Klinsmann zieht sich zurück.

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Berlin – Jürgen Klinsmann hat nach nur 76 Tagen überraschend sein Amt als Trainer bei Hertha BSC zur Verfügung gestellt. Nach "langer Überlegung" sei der 55-Jährige zu der Überzeugung gekommen, von seinem Amt bei dem deutschen Bundesligisten zurückzutreten, kündigte er auf Facebook an. Klinsmann-Berater Roland Eitel bestätigte die Demission.

Nicht einmal die Berliner selbst hatten bis dahin Kenntnis vom Entschluss des ehemaligen Teamchefs von Deutschland (2004 bis 2006) und den USA (2011 bis 2016). Erst zu Mittag bestätigte der Tabellen-14. den Rücktritt.

Klinsmann fehlte das Vertrauen

Offenbar fehlte Klinsmann im Abstiegskampf die Unterstützung im Verein. "Als Cheftrainer benötige ich für diese Aufgabe, die noch nicht erledigt ist, das Vertrauen der handelnden Personen", schrieb Klinsmann.

Im Rennen um den Klassenerhalt seien Einheit, Zusammenhalt und Konzentration auf das Wesentliche enorm wichtig. Weiters hieß es, dass er sich lieber auf seine "ursprüngliche langfristig angelegte Aufgabe als Aufsichtsratsmitglied zurückzuziehen" will.

Die Medien waren aufgebracht, der Verein eierte herum, gab lange Zeit kein Statement heraus. "Wir sind von dieser Entwicklung am Morgen überrascht worden", räumte Manager Michael Preetz ein. Vor allem wegen der guten Zusammenarbeit mit Klinsmann bei den vielen Winter-Einkäufen "gab es keinerlei Anzeichen" für einen Bruch, versicherte Preetz.

Mit seinem überraschenden Rücktritt hat Klinsmann für eine Provinzposse beim angeblichen "Big City Club" gesorgt und den Verein ins Chaos gestürzt. Weil Klinsmann im Aufsichtsrat bleiben will, scheinen weitere Probleme programmiert.

Machtkampf mit Manager Preetz

Bis zuletzt verkaufte Berufsoptimist Klinsmann sein Hertha-Projekt mit einem Lächeln, lobte noch am Montag in einem Livechat, dass "viel bewegt" wurde. Doch hinter den Kulissen tobte längst ein Machtkampf mit Manager Michael Preetz. Klinsmann forderte offenbar einen neuen Vertrag über den Sommer hinaus. Die Klubspitze wollte die Entwicklung im Abstiegskampf zunächst abwarten, gab sich zögerlich.

Investor Lars Windhorst, der Klinsmann in den Klub geholt hatte, wusste offensichtlich bereits am Vortag Bescheid. "Ich habe gestern von der Entscheidung erfahren", sagte er Dienstag der bild.de. Klinsmann sah offenbar keinen anderen Weg mehr. Er habe sein "Potenzial als Trainer" nicht mehr ausschöpfen können und könne der Verantwortung als Trainer "auch nicht gerecht werden".

Erst Ende November hatte der Macher des Sommermärchens von 2006 das Traineramt vom glücklosen Ante Covic übernommen. Die Ausbeute blieb mager. In neun Bundesligaspielen holte Hertha zwölf Zähler. Nach der 1:3-Heimpleite am Samstag gegen Abstiegskandidat Mainz hagelte es Kritik am taktisch einfallslosen Auftritt im Spiel nach vorn. Im DFB-Pokal unterlagen die Berliner im Achtelfinale vergangene Woche bei Schalke 04 mit 2:3 nach Verlängerung.

Spielerkäufe um 78 Millionen Euro

Der Rückzug von Klinsmann kam auch deshalb überraschend, weil Hertha auf Initiative des Trainers im Winter noch rund 78 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben hatte. Dazu gehörten die Mittelfeldspieler Lucas Tousart (Lyon/25 Millionen) und Santiago Ascacibar (Stuttgart/10 Millionen) sowie die Stürmer Krzysztof Piatek (Milan/27 Millionen) und Matheus Cunha (RB Leipzig/18 Millionen Euro). Mit neuen Topspielern wollte der Klub mittelfristig Richtung Champions League marschieren.

Möglich geworden waren die Einkäufe, weil Windhorst 225 Millionen Euro in den Verein gepumpt hatte. Windhorst war es auch, der Klinsmann als Mitglied in den Aufsichtsrat geholt hatte. Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen der Rückzug des früheren Bundestrainers auch auf das Verhältnis zwischen Hertha und Windhorst haben wird.

Interimistisch wird der bisherige Assistent Alexander Nouri übernehmen. "Über die weiteren Entwicklungen werden wir zu gegebener Zeit informieren", sagte Preetz in einer Erklärung der Berliner. (sid, red, 11.2.2020)