Seit einer guten Woche hält uns der Bundeskanzler der Republik Österreich mit angeblichen Missständen in der Justiz in Atem.

Es begann mit einem kalkulierten Wutausbruch von Sebastian Kurz bei einem "Hintergrundgespräch" vor 40 Journalisten. Die Justiz sei mit roten Socken durchsetzt, die immer nur ÖVP- und FPÖ-Leute verfolgen und brave ÖVP-nahe Manager und Politiker jahrelang davon abhalten, ihren Geschäften nachzugehen. Am (vermeintlichen) Endpunkt stand ein "runder Tisch", man könnte auch sagen, eine Vorladung, ins Bundeskanzleramt, wo Kurz der grünen Justizministerin Alma Zadić und Vertretern der Staatsanwaltschaft erklärte: Ihr reißt euch jetzt gefällig zusammen, dann kriegt ihr auch (vielleicht) mehr Geld. In der "ZiB 2" bei Armin Wolf dann eine seiner meisterhaften Performances, bei denen er auf unangenehme Fragen (schein)plausible Antworten gab.

Kurz als Herr des Verfahrens. Aber doch nicht ganz. Die Justiz-Inszenierung war gut, aber sie hat Schwachstellen. Selten beschäftigt sich Kurz mit einem Thema (außer der "illegalen Migration") so intensiv wie jetzt mit der Justiz. Selten wirkt er so genervt. Was könnte der Grund sein?

Bundeskanzler Sebastian Kurz hält Österreich in Atem.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Der nächste Satz muss lauten: Es gilt die Unschuldsvermutung. Es geht im Kern um den Verdacht, dass es rund um personelle Deals in der teilstaatlichen Casinos AG (aber nicht nur dort) einen Abtausch zwischen der damaligen Regierungspartei FPÖ und einem privaten Casinos-Großaktionär gegeben hat: Zustimmung zu einem blauen Vorstandsposten gegen ausgeweitete Glücksspiellizenzen. Dieser Verdacht ist die Basis massiver Aktionen der WKStA: Hausdurchsuchungen, Handy-Beschlagnahmungen bei Politikern und Managern.

Unschuldsvermutung

Der Punkt ist, es ist unplausibel, dass in so einem Deal die Entscheidung ohne ÖVP abläuft. Tatsächlich hat sich H.-C. Strache am 11. Februar 2019 per SMS beim damaligen Finanzminister (und Kurz-Vertrauten) Hartwig Löger für die Bestellung eines blauen Protektionskindes in der Casinos AG bedankt. Löger antwortete mit einem Daumen-hoch-Symbol – und wollte nachher weismachen, das habe "Lass mich in Ruh!" bedeutet. Kurz selbst drohte jedem Klage an, der ihm oder der Volkspartei strafrechtlich relevante Dinge unterstelle. Es gibt bisher nur einen indirekten Hinweis in einer Nachricht des Chefs des privaten Casinos-Aktionärs an den damaligen Kabinettschef von Löger über ein "Meeting mit Seb". Die WKStA nimmt an, dass damit Sebastian Kurz gemeint ist. Unschuldsvermutung.

Der Bundeskanzler riskiert aber mit seinem – unzuständigen – Eingriff in die Justiz, dass man ihm eine Art lächelnden Orbánismus vorwirft. Das Erste, was autoritäre Regime tun, ist, die kritischen Medien und die Justiz auszuschalten.

In diesem Zusammenhang eine letzte, interessante Entwicklung: Der "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk schreibt auf Twitter von dem Gerücht, die ÖVP spiele mit dem Gedanken, die Veröffentlichung von Justizakten generell zu verbieten. Darauf kommt blitzartig die Antwort der Justizministerin Zadić: "Das steht nicht im Regierungsprogramm, weil sich hier die Grünen durchgesetzt haben." Die grüne Klubobfrau Sigi Maurer tweetet: "Zum Glück sind wir ja auch noch da, und so etwas wird es mit uns nicht geben."

Zwischenbilanz: Es besteht kein Zweifel, dass der Kanzler recht erfolgreich, aber mit für Kenner merkbaren Fehlern versucht, die Meinungsvorherrschaft in Sachen Justiz zu erringen. An der grünen Justizministerin wird es liegen, die Justiz funktionsfähig zu halten. (Hans Rauscher, 12.2.2020)