Die Justiz ist seit Jahren unterfinanziert. Die Regierung verspricht mehr Geld – ob das ausreichen wird, um den Normalbetrieb aufrechtzuerhalten, ist allerdings ungewiss.

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Ein chronisch ausgehungerter Apparat mit viel zu wenig Personal, der Verfahren ins Endlose verschleppt: Dieser Eindruck von der Justiz drängt sich angesichts der laufenden Debatte auf. Wie dramatisch steht es tatsächlich um die Arbeit in Österreichs Rechtssystem? DER STANDARD hat die Zustände anhand von Zahlen überprüft.

VERFAHRENSDAUER

Viel zu lang dauerten Verfahren in Österreich, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz in den vergangenen Tagen mehrmals. Und niemand würde es wagen, ihm zu widersprechen: Viel zu präsent sind sich ewig hinziehende Strafprozesse wie die Causen Buwog oder Meinl. Wer einen Blick auf europaweite Statistiken wirft, erhält ein anderes Bild (siehe Grafik). Da schneidet Österreich sogar außergewöhnlich gut ab, was die Verfahrensdauer in erster Instanz betrifft. Die Erledigungsdauer variiert jedoch stark. Strafverfahren sind am Bezirksgericht typischerweise nach 19 Tagen erledigt, am Landesgericht nach etwas mehr als einem Monat. Viel länger dauert ein Abschluss bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Konkrete Angaben macht die Behörde auf Anfrage des STANDARD keine: Aufgrund der großen Unterschiede zwischen den einzelnen Verfahren wäre eine Durchschnittszahl irreführend, meint der Sprecher. Und nennt ein Beispiel: Eine Causa Buwog, die äußerst prominente Beschuldigte umfasst, sei auf ganz andere Weise komplex als ein großes Betrugsverfahren ohne Promis, dafür mit mehr Geschädigten.

Fest steht, dass sich die WKStA mit umfangreicheren Causen herumschlagen muss als andere Anklagebehörden. Unmengen an Daten müssen oft aus dem Ausland beigeschafft und ausgewertet werden, dafür braucht es wiederum mehrere Sachverständige, die fürs Befunderstellen ihrerseits mehrere Monate beanspruchen. Die Beschuldigten in diesen Verfahren können sich – anders als der kleine Ladendieb – häufig sehr teure und engagierte Anwälte leisten, die sämtliche Rechtsmittel ausschöpfen, auch das erhöht die Verfahrensdauer. Zusätzliche Verzögerungen bringen die vielfältigen Berichtspflichten an übergeordnete Dienstbehörden.

Dazu kommt, dass die Zahl der bei der WKStA anhängigen Verfahren von 2014 bis 2017 um rund ein Viertel angestiegen ist. Da ist es fast schon verwunderlich, dass der Median der Erledigungsdauer zwischen 2014 und 2016 von nur 0,1 Monaten auf 0,2 Monate angestiegen ist.

Fakt sei aber auch, "dass Arbeit liegenbleibt", sagt Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung, und erklärt dies mit einem Mangel an Kanzleikräften, "Fachdienste" im Justizjargon: "Das ist unser größtes Problem."

Podcast: Was Kurz mit seinem Angriff auf die Justiz bezweckt.

PERSONALABBAU

Daten untermauern die Klage der Standesvertreterin. Nur jede zweite freie Stelle wird nachbesetzt, lautet seit Jahren das Credo im öffentlichen Dienst, da blieb auch die Justiz nicht verschont. Der Personalstand sank seit 2015 von 7.261 um 330 auf 6.931 Stellen im Vorjahr. Abgesehen von 50 Richteramtsanwärtern weniger gingen die Einbußen ausschließlich auf Kosten des Verwaltungsdiensts.

Am Landesgericht Salzburg etwa kämen auf 17 für Strafrecht zuständige Richter nur mehr drei Kanzleileiter, rechnet Matejka vor, ein vernünftiges Verhältnis wäre zwei zu eins: Dies verzögere die bürokratische Arbeit rund um einen Akt und führe zu Flüchtigkeitsfehlern, was erst recht wieder die Dauer der Verfahren erhöhe. "Außerdem laufen uns die Leut' davon, weil sie die Arbeitsbelastung nicht mehr aushalten", sagt Matejka. Beim Fachdienst hat sich die Zahl der Tage im Krankenstand von 10,14 im Jahr 2010 auf 12,82 im Jahr 2018 erhöht.

So sehr Kurz nun Verständnis für die Nöte der Justiz demonstriert, so wenig hat sich dies in seiner bisherigen Politik niedergeschlagen. Der von seiner türkis-blauen Regierung im gültigen Finanzrahmen beschlossene Personalplan sieht für die Justiz – diesmal gerechnet inklusive Strafvollzugs – einen weiteren Abbau um 349 Posten von 11.900 (2019) auf 11.551 Stellen im Jahr 2022 vor.


BUDGETNOT

Mit 90 Millionen Euro hat Clemens Jabloner, Justizminister der Expertenregierung, den Mehrbedarf für das heurige Jahr beziffert, womit aber noch keine zusätzliche Stelle finanziert, sondern nur der laufende Betrieb abgesichert wäre. Erklärung: Jahr für Jahr kommt das Justizressort nicht mit dem aus, was ihm im Budgetvoranschlag zugeteilt wird, seit 2013 schwankte die Unterdotierung zwischen 22.000 und 168.000 Euro. Letztlich wurden die Lücken über Rücklagen abgedeckt – man kann das Personal ja nicht einfach unbezahlt lassen.

Unterm Strich ist das Justizbudget von 2003 bis 2018 um 80 Prozent auf 1,64 Milliarden gestiegen, also deutlich stärker als die Inflation. Der Anteil am Gesamtbudget wuchs von 1,48 auf 2,11 Prozent. Doch das Plus täuscht. Erstens war mancher Sprung mit zusätzlichen Aufgaben verbunden, zweitens steigen die Gehälter für die Mitarbeiter und die Kosten in bestimmten Bereichen – zuletzt etwa für die medizinische Versorgung für Häftlinge. Wachsende Budgets und Personalabbau sind deshalb kein Widerspruch.

Da schließt sich der Kreis. Mitarbeitermangel sei nicht die einzige Folge fehlenden Geldes, sagt Matejka, zum Beispiel laufe auch die Digitalisierung von Gerichtsakten langsamer als geplant. Genau von dieser Neuerung erhofft sich die Regierung aber nun deutlich schnellere Verfahren. (Gerald John, Maria Sterkl, 12.2.2020)