Primitiv, patriarchal, frauenfeindlich und wie aus der Zeit gefallen mag der 45. Präsident der USA für viele seiner Kritiker wirken. Seine Anhänger, quer über alle Gesellschaftsschichten, feiern ihn unterdessen wie einen Superstar, der er Kraft der Massenmedien auch zweifelsfrei ist. Während intellektuelle Eliten die Nase rümpfen und ihn auf dem geistigen Niveau eines pubertären Zwölfjährigen sehen, muss man zur Kenntnis nehmen, dass er wie kaum ein Politiker davor auf der emotionalen Klaviatur seiner Anhänger und Sympathisanten spielt. Trump, das Perpetuum mobile des Populismus, ist drauf und dran erneut Anführer der mächtigsten Nation der Welt zu werden. Doch wie kann das sein?

Erotische Beziehung zu seinen Anhängern

Beobachtet man seine von martialischer Musik umrahmten Wahlkampfauftritte, in denen er zu den Menschen spricht, fällt einem schnell auf, dass er in Mimik und Gestik eine fast erotische oder zumindest emotional erregende Beziehung zu seinem Publikum aufbaut. Nicht nur die Themen wie der "Bau einer Mauer" erzeugen orgiastische Jubelstürme bei seinen Fans sondern vor allem seine gezielt eingesetzten Hand- und signifikanten Lippenbewegungen scheinen, wie bei einem Zauberer der Emotionen, ihre Wirkung nicht zu verfehlen – eine psychodynamische Interaktion weit über dem normalen Niveau einer politischen Ansprache. Trump "grabs" scheinbar nicht nur in unsittlicher Form in so manch erogene Zone, sondern greift vielmehr – frei nach dem Aktionskünstler Joseph Beuys – in das Herz der Gesellschaft und darin liegt seine elementare Stärke. Dafür verzeihen im viele seine offenkundige Rüpelhaftigkeit oder den frei zur Schau gestellten Sexismus, wobei diese Parameter aus seiner mentalen Perspektive eher ein Qualitätsmerkmal als ein Defizit darstellen.

Bei Fans wird Trump mit frenetischem Jubel gefeiert.
Foto: APA/AFP/JIM WATSON

Hypermoral und die Qual der Wahl

Unterdessen fixiert sich seine Konkurrenz seitens der Demokraten auf eingelernte Hypermoral, die dem Parade-Macho noch mehr in die Karten spielt – große oder kleine Hände hin oder her. Nur auf die offensichtlichen Schwächen des Gegenübers zu zeigen, ohne selbst bessere Angebote zu offerieren, ist zu wenig. Eine vergleichbare Situation findet sich in Österreich. Hier haben die Sozialdemokraten, bis auf die Ausreißer Hans-Peter Doskozil im Burgenland und Peter Kaiser in Kärnten, ebenfalls noch kein wirkungsvolles Rezept gegen Sebastian Kurz und seine neue Volkspartei gefunden. Der Kultfilmemacher Werner Herzog, der unter anderem durch seine spezielle emotional aufgeladene Beziehung mit dem wie Trump grenzwertigen Klaus Kinski Bekanntheit erlangte, erörterte treffend, dass der aktuelle US-Präsident nicht das Problem, sondern eher das Symptom sei. Das Gejammer rund um ihn bezeichnete er als reine "Bettnässerei" und forderte etwas Konstruktives für die Gesellschaft zu tun, zum Beispiel in der eigenen Nachbarschaft.

Katalysatorfunktion der Politik

Genau das ist die Problematik bei den politischen Gegnern Trumps. Diese sind nicht in der Lage denjenigen eine Stimme zu geben, die sich nicht im bestehenden politisch-gesellschaftlichen System vertreten fühlen. So wie die kürzlich verstorbene Hollywood-Legende und überzeugte Demokrat Kirk Douglas im Film "Spartacus" mit seinem Heer aus Sklaven gegen das unterdrückerische Rom marschierte und dem kleinen Mann eine Stimme verlieh, stilisiert sich Trump als Vertreter der Fortschrittsverlierer im Kampf gegen die privilegierte Elite. Eine Ironie des Schicksals, dass sich der Turbokapitalist und Republikaner nun als moderner Spartacus inszeniert. Es sollte den Demokraten und auch den Sozialdemokraten in Europa zu denken geben, denn gerade bei uns wird die EU von vielen auf den Stammtischen als das Rom der Neuzeit, ähnlich wie in der Hollywoodverfilmung, gesehen. Douglas' Vermächtnis ist, dass wir alle Spartacus sind. (Daniel Witzeling, 17.2.2020)

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