Kulturvermittler Tina Schelle und Jörg Wolfert in Alfred Schmellers "Riesenbillard": Das Kunstwerk "verleitet zur Interaktion, die Regeln der Kunstbetrachtung aufbricht".

Niko Havranek

Ab den 1970er-Jahren wollten Museen für moderne Kunst in Europa keine reinen Ausstellungsorte mehr sein, sondern sich nach außen öffnen. Als zweiter Direktor des Wiener Mumok verfolgte Alfred Schmeller 1968 diesen Gedanken radikal: Er maß der Vermittlung von musealen Inhalten hohe Bedeutung zu und wollte "die Distanz zwischen den Menschen und der Kunst verringern". In der Schau Das Museum als Unruheherd zeigt das Mumok noch bis Sonntag Schmellers raumfüllende Installation Riesenbillard, die verwendet werden kann und darf. In seiner Tradition versucht auch die heutige Kunstvermittlung das Rahmenprogramm am Mumok zu gestalten.

STANDARD: Noch bis übermorgen ist das "Riesenbillard" von Alfred Schmeller im Mumok zu sehen. Inwiefern gilt es als Beispiel für gelungene Kunstvermittlung?

Wolfert: Es ist ein tolles Beispiel, weil es Besucher nicht gleich als Kunstwerk identifizieren, sondern als Spielort. Es verleitet zu einer Interaktion, die traditionelle Regeln der Kunstbetrachtung aufbricht. Schmellers Idee war es, das Museum zu öffnen. Bereits in den 1970er-Jahren schaffte er es, das Haus von einem Ausstellungsort zu einem öffentlichen Schauplatz zu wandeln.

Schelle: Schmeller forderte ein "Educational Department" am Haus. Also eine eigene Abteilung, die für den Dialog zwischen Besuchern und dem Museum zuständig ist – das macht heute die Kunstvermittlung.

STANDARD: Sie beide sind Kura toren für Kunstvermittlung am Mumok. Wofür sind Sie genau zuständig?

Wolfert: Zu unserer Funktion gehört es, Programme für alle Zielgruppen zu entwerfen. Darunter fallen Programme in den Ausstellungsräumen, öffentliche Aktionen oder auch Spezialveranstaltungen in Kooperation mit Vereinen oder Institutionen. Wir verantworten die Audioguides und schreiben die Texte für die Ausstellungen gemeinsam mit den zuständigen Kuratoren.

Schelle: Kunstvermittlung beginnt, sobald man das Haus betritt und das Ticket löst. Man liest die Texte, hört den Audioguide, macht bei einer Führung oder einem Workshop mit. Sobald man im Museum ist, kommt man wissentlich oder unwissentlich mit Kunstvermittlung in Kontakt.

STANDARD: Wie erstellen Sie die Rahmenprogramme?

Schelle: Die Besucher haben alle unterschiedliche Bedürfnisse, die wir mit unterschiedlichen Programmen stillen wollen. Für Kindergartenkinder muss es etwas anderes geben als für Menschen mit viel Vorwissen. An diese verschiedenen Zielgruppen richtet sich dann unser Programm.

Wolfert: Und das wiederum ändert sich je nach der Ausstellung. Wir organisieren Konzerte oder Expertengespräche, Führungen mit verschiedenen Schwerpunkten und Performance-Workshops für Kinder und für Erwachsene.

Schelle: Es gibt zwei Besuchergruppen: solche, die uns kennen, und solche, die noch nicht im Haus waren. Die Herausforderung ist, diese zweite Gruppe zu erreichen. Darum müssen wir auch hinausgehen, die Menschen ansprechen und so ins Museum holen.

STANDARD: Welche Methoden gibt es dafür?

Wolfert: Durch Kooperationen mit Institutionen. Seit zehn Jahren gibt es beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Verein Dialog. Menschen mit Suchterfahrung sind eingeladen, ins Museum zu kommen und über mehrere Monate an einem Projekt mitzuwirken. Seit 2016 arbeiten wir mit der Caritas zusammen, über die Menschen mit Fluchterfahrung hierherkommen können. Einmal im Monat gibt es eine Werkstatt, die für alle offen steht.

Schelle: Wir kooperieren auch mit Schulen. Kinder können hier Formate für andere Schulklassen gestalten, für Jugendliche gibt es ein Street-Art-Programm, und im Atelier werden Workshops für alle Altersgruppen angeboten. Wir wollen nicht nur die Oberstufen der Gymnasien adressieren. Das Mumok soll ein Ort für alle sein.

Wolfert: Seit sieben oder acht Jahren veranstalten wir zum Beispiel die Sonntagsmatineen, wo in den Ausstellungsräumen Konzerte gespielt werden. So können wir Menschen ansprechen, die sonst nicht ins Museum gehen.

STANDARD: Es geht darum, eine Ergänzung zu den klassischen Ausstellungen zu bieten?

Wolfert: Ja, es ist uns wichtig, dass das Museum nicht nur ein Ort der Kunst ist, sondern auch der Auseinandersetzung damit. Menschen können hierherkommen und ihre Meinung äußern. Wir möchten so wenig wie möglich vorgeben.

Schelle: Das Museum ist auch ein Denk- und Erfahrungsraum. Die Begegnung mit Kunst kann in vielen Formaten stattfinden, wodurch man immer in einen Prozess eingebunden wird. Wir betrachten die Besucher als Partner und tauschen uns mit ihnen aus. Das kann man mit Kindergartenkindern oder Senioren machen. Es ist völlig in Ordnung, wenn man sich nicht gleich auskennt.

STANDARD: Also möchten Sie auch diese Angst vor moderner Kunst nehmen?

Schelle: Auf jeden Fall. Wobei es oft eher eine Schwellenangst ist als eine tatsächliche Angst vor der Kunst. Wenn man noch nie in einem Museum war, ist ein Museum moderner Kunst schwer zu erfassen.

Wolfert: Hier gibt es eine hohe Schwelle und starke Erwartungshaltungen, was ein Museum genau ist und was es können muss. Die Frage ist, wie wir diese Erwartungen erfüllen können. Bei den Alten Meistern hat man ein Motiv, das man erkennt, die Moderne kann es einem da schon schwieriger machen. Das ist auch der Grund, warum es hier mehr Vermittlung braucht.

STANDARD: Ab 20. Februar wird es hier einen temporären Aktionsraum mit dem Titel "Zwischenspiel. Kunstvermittlung im Mumok" geben.

Wolfert: Diesen Raum werden wir gemeinsam mit Besuchern zwei Wochen lang gestalten. Im Grunde werden wir den Ist-Zustand der Kunstvermittlung abbilden.

Schelle: Es wird ein Kaleidoskop der Kunstvermittlung werden: Lesungen , Workshops, Performances und Konzerte. Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben in einem Raum gemeinsam die Möglichkeit, aktiv zu werden. Man kann etwas anfassen, etwas bauen, sich in einem Diskurs einbringen – und so schließlich Spuren im Museum hinterlassen. (Katharina Rustler, 14.2.2020)