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Die Welt ist abhängig von China: In den letzten Jahren wurde nahezu die gesamte Antibiotika-Produktion dorthin verlegt. Mit Kampfpreisen wurde der Markt unterwandert. Die Corona-Krise macht diese Abhängigkeit sichtbar.

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Das neue Coronavirus hat in den am stärksten betroffenen Gebieten Chinas die Wirtschaft lahmgelegt. Die Vorsichtsmaßnahmen gegen das in Wuhan neu entstandene Coronavirus sind drastisch. Städte wurden gesperrt, Firmen blieben geschlossen, und große Menschenansammlungen wurden verboten. Alles, damit sich das 2019-nCoV nicht weiterverbreitet. Dieser Plan dürfte auch tatsächlich funktioniert haben. Die Krankenzahlen stagnieren. Durch die Pandemie könnten nun allerdings Probleme auftauchen, die auch für die westliche Welt tatsächlich schwerwiegender als das Virus sind.

STANDARD: 2019-nCoV ist ein Virus, also ein Infekt, der nicht mit einem Antibiotikum bekämpft werden kann. Sie sagen, dass die Corona-Epidemie Folgen haben könnte, die massive Beeinträchtigungen bringen könnten. Wie meinen Sie das?

Hosseini: In den letzten 30 Jahren ist nahezu die gesamte Antibiotika-Produktion nach China verlagert worden. Dort werden die wichtigen Vorstufen für diese Medikamente hergestellt. Eine ganze Reihe von Produktionsstätten ist in der Provinz Hubei, also dort, wo zur Eindämmung des Virus Betriebe geschlossen bleiben und die Quarantäne-Maßnahmen jede Form von Warentransfer verhindern. Es ist also eine Frage der Zeit, dass die Antibiotika ausgehen werden. Und das macht mir Sorgen.

STANDARD: Auf Nachfrage beim österreichischen Arzneigroßhandel hieß es, dass momentan alle Antibiotika verfügbar sind, auf Vorhersagen über die Zukunft wollte man sich allerdings nicht einlassen, weil da der Einblick fehlt. Wie interpretieren Sie das?

Hosseini: Da würde ich kurz technisch werden, weil es zum Verständnis des Problems beiträgt. Die Antibiotika-Produktion findet in drei Stufen statt. Die ersten beiden Stufen, also das Erzeugen der Ausgangsbasis für die wichtigsten Medikamente und zunehmend auch der zweite Schritt, die chemische Modifikation, finden heute fast ausschließlich in China statt. Sogar Indien bezieht mittlerweile den Großteil seiner Ausgangsstoffe von dort. Das war ein strategisches Ziel der Chinesen, das sie erreicht haben. Nur das Pressen der Tabletten und die Verpackung der Antibiotika finden dann in den Ländern außerhalb Chinas statt. Dort wartet man auf die Lieferungen, und wir wissen, dass es bereits im Jänner Hinweise gegeben hat, dass es in der Beschaffung dieser Ausgangsstoffe zu Problemen kommt.

STANDARD: Es gibt aber doch unterschiedliche Antibiotika. Kommen sie alle aus China?

Hosseini: Penicilline und Cephalosporine machen circa 80 Prozent der weltweit verwendeten Antibiotika aus. China hat sich genau auf die Produktion dieser Medikamente spezialisiert und in den letzten 20 Jahren durch einen knallharten Preiskampf dafür gesorgt, dass Produktionsstätten in Europa geschlossen werden mussten. Dass wir in diesem so wichtigen Bereich der medizinischen Versorgung komplett abhängig sind, ist den wenigsten bewusst. Eine Pandemie wie die jetzige könnte das schmerzlich ins Bewusstsein rufen. Ich denke, dass diese Abhängigkeit extrem gefährlich und langfristig nicht haltbar ist.

STANDARD: Liegt das alles daran, dass China so billig produziert?

Hosseini: Im Grunde genommen liegt es daran, dass wir hier in den reichen westlichen Ländern nicht bereit sind, für Antibiotika zu bezahlen. Als Unternehmensberatung hat Roland Berger diesen Preisverfall analysiert. Für eine Tagesdosis Antibiotika werden in Deutschland durchschnittlich 16 Cent bezahlt. Durch diverse Rabatte und Verhandlungen mit den Krankenkassen ist es aber oft so, dass tatsächlich nur sechs Cent bezahlt werden. Damit ein Antibiotika-Hersteller, der in Deutschland produziert, wirtschaftlich gesichert arbeiten kann, müsste man allerdings 46 Cent bezahlen. Und das passiert nicht.

STANDARD: Weil es einen massiven Preiskampf bei Arzneimitteln gibt, meinen Sie?

Hosseini: Genau. Die Produktion der Antibiotika wurde nach China verlagert, und hier in den Ländern der westlichen Welt setzt man bei der Versorgung mit Arzneimitteln aber weiter auf die Prinzipien des freien Marktes. Antibiotika wie Penicillin oder Cephalosporine sind generisch. Und dort tobt ein erbitterter Preiskampf. Es sind die Verantwortlichen in den Gesundheitssystemen, die Druck ausüben, um den niedrigstmöglichen Preis zu zahlen. Da gibt es Rabattforderungen, Ausschreibungen von Spitälern, die Krankenkassen machen Druck. Bei so wichtigen Arzneimitteln wie den Antibiotika ist diese Dynamik unverantwortlich.

STANDARD: Wie gegensteuern?

Hosseini: Durch gezielte Maßnahmen die Produktion wieder zurück nach Europa bringen, weil viele Kranke nur durch Antibiotika überleben. Wir haben uns das ausgerechnet. In Deutschland würde das für eine der wichtigsten Substanzklassen, die Cephalosporine, 55 Millionen Euro kosten. Das sind 0,25 Prozent der gesamten Arzneimittelkosten. Die Entscheidung, dies zu tun, liegt in den Händen der Politik. Wir warnen seit drei Jahren. Ohne Erfolg.

STANDARD: Warum kommt es zu keiner Lösung?

Hosseini: Weil sich die Verantwortlichen und Stakeholder im System gegenseitig die Verantwortung zur Lösung des Problems zuschieben. Die Krankenkassen haben limitierte Budgets, die Spitalsbetreiber müssen wirtschaftlich denken. Doch wenn nichts passiert, dann könnte es in der Zukunft Situationen geben, die tatsächlich für viele lebensbedrohlich werden. Antibiotika sind zu wichtig, um hier nachlässig zu sein. Die Politik muss Anreize schaffen, um den Preisdruck zu minimieren.

STANDARD: Wie viele Antibiotika werden gebraucht?

Hosseini: Der Bedarf in Deutschland für die Antibiotika-Klasse der Cephalosporine beträgt 100 Tonnen pro Jahr, in Europa 500 Tonnen. Das haben wir berechnet. Der Antibiotika-Markt ist durch die Entwicklungen der letzten Jahre relativ intransparent geworden. Die starke Konzentration bei wenigen Herstellern ist den wenigsten bewusst.

STANDARD: Sollten sich die Menschen Sorgen machen?

Hosseini: Ich warne vor Engpässen, weil sie sich durch die derzeitige Situation in China verschärfen. Auch die Chinesen haben Lagerbestände. Doch langfristig müssen wir bei Antibiotika wieder unabhängig werden. Das sollte auch die derzeitige Krise zeigen. Es wäre wichtig, dass europäische Politiker das so sehen und Initiativen setzen. (Karin Pollack, 12.2.2020)