Charts-Stürmerin Katja Krasavice in ihrem Video "Rodeo". Hochspannung bieten höchstens die Leitungen im Hintergrund.

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Zur Kultur gehört der Kulturpessimismus. Im populären Fach ist er so etwas wie ein Schatten des Guten geworden; seit der Regentschaft des Netzes mit seinen Milliarden Zitzen erreichen vielfach Dinge und Personen Aufmerksamkeit, die das eigene Dasein nicht direkt mit Mehrwert versorgen. Diese relativ neuen Phänomene finden ihren Weg mitunter in alte Formate wie die Charts. Diese bildeten lange Zeit im Wesentlichen das ab, was im Radio gespielt wurde. Das ist nun schon länger nicht mehr so.

Youtube und Streamingdienste haben die Charts verändert. Was dort mitunter epidemisch vertreten ist, läuft nicht mehr zwingend im Plätscherradio. Abgesehen davon, dass die Reime eines, sagen wir, Raf Camora nur bedingt frühstückstischtauglich sind. Die Charts sind eine Parallelwelt geworden.

Letzte Woche rangierte in den Austrian Charts auf Platz zwei Katja Krasavice mit ihrem Debütalbum Boss Bitch. Die beiden "s" von Boss sind als Dollarzeichen gesetzt, auf das muss man einmal kommen. In ihrer Heimat Deutschland ist die in Tschechien geborene Kunstblonde damit seit drei Wochen auf Platz eins der Charts, in der Schweiz immerhin auf Platz fünf. Hierzulande sackte sie diese Woche auf Platz 24 ab.

Sechsi Sechste

Die allwissende Müllhalde Wikipedia führt die 23-Jährige als Vertreterin der Genres Lifestyle und Sexualität. Mit diesen exklusiven Kompetenzen ausgestattet, betreibt Krasavice zwei millionenfach besuchte Youtube-Kanäle; wegen überzogener Freizügigkeit sperrte Youtube schon einmal einen davon.

Natürlich steigerte das nur ihre Bekanntheit, die ihr schon 2018 einen Platz bei Promi Big Brother eintrug. Dort fiel sie unter anderem dadurch auf, dass sie in der Badewanne mit dem Duschkopf hochbegabt masturbierte. Das war so sechsi, dass sie Sechste wurde.

Gehirnchirurgisch erfahren

Bekanntheit ist die Währung der Leipzigerin, beleidigen kann man sie nicht leicht. In einem Onlinevideo stellt sie sich kichernd harten Fragen. Etwa wie es sich anfühlt, mehr Silikon in den Brüsten als Hirn im Kopf zu haben. "Das ist wunderschön", sagt sie und setzt gehirnchirurgisch erfahren nach: "... und fasst sich besser an als ein Gehirn."

KATJA KRASAVICE MUSIC

Zu ihren Lieblingswörtern zählt geil, der Rest kommt mit S-Fehler aus aufgespritzten Lippen. Ihrer Eigenwahrnehmung nach ist sie großzügig, warmherzig und ehrlich, ihr Verhältnis zum Weltfrauentag ausbaufähig. Danach gefragt, sagt sie: "An dem Tag kam ein Junge zu mir. Wir hatten Sex und wussten gar nicht, dass Weltfrauentag ist. Äh – dann hab ich gemerkt, dass das ein ganz wichtiger Tag für die Frauen ist – äh, ja. Hab ich vergessen."

Tanga und Sexpuppe

Beste Voraussetzungen also für so etwas wie Boss Bitch, das zuerst den Namen Double Penetration tragen sollte. Es ist nach diversen Einzelstücken das erste Album Krasavices. Ein limitiertes Boxset beinhaltet neben der CD eine Sexpuppe nach Vorlage der – äh – Künstlerin sowie einen angeblich von derselben schon einmal getragenen Stringtanga mit der Aufschrift "Bitch".

KATJA KRASAVICE MUSIC

Beides soll nach den Amazon-Bewertungen eher unbefriedigend sein. Der Tanga rieche zu stark, die Puppe soll aus anatomischen Gründen nicht zu gebrauchen sein. "Hatte da schon bessere Sexpuppen für einen günstigeren Preis", schreibt ein enttäuschter Käufer in den Bewertungen.

"Marterpfahl" und "anal"

Was uns letztlich zur Musik bringt: Die kommt aus dem vielgelittenen Bereich des Hip-Hop. Zu Klangschablonen aus dem B-Zug reimt Krasavice schwierige Wörter wie "Marterpfahl" auf "anal" – und bewegt sich auch in anderen Titeln wie Gucci Girl, Sugar Daddy oder Lolli nicht von ihrem angestammten Terrain. Ihr Wien-Konzert im März im Flex ist ausverkauft.

Mit weiblicher Selbstermächtigung hat das nur am äußersten Rand der Matratze zu tun. Krasavice wälzt bloß Klischees, die kaum je auf das Gehirn zielen. Aber das fühlt sich ja auch nicht so wunderschön an. (Karl Fluch, 12.2.2020)