Das Arbeitsleben der Sozialberufe kreist um schwere Krankheiten, aber auch Drogen, Alkohol – und die Liebe zum Menschen.

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Elisabeth Schwarz' Arbeitsleben spielt sich zwischen Alkoholkranken und Drogensüchtigen ab. Sie betreut Jugendliche, die nach Motorradunfällen querschnittsgelähmt sind, Patienten nach schweren Schlaganfällen und Sterbende im Hospiz. Seit 35 Jahren leistet sie in Wien mobile Heimhilfe, 38 Stunden in der Woche. "Wer diesen Beruf macht, muss Menschen lieben", sagt sie. Ein Jahr hat sie noch bis zur Pensionierung. "Mittlerweile aber bin ich ausgebrannt und kaputt."

Schwarz ist für den Pflegedienst der Caritas Socialis ab halb sieben Uhr auf Achse. Um halb drei hat sie für zwei Stunden Pause, die sie aufgrund des engen Zeitkorsetts meist im Auto verbringt. Abendschichten ziehen sich bis nach 21 Uhr. Zweimal monatlich hat sie Wochenenddienst. Geht die Grippe um oder häufen sich Urlaube der Kollegen, werden es drei.

Es sei nicht nur die emotionale Belastung, die mit der Pflege von Schwerstkranken verbunden sei, die an einem zehre. "Es ist dieses stete Einspringen, Aushelfen, Auf-Abruf-bereit-Sein", was einen unaufhaltsam auslauge, erzählt sie. Der Einfluss auf oft täglich wechselnde Dienstpläne sei gering. Zu unberechenbar seien Krankheiten und Spitalsaufenthalte.

Podcast: 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn – ein Modell für alle Österreicher?

Hohe Fluktuation

Schwarz sah viele ihrer jüngeren Kolleginnen in den vergangenen Jahren den Job hinwerfen. Die meisten seien nicht länger als vier, fünf Jahre geblieben. Viele wechselten lieber zu Ärzten, als sich in der privaten Heimhilfe zu verdingen. "Viele Praktikanten sind entsetzt, unter welchen Bedingungen wir arbeiten." Sie selbst habe es sich als alleinerziehende Mutter nicht leisten können, darauf zu verzichten. Auch sei das Arbeitsumfeld vor 30 Jahren noch sozialer gewesen. Jetzt gehe es um eine halbwegs vernünftige Pension. An die 1.700 Euro verdient sie netto im Monat, "mit vielen Überstunden".

Österreichs Sozialberufe stehen dieser Wochen unter starker Beobachtung der Politik wie der Wirtschaft. Die Forderung, mit der die Arbeitnehmer in die aktuellen Gehaltsverhandlungen für die rund 125.000 Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich gingen, ist zwar nicht neu, wurde jedoch nie zuvor mit dieser Vehemenz vorgetragen.

Vor kurzem begleitete DER STANDARD die 24-Stunden-Betreuerin Renáta M. bei ihrer Arbeit.
DER STANDARD

35-Stunden-Woche als Zankapfel

Seit fünf Jahren verlangen Gewerkschafter eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Reagiert wurde darauf nie. Was die Arbeitnehmer nun dazu anstieß, die 35-Stunden-Woche zu ihrem einzigen Begehren zu machen und dies mit Streiks zu untermauern. Seither steigt die Nervosität in den Ländern und der Wirtschaftskammer.

Erstere finanzieren die Branche über öffentliche Zuschüsse – höhere Personalkosten bringen also auch die Länder als Geldgeber unter Zugzwang. Die Wirtschaftskammer wiederum fürchtet einen Präzedenzfall: Kommt die Sozialwirtschaft mit ihrer Forderung durch, wäre dies die erste Arbeitszeitverkürzung im Rahmen eines Kollektivvertrags. Und hat die Gewerkschaft hier erst einmal den Fuß in der Tür, stoßen in den kommenden Jahren wie das Amen im Gebet weitere Branchen nach, so der Tenor der Kämmerer.

Sozialarbeiter wollen die Wochenstunden per Kollektivvertrag reduzieren. Wirtschaftskammer und Länder sind nervös.
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Kompromiss zeichnet sich ab

Hinter den Kulissen zeichnete sich in der zweiten und dritten Verhandlungsrunde ein Kompromiss ab. Ein Etappenplan wurde geschmiedet. Er sah eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit bis 2025 vor, alternierend mit einer Lohnerhöhung. Doch der Vorstoß etlicher großer Arbeitgeber scheiterte vorerst am Widerstand aus den eigenen gespaltenen Reihen. Zumal ja auch die Politik ein Wörtchen mitzureden hat.

Die Argumente der Arbeitgeber wiegen durchaus schwer. Zum einen will die Sozialbranche nicht die Erste sein, die in Österreich die Tür zur kürzeren Arbeitszeit aufstößt. Zum anderen kämpft sie traditionell mit massiven Personalengpässen. Eine 35-Stunden-Woche würde den Mangel noch einmal künstlich verschärfen, warnt Walter Marschitz, Chefverhandler der Sozialwirtschaft Österreich.

Sorgenkind stationäre Pflege

Er sieht die stationäre Pflege als größtes Sorgenkind. Sie werde gut zur Hälfte von Vollzeitmitarbeitern bedient und leide unter großer Personalnot. Genügend Betten für die Pflege ließen sich daher bereits jetzt nicht bereitstellen. "Wir haben Verantwortung für unsere Kunden, wir setzen hier unsere Kernaufgaben aufs Spiel." Dass es in Summe bessere Rahmenbedingungen für Sozialberufe braucht, stellt Marschitz nicht in Abrede. "Das lässt sich aber nicht über den Kollektivvertrag lösen."

Marschitz berichtet von der Demografie, die den Bedarf an Pflege laufend erhöhe und daher gegen die Branche arbeite. Und er führt den immer schlechteren Gesundheitszustand der Patienten in den Pflegeheimen ins Treffen. Die Kriterien für ihre Aufnahme seien aus Kostengründen nach oben geschraubt worden – mit der Folge, dass nur noch Menschen mit hoher Pflegestufe Eingang fänden. Das wiederum bedeute Mehrbelastung fürs Personal, der nicht mit besseren Personalschlüsseln Rechnung getragen werde.

Fakt ist freilich auch: Der überwiegende Teil der Stellen in der Pflege in Österreich ist als reine Teilzeitarbeit konzipiert. Ziel ist es, Spitzenzeiten in der Betreuung der Patienten abzufedern. Viele Beschäftigte arbeiten täglich nur vier bis fünf Stunden. Finanziell über die Runden kommen sie damit nicht, einen zweiten Job lassen die unregelmäßigen Arbeitszeiten aber ebenso wenig zu.

Kaum Männer

Zugleich schwinden Vollzeitstellen. Nicht weil der Arbeitsmarkt sie nicht hergeben würde, sondern weil die in der Sozialbranche Beschäftigten 40-Stunden-Jobs körperlich und psychisch nicht über längere Dauer bewältigen. Elisabeth Schwarz ist überzeugt davon, dass etliche ihrer ehemaligen Kollegen in den Job zurückkehren würden, wenn sich die Arbeitszeiten verkürzen und Löhne erhöhen würden. Da und dort könnte sich dann auch ein Mann unter ihre Reihen mischen. Diese sind in der Sozialbranche bisher nämlich Mangelware. "Wie soll man hier auch eine Familie erhalten?", fragt sich Schwarz.

Für Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschaftsforschungsinstitut ist eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit ein wesentlicher Puzzlestein, um die Arbeitsbedingungen im Sozialbereich zu verbessern. "Auch wenn es anfangs sicherlich schwieriger wird, den Bedarf an Mitarbeitern zu decken." Entscheidend sei es, die starke Fluktuation bremsen. Und kürzere Arbeitszeit sei einer von vielen Wegen dorthin.

Die Streiks in der Branche erreichen am Mittwoch ihren Höhepunkt. Für die Klienten seien sie mit keinem Schaden verbunden, versprechen Gewerkschafter. Da und dort soll es bisher lediglich kaltes statt warmes Essen gegeben haben. (Verena Kainrath, 13.2.2020)