Der Ursprung der Welt, revisited: "Anatomie des Baumes", 1942, Öl auf Holz, von Ithell Colquhoun.

Samaritans, Noise Abatement Society

Keine andere Kunstbewegung des 20. Jahrhunderts war so stark mit Begehren verbunden wie der Surrealismus. Freuds Psychoanalyse, Traumlogik, Eros, die Umwertung der Materie, Anderweltliches, das waren die Markpfähle für die surrealistische Bewegung, die der Franzose André Breton 1924 nach einer Pilgerfahrt in die Berggasse initiierte und ihr als "Papst" bis zu seinem Tod 1966 vorstand. Der Surrealismus, das zeigt eine Vielzahl an Ausstellungen in den letzten Jahren, interessiert aktuell wieder. Eine Reaktion auf unsere extrem ernüchternde Postpostmoderne?

"Geist hat kein Geschlecht", schrieben 1930 Breton und der Lyriker Paul Éluard. Was schon damals falsch war? Die Frau – ein Objekt oder Subjekt? Auch das beantworteten die Männer um Breton eindeutig: Objekt. Der maskuline Blick dominierte. Das zeigten auch Gespräche der Surrealisten zwischen 1928 und 1932, 1994 als "Recherchen im Reich der Sinne" erschienen. Nur bei drei der zwölf protokollierten Treffen waren Frauen anwesend, Gattinnen, die zur unsinnlichen Derbheit kaum etwas beitrugen. Nachschlag 1936 war die Bemerkung Max Ernsts: "Das Weib ist ein mit weißem Marmor belegtes Brötchen."

Tradition und Dauer

Die Schirn-Kunsthalle pflegt seit langem eine feinsinnige kunstfeministische Traditionslinie. 2008 wurden die Impressionistinnen Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzalès und Marie Bracquemond einfühlsam gezeigt. 2011 präsentierte das Haus am Römerberg unter dem Titel Surreale Dinge Skulpturen. Schon in dieser Surrealismus-Ausstellung, die Ingrid Pfeiffer verantwortete, die nun die Fantastischen Frauen kuratiert hat, waren auffallend viele Arbeiten von Dorothea Tanning, Valentine Hugo und Eileen Agar zu sehen. 2015 wurden mit Sturm-Frauen die Avantgardistinnen um den Expressionismus-Impresario Herwarth Walden geehrt.

Nun Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo ist mit 260 Gemälden, Fotografien, Zeichnungen, Collagen und Filmen opulent bestückt. Die Arbeiten aus Prag und Mexiko-Stadt, Paris, Brügge, Jersey und Connecticut stammen aus vier Jahrzehnten, von den 1930er-Jahren bis zu den 1960er-Jahren, als der Surrealismus zum dekorativen Kitschornament mutiert war, in Frankfurt zu sehen bei der Spanierin Remedios Varo.

Die Schau setzt mit Toyen ein, der exiltschechischen Malerin in Paris. Es könnte aber auch nahezu jede andere sein. Denn der Auftakt bleibt mit den Objekten Meret Oppenheims im nächsten Kabinett, den Arbeiten der tschechischen Fotografin Emila Marková und den Erotika Leonor Finis, die danach zu sehen sind, nur lose verbunden. Regelmäßig wechseln bekannte Namen – Frida Kahlo, Dorothea Tanning, Leonora Carrington, Claude Cahun oder Louise Bourgeois, deren Kabinett nicht wie die anderen rot oder violett ausgeschlagen ist, sondern grau – mit kaum bekannten, vom musealen Betrieb übersehenen ab, den Belgierinnen Jane Graverol und Rachel Baes, den Engländerinnen Bridget Tichenor, Sheila Legge, Edith Rimmington und Ithell Colquhoun, die den Übergang ins Esoterische markiert. Oder der fast vergessenen Zeichnerin Unica Zürn, die mit Hans Bellmer psychoerotische Dunkelgebiete erkundete und sich 1970 zu Tode stürzte.

Allerlei Verbindungsknoten

Man realisiert im Verlauf der 25 Ausstellungskapitel, dass sich die Dramaturgie entlang persönlicher Verbindungsknoten und Freundschaften bewegt. Mexiko-Stadt als Exil- und Zufluchtsort ist so ein Knoten. Doch stilistisch liegen die 34 Frauen weit auseinander. Jacqueline Lambas softe Arbeiten sind meilenweit entfernt von Kay Sages technisch brillanten, technizistischen Gemälden. Konventionelle stereotype sensuelle Erwartungen werden regelmäßig unterlaufen. Dass die Kuratorin Ingrid Pfeiffer anmerkt, dass sie noch zehn Künstlerinnen mehr hätte aufnehmen können, unterstreicht, dass die Aneinanderreihung mehr additiv denn sinnstiftend ist.

Etwas merkwürdig mutet bei den ausführlichen Künstlerinnenbiografien an, dass ausdauernd erwähnt wird, wann geheiratet, geschieden oder eine neue Verbindung eingegangen wurde. Würde man dies so auch bei Max Ernst und Co handhaben? Andererseits finden sich hier Karrierebrüche, die seinerzeit geschlechtsrollenspezifisch waren. So widmete sich Emmy Bridgwater von 1950 bis 1970 ausschließlich der Pflege von Mutter und behinderter Schwester, um erst mit Mitte 60 wieder künstlerisch zu arbeiten. Lee Miller widmete sich in ihren letzten 25 Lebensjahren dem Kochen. Tanning schrieb. Dora Maar zog sich aus Paris in die tiefe Provinz zurück und Bridget Tichenor in ein Haus voller Tiere. (Alexander Kluy, 13.2.2020)