"Warum verdient einer, der Kabeln für Computer verlegt, weitaus mehr als jemand, der zu kranken Leuten geht und sie wäscht, damit sie besser leben können?", fragt Johannes Stephan, Betriebsrat der Volkshilfe, in die Runde. Ein Mechaniker erhalte für eine Stunde Arbeit in der Werkstatt 80 Euro, eine Heimhilfe in der gleichen Zeit 15 Euro. "Warum ist ein Auto mehr wert als die Menschen, die wir betreuen?"

In dem kleinen kargen Raum im Souterrain der Zentrale der Volkshilfe in der Wiener Favoritenstraße erhebt sich beifälliges Gemurmel. Knapp 50 Arbeiter und Angestellte der Wohlfahrtsorganisation finden sich hier zu einer Betriebsversammlung ein, die in einen dreistündigen Streik übergeht.

Es sind Frauen, die in der Sozialpsychiatrie oder in der Pflege arbeiten. Manche sorgen für Kinder in Wohngemeinschaften, die von Rechts wegen nicht mehr zu Hause sein dürfen. Andere betreuen Obdachlose, Flüchtlinge oder Drogenabhängige. Was sie miteinander verbindet: Sie wollen eine größere Anerkennung ihrer Arbeit durch die Gesellschaft. Es geht um höhere Löhne und mehr Freizeit.

Arbeit mit Kindern wird finanziell ebenso wenig gewürdigt wie die Pflege älterer Menschen. Sozialarbeit deckt beides ab.
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Erste Warnstreiks in der Sozialwirtschaft nehmen Fahrt auf. Alle 14 Tage sollen weitere folgen, reagieren die Arbeitgeber nicht auf ihren Ruf nach einer 35-Stunden-Woche. "Es wird eine heiße Partie, aber da müssen wir jetzt durch", sagt Gabriele Auer, die den Streik in der Volkshilfe organisiert.

Zwölf Stunden Arbeit am Stück seien in Österreich erst jüngst beschlossen worden, ruft sie in Erinnerung. "Was ist das Nächste? 14 Stunden? Das wirft uns dann wieder in Zeiten Victor Adlers hunderte Jahre zurück." Gemeinsam mit den Betriebsräten Jelena Bostan und Sonja Knoll rechnet sie ihren Kollegen vor, was sie in Zukunft verdienen sollten, setzt sich die Gewerkschaft bei den laufenden Kollektivvertragsverhandlungen mit ihrer Forderung nach kürzerer Arbeitszeit durch.

Wer einen Vertrag für 38 Stunden die Woche hat, soll künftig jeden Monat 14 Stunden mehr Freizeit erhalten. Teilzeitkräften stellt sie sechs Prozent mehr Gehalt in Aussicht. Wer etwa für 30 Stunden bisher 1.500 Euro brutto verdient, könnte jährlich 1.800 Euro mehr einkalkulieren. Wer mit bisher 20 Stunden auf 858 Euro monatlich kommt, habe im Jahr 1.036 Euro mehr auf dem Konto.

"Wir müssen auch für die Jungen, die uns nachfolgen, bessere Bedingungen schaffen", sagt Bostan. "Wobei es ja kaum noch welche davon gibt", wie sie bitter hinzufügt. Rund 10.000 Nachwuchskräfte kehrten nach ihrer Ausbildung der Pflege den Rücken, "weil sie die Arbeit nicht machen wollen", ergänzt Stephan. Trotzdem denke keiner nach, wie man diese Dienste an der Gesellschaft attraktiver machen könnte. Stattdessen produziere die Sozialbranche weiterhin Altersarmut. "Wollen wir an unserem Lebensabend kaputt sein und selbst von sozialen Zuwendungen abhängen?"

Kampf gegen Ungleichheit

In der Pause berichten Mitarbeiter über ihren Alltag, darüber, was sie antreibt, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. "Wir bauen Vertrauensverhältnisse zu den Klienten auf. Aber das braucht Zeit und Raum", sagt eine junge Sozialarbeiterin, die wohnungslosen Menschen dabei hilft, in neuen Unterkünften wie in ihrem Leben Fuß zu fassen. Sie sei allein in fremden Wohnungen oft mit Aggression, Eskalation konfrontiert, mit Drogen und Alkohol. 40 Stunden die Woche zu arbeiten sei auf Dauer schwer zu ertragen. "Mit Menschen in Krisen zu arbeiten ist einfach eine andere Art der Belastung, als im Büro zu sitzen." Ihr Motor für die Arbeit: Wohnen sei ein Menschenrecht. Und es tue ihr gut, zu erleben, was sichere Strukturen und Hilfe mit Leuten machten, wie diese zur Ruhe kämen.

Sozialarbeit ist für viele eine Herzensangelegenheit. Nur die Bedingungen sind für die meisten schwer zu ertragen.
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"Ich will weniger soziale Ungleichheit. Deswegen bin ich hier in diesem Job", meint eine Kollegin schlicht, die nach dem Studium an der Wirtschaftsuniversität auf eine wissenschaftliche Karriere verzichtete und sich der Sozialarbeit widmet. Aber auch für sie führt kein Weg an kürzeren Arbeitszeiten vorbei, denn die Leute schlitterten trotz Supervision reihenweise ins Burn-out. Es brauche in dieser Arbeit Zeit für Regeneration und Reflexion, sagt sie, sonst fehle dafür letztlich der notwendige professionelle Abstand.

Eine ältere Mitarbeiterin erzählt über den Job als Besuchsdienstdame, der so oft verharmlost und abgetan werde, was sich in magererem Salär widerspiegelt. "Aber für manche Leute bin ich die einzige Bezugsperson nach außen."

Sachlich und ruhig laufen die Debatten unter den Volkshilfe-Mitarbeitern ab. Mehr als 250 weitere Betriebe beteiligen sich an den Streiks. Vor dem Sozialministerium beherrschen derweil Trillerpfeifen, scharfe Parolen und und Plakate das Szenario. Gut tausend Beschäftigte aus 13 verschiedenen Organisationen im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich trotzen Kälte und Sturm.

Praktikantengehalt trotz Titels

Ihr Protest am Wiener Stubenring zielt nicht nur auf Löhne und Arbeitszeiten ab. Es geht vor allem auch um Respekt und Anerkennung. Er werde behandelt wie ein "Pädagoge zweiter Klasse", ärgert sich ein Mittdreißiger, der in der Nachmittagsbetreuung einer Schule arbeitet: Es fehle an Respekt der Lehrer gegenüber seinen Kollegen und ihm. Betriebliche Entscheidungen würden oft über die Köpfe der Nachmittagsbetreuer hinweg gefällt. Was er sich wünscht? "Dass die Schulen erkennen, dass auch wir in wichtigen Bereichen arbeiten." 1.350 Euro für 32 Wochenstunden verdiene er. "Ich will Respekt – auch durch eine Gehaltserhöhung."

Wie der Pädagoge haben auch viele andere Demonstranten eine vollwertige akademische Ausbildung. Auf dem Gehaltszettel schlage sich das nicht nieder, was ihnen sauer aufstößt. Zwei akademische Titel habe sie, sagt eine Arbeitsmarktexpertin, die Menschen bei der Wiedereingliederung in den Jobmarkt hilft – etwa wenn sie ihren ursprünglichen Beruf durch einen Arbeitsunfall nicht mehr ausüben können. Und sie macht ihrer Empörung Luft: "Ich arbeite seit 40 Jahren in dieser Branche und verdiene so viel wie ein Praktikant im öffentlichen Dienst."

Eine junge Frau erzählt auf der Bühne ihre Version der Geschichte: "Wenn es so weitergeht, muss ich damit rechnen, dass ich in der Pension Sozialhilfe beziehe – trotz Vollzeitbeschäftigung. Aber ich lebe nicht, um zu arbeiten. Ich arbeite, um zu leben!" Vor dem Sozialministerium brandet zustimmender Jubel auf. (Verena Kainrath, Tobias Kachelmeier, 12.2.2020)