber hinaus mittlerweile zu meinen besten Freunden. Und falls jemand damit ein Problem hat, wäre jetzt der Moment, anderswo hinzuklicken.

Ed fährt, um zum Thema zurückzukommen, seit er seinen Laden hat, jedes Jahr auf die Ispo. Heuer war er also das vierte Mal dort. "Das ist zum einen ein Treffen mit den Brands, die ich im Shop habe, aber zum anderen auch ein Get-Together der Branche – wo man neben neuen Produkten vor allem auch mitbekommt, wie die Branche tickt oder sich verändert."

Genau darum geht es auch in Eds Bericht: Ein bisserl um neue Produkte – aber sehr viel um Stimmungen. Und damit übergebe ich an ihn.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Ed schreibt:

18 Hallen, 80.000 Besucher und 2.850 Aussteller, das sind die Eckdaten der Ispo in München. Ich bin jedes Mal überwältigt von der weltgrößten Sportartikelmesse für den Fachhandel, und dass ich auch diesmal nicht annähernd so viele Messestände besuchen werde, war klar und auch nicht geplant!

Das Motto der diesjährigen Messe war "Be responsible. Be active. Be creative". Die Sportartikelbranche übernimmt Verantwortung? Ich war ein wenig skeptisch, denn dass einige Big Player im Business "Nachhaltigkeit" als smartes Marketinginstrument verwenden würden, war eines meiner Vorurteile. Aber andererseits: Wer wenn nicht die "Großen" hat die Macht und die Power, echte Veränderungen herbeizuführen?

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Einer der Ökovorreiter in der Laufschuhindustrie ist allerdings sicherlich die vergleichsweise kleine schwedische Firma Icebug, die als erste klimapositive Outdoor-Schuhmarke agiert – schlicht und einfach, weil man sich in Göteborg der Climate-Neutral-Now-Initiative der UN angeschlossen hat. Auch wenn das auf Kosten des Profits geht: "Die Zeit läuft uns davon: Die Klimakrise kann nicht darauf warten, dass wir uns erst perfekt aufstellen, bevor etwas passiert. Wir müssen handeln – jetzt sofort", sagt Icebug-CEO David Ekelund.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Eines meiner Highlights in München ist neben den Neuigkeiten der Messe immer das Runners-World-Laufsymposium. Heuer gab es dort wie jedes Jahre jede Menge Expertentalks und Referate von Spitzenläuferinnen und -läufern (im Bild: die beiden deutschen Olympioniken Dieter Baumann und Laura Hottenrott).

Das Label Under Armour präsentierte eine neue Möglichkeit der Laufstilkorrektur in Echtzeit mittels der App Map My Run. Dabei werden Schrittlänge, Fußaufsatz und andere Parameter durch eine Sonde im Schuh erfasst und berechnet. Das soll helfen, Verletzungen zu vermeiden und zu reduzieren. Klingt gut. Ob das wirklich funktioniert? Ohne längere Beobachtung kann ich das natürlich nicht beurteilen – aber die Theorie und die Idee klingen schlüssig und gut.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Einer der ganz großen Player im Laufsport ist nach wie Asics – und für die Japaner stehen, wenig überraschend, heuer die olympischen Spiele in Tokio eindeutig ganz zentral im Fokus. Aber darüber hinaus weiß Asics natürlich sehr genau, dass der große Markt nicht im Spitzensport daheim ist – und möchte die Laufschuhberatung neu definieren.

In Zukunft sollen drei Fragen genügen, um die Bedürfnisse der Läuferinnen und Läufer zu erfüllen: "Wollen Sie weiter oder schneller laufen?" "Möchten Sie vom Schuh unterstützt werden oder nicht?" "Welchen Level an Komfort soll der Schuh bieten?"

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Nike – der Riese – hat zwar keine "Olympischen Heimspiele", aber dafür einen neuen Laufschuh mitgebracht, den Nike React Infinity Run. Der ist im konzerneigenen "Innovation Lab" entstanden – und soll, ähnlich wie bei Under Armour, helfen, Verletzungen zu reduzieren.

Zu meiner Freude brachte man diese auch als Testschuhe mit: Laufschuhe muss man laufen und nicht nur auf der Produktinfo- und Metaebene "intellektualisieren" – allerdings war dann natürlich nicht genug Zeit, den Schuh tatsächlich ausführlich auszuprobieren. Das werden die Kollegen der diversen Fachmagazine aber sicher in den nächsten Monaten ausführlich tun.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Meine persönlichen Helden der Ispo ist aber Veja. Veja, ein Sneakers- und Laufschuhproduzent aus Frankreich, hat sich ganz der Nachhaltigkeit und Fairness in der Produktion verschrieben. Auf seiner monatelangen Suche nach den geeigneten Produzenten in Brasilien stellte Sebastien Kopp, einer der beiden Köpfe hinter dem 2004 gegründeten Label (im Bild: Anraut Dabir, sein Gründer-Kollege während des Referates in München), immer die eine Frage an die Fabriksdirektoren: "Würden Sie Ihre Kinder auch in der Fabrik arbeiten lassen?"

Nachdem er fündig geworden war, lebte er dann – zur Sicherheit – noch drei Monate dort. Um sich zu überzeugen, dass auch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair behandelt werden. Cool. Die Schuhe selbst werden aus natürlichen Materialien wie Baumwolle, Naturkautschuk und recyceltem Material hergestellt. Ob sie tatsächlich auch als Laufschuh taugen? Das weiß ich noch nicht – aber ich werde mich in Kürze davon selbst überzeugen können.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Ich könnte noch viele Geschichten von meinen drei Tagen in München erzählen, aber dafür würde der Platz nicht reichen. Schön war aber auch der Besuch bei den kenianischen Laufschuhherstellern Enda.

Meine Frau Elisa und ich haben dieses vor drei Jahren entstandene Projekt per Crowdfunding unterstützt: Laufschuhe und Kenia, dachten wir, das muss ja einfach passen! Freilich: Nachdem wir dann die ersten Schuhe bekommen hatten, fürchteten wir, dass das sympathische afrikanische Projekt nicht lange überleben würde. Denn die Qualität der Schuhe war wirklich grottenschlecht. Umso schöner war es, dann in München zu sehen, dass die Kenianer (im Bild: Navalayo "Nava" Osembo, eine der Labelgründerinnen) offensichtlich doch noch ihre Hausaufgaben gemacht haben – und es das Label nach wie vor gibt.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Einen Schmunzler hat mir dann noch der Besuch am Stand von MBT abgerungen. Über den Stand bin ich in einem Seitengang im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert: Die Firma hatte ich tatsächlich schon vergessen.

Dabei waren die Schuhe vor ein paar Jahren super angesagt – sie wurden quasi als Neuerfindung des Rades gefeiert. Wer sie noch erinnern kann: MBT waren diese (gefühlt) zwei Kilo schweren Wackelschuhe mit halbrunden Sohlen. MBT stand für Masai Barefoot Technology – aber nach ein oder zwei Saisonen war von der "Revolution" nicht viel übrig: Ein One-Hit-Wonder, würde man in der Popmusik sagen. Doch nach einer Neuübernahme produziert MBT nun auch wieder Laufschuhe. Sie sind viel leichter als die Trümmer von früher. Aber vor allem: Sie sehen nicht mehr so extrem nach Orthopädie, Reformhaus und Gesundheitsschuhen aus.

Foto: Ed Kramer/Traildog.at

Mein Ispo-Laufschuhentwicklungsresümee? Fast alle Hersteller bauen derzeit eine sogenannte "Rockershape" in die Sohlen einiger Modelle ein. Das Ziel und die Idee dahinter lauten, das Verletzungsrisiko zu minimieren – und da waren tatsächlich MBT die Pioniere.

Ansonsten lässt sich zusammenfassend – nicht nur beim Laufen – sagen, dass "Going Green" wohl in der Sportartikelwelt angekommen ist.

Und dass das alles nur Greenwash-Marketing sein soll, will ich so nicht glauben. Es ist zwar ein Unterschied, ob man eine Firma aufbaut, bei der Fairness und Nachhaltigkeit Teile von Konzept und Fundament sind – oder ob eine bekannte Marke umdenken muss, weil Kunden und Zeitgeist es verlangen. Aber wenn das Ergebnis ein Umdenken aller ist, sind die Motive, die dazu führen, schlussendlich vielleicht gar nicht so wichtig. (Thomas Rottenberg, Ed Kramer, 12.2.2020)

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