Ein deutsches Institut widmet sich in einer Studie dem Wiener Wohnungsmarkt.

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"Wien ist kein Vorbild", schrieben "Spiegel" und "Stern" kürzlich in großen Artikeln. Überraschenderweise ging es darin ums Wohnen. Gerade da war Wien beziehungsweise das sogenannte "Wiener Modell" in den vergangenen Jahren stets hoch gelobt worden. Was war passiert?

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID), ein Dachverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, hatte das Institut Empirica mit einer Studie beauftragt. Diese wurde nun veröffentlicht. Das Fazit lautet: Für die Deutschen wäre es wohl besser, sich in Sachen Wohnen woandershin zu orientieren.

Aufräumen mit Mythen

Dass es in Bezug auf das Wohnungswesen in Wien diverse Mythen gibt, die in Deutschland in Umlauf sind (und es hartnäckig bleiben), ist ein Fakt. Die Studie räumt aber nicht nur mit diesen Mythen auf (etwa dass in Wien alle Mieten gedeckelt seien – das ist bekanntlich nicht der Fall), sondern stellt dann auch (fundierte) Berechnungen und (wenig fundierte) Schlussfolgerungen an, warum das Wohnen in Wien nicht wirklich billiger sein sollte als in Berlin oder Hamburg.

Einerseits wird von den Studienautoren des Empirica-Instituts, Harald Simons und Constantin Tielkes, ein erheblicher Aufwand betrieben, um die Mietberechnungssysteme in Österreich und Deutschland halbwegs vergleichbar zu machen ("nettokalt" vs. "bruttokalt", deutsche Neuvertragsmieten gemäß den Mikrozensus-Auswertungen der Statistik Austria nachgerechnet et cetera). In fast allen diesen Berechnungen schneidet Wien etwas besser ab als Berlin, substanziell besser als Hamburg (sofern man Unterschiede in der Miethöhe von mehr als einem Euro pro Quadratmeter als substanziell betrachtet) und ganz beträchtlich besser als München.

Andererseits werden diese Ergebnisse dann mit dem Verweis auf schlechtere Rahmenbedingungen für Mieter in Österreich – Ablösen und Eigenmittel im geförderten Wohnbau, die vielen "sachgrundlosen Befristungen" (die gleich mehrmals genannt werden) und schließlich auch das niedrigere Einkommensniveau in Wien (im Vergleich mit Hamburg und München) – ganz salopp und ohne sich in Details zu verlieren einfach umgedreht. "Der Altbaumieter ist in Wien schlechter gestellt als in Hamburg oder Berlin", so lautet dann eben das Fazit.

Schlechte Datenlage

Passagen wie diese lassen schon erahnen, dass die Studie auf ein bestimmtes Ergebnis hin getrimmt worden sein könnte. Dazu passt, dass man sich mit den tatsächlich ja unerklärlichen Absurditäten des österreichischen Richtwertsystems und all seinen Auswirkungen (die vielen Befristungen, der gefühlt schon ewig andauernde Kampf darum, wer für die Instandhaltung zuständig ist, um nur zwei Beispiele zu nennen) lange auseinandersetzt, mit den wahren Assets des österreichischen Wohnbausystems – der Gemeinnützigkeit und der Finanzierung über die Einhebung des Wohnbauförderbeitrags – aber nicht sehr lange aufhält.

Verwiesen wird auf die angeblich sehr viel schlechtere Datenlage in Österreich gegenüber Deutschland (Dachgeschoßausbauten in Wien werden etwa seit vielen Jahren nicht an die Statistik Austria gemeldet). Das mag für die Erhebung des Neubauvolumens stimmen; was Marktdaten betrifft, müsste man aber hier entgegnen, dass sämtliche Angaben über Miet- und Kaufpreise in Deutschland auf bloßen Angebotspreisen beruhen. Da das deutsche Grundbuch nicht öffentlich ist, gibt es keine tatsächlich erzielten Kaufpreisdaten.

Unerklärliche Befristungen

Dass in Österreich, anders als in Deutschland, die "sachgrundlose Befristung" eines Mietvertrags möglich ist (und von Vermietern im privaten und gewerblichen Segment wird davon auch zunehmend Gebrauch gemacht), wird völlig zu Recht als großes Problem erkannt. Dass es in manchen Bundesländern (darunter eben auch Wien) sehr hohe Einkommensgrenzen im geförderten Wohnbau gibt, dass Mieter hier auch oft höhere fünfstellige Beträge an Eigenmitteln zahlen müssen, bevor sie in eine geförderte Wohnung einziehen können, und oft auch hohe Ablösen – das alles ist für österreichische Leserinnen und Leser nichts Neues. Für die war die Studie aber eben auch nicht gedacht.

Interessant ist sie in manchen Passagen trotzdem. Etwa beim Vergleich der Betriebskosten. Wiener Mieter zahlten hier 2018 im Schnitt wesentlich mehr (2,34 Euro je Quadratmeter und Monat laut Statistik Austria) als Mieter in Berlin und Hamburg (jeweils 1,60 Euro) und München (1,50 Euro). Ein beträchtlicher Unterschied; ob der nur mit dem großzügigeren österreichischen Betriebskostenkatalog erklärbar ist, wird man sich noch anschauen müssen.

Modernisierungsumlagen

Was in der Studie alles weggelassen wird, ist auch erhellend. "Bei größeren Instandhaltungsinvestitionen – wie zum Beispiel der Neueindeckung des Daches – kann vorübergehend die Miete erhöht werden", heißt es in der Zusammenfassung. Die Passage soll die schlechte Stellung der österreichischen Altbaumieter verdeutlichen (auch wenn es – wie es an anderer Stelle der Studie heißt – im Wiener Altbau "extrem einfach" sei, "eine Mietsenkung nach Vertragsunterzeichnung durchzusetzen"). Dass Mieterhöhungen für Modernisierungen auch in Deutschland möglich sind und zuletzt sogar so exzessiv betrieben wurden, dass die Politik erst kürzlich die Umlegung der Modernisierungskosten auf die Miete strenger regeln musste, wird dann nicht erwähnt (möglicherweise aber auch für deutsche Leserinnen und Leser vorausgesetzt).

Einige sachliche Fehler sind in der Studie auch passiert. Da ist an einer Stelle etwa vom "Wiener Mietrecht" die Rede, wo doch das ganze Wohnrecht Bundessache ist. Dass sich die Stadt Wien mit ihrer Schlichtungsstelle eine "eigene Gerichtsbarkeit" geschaffen hätte, ist deshalb eben auch insofern unrichtig, als die Möglichkeit des Außerstreitverfahrens in wohnrechtlichen Angelegenheiten auf Bundesgesetzen beruht; Schlichtungsstellen gibt es in zehn weiteren österreichischen Städten.

Wiener Wohnen "finanziell ausgezehrt"

Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit dem "System" Wiener Wohnen, also der Verwaltung der Wiener Gemeindebauten. Anerkennend wird erwähnt, dass Wiener Wohnen "nicht nur das größte Wohnungsunternehmen Europas, sondern sicherlich mit Abstand auch das mit den niedrigsten Mieten" sei. Daraus würden aber auch Herausforderungen resultieren: Die Mieterstruktur verschiebe sich in Richtung sozial schwacher Haushalte (worauf auch österreichische Wohnbauexperten immer stärker hinweisen), hohe Leerstandsquoten ließen zudem auf "Vermietungsschwierigkeiten" schließen. Wiener Wohnen (das aber kein eigenständiges Unternehmen, sondern eine Dienststelle des Magistrats der Stadt Wien ist) sei zudem "finanziell ausgezehrt".

"In der Summe wohnt es sich trotz allem in Wien im Durchschnitt nicht günstiger als in deutschen Metropolen und erst recht nicht sicherer, hochwertiger oder stressfreier", heißt es im Fazit der Studie. "Deutschen Städten kann daher nicht empfohlen werden, dem Wiener Beispiel zu folgen – ganz abgesehen von der Frage, woher die ganz erheblichen Mittel für den Aufbau des Wohnungsbestandes kommen sollen."

Und das ist wohl einer der Schlüsselsätze der Studie: Der Aufbau eines ganzen Systems der Wohnungsgemeinnützigkeit – in Deutschland von linken Parteien seit einigen Jahren wieder vermehrt gefordert – wird darin nicht empfohlen. Weil die Gemeinnützigkeit 1990 abgeschafft wurde, fallen in Deutschland heute selbst gefördert errichtete Wohnungen nach 25 oder 30 Jahren aus der Mietendeckelung raus. Zudem setzt Deutschland stärker auf Wohnbeihilfen (Subjektförderung) anstatt der in Österreich vorherrschenden Objektförderung (die Förderung des Baus von Wohnanlagen). Zu einem Urteil, ob die Objektförderung nicht besser wäre, weil so langfristig mehr preisgebundener Wohnraum entsteht, lassen sich die Autoren nicht hinreißen.

Lob für Wiener Bodenpolitik

Mit Empfehlungen halten sie sich generell stark zurück. Einzig die vorausschauende Bodenpolitik der Stadt Wien halten sie für nachahmenswert. Der Wiener Wohnfonds kauft sukzessive Flächen auf, um diese dann günstig an den geförderten Wohnbau weitergeben zu können.

Auch hier ist den Autoren allerdings ein Fehler unterlaufen, wenn sie von Kaufpreisen von 180 bis 250 Euro "pro Quadratmeter Bodenfläche" schreiben. In Wahrheit handelt es sich hier um auf die Wohnnutzfläche bezogene Grundkostenanteile.

"Durchaus interessant"

Durchaus anerkennend wird auch angeführt, dass Wien wesentlich mehr Geld für den Neubau bereitstellt als die beschriebenen deutschen Metropolen. Der geförderte Wohnbau in Wien könnte zwar "im Ergebnis durchaus ein interessantes Modell für Deutschland sein", heißt es an anderer Stelle, "da er überwiegend dem politischen Ziel einer Erhöhung der Eigentümerquoten dient". Dieses "überwiegend" würden wohl viele Menschen im österreichischen Wohnbausektor ausdrücklich nicht unterschreiben. Auch die "geringe Fluktuationsrate im geförderten Wohnbau", die die Studienautoren durchaus problematisch sehen (weil sie zu Fehlbelegungen führt), wird von vielen in Österreich als Auszeichnungsmerkmal verstanden (was allerdings auch in der Studie durchaus so gesehen wird).

Fazit: Die Studie legt in ihrer Intention, mit den in Deutschland weitverbreiteten Mythen über das "Wiener Modell" aufzuräumen, den Finger in so einige Wunden des österreichischen Wohnbau- und Wohnrechtssystems. Insofern wäre sie eine gute Ausgangsbasis, um die zahlreichen Baustellen – vor allem im Mietrecht – endlich anzugehen. Das Zusammenspiel aus der in Österreich jahrzehntelang verankerten, nie aufgegebenen und auch heute noch völlig unumstrittenen Wohnungsgemeinnützigkeit mit dem Wohnbauförderbeitrag scheinen die Autoren in all seiner Relevanz für das "Wiener" (eigentlich natürlich: österreichische) Modell aber nicht wirklich erfasst zu haben. (Martin Putschögl, 13.2.2020)