Auch dieses Jahr werden hochrangige Gäste im Luxushotel Bayerischer Hofbei der Münchner Sicherheitskonferenz erwartet.

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Der Hausherr sparte vorab nicht mit Kritik, im Gegenteil. Wenige Tage vor Eröffnung der 56. Ausgabe der Münchner Sicherheitskonferenz gab sich deren Präsident Wolfgang Ischinger – vielgeachteter und bestens vernetzter deutscher Diplomat – ausgesprochen undiplomatisch. Es begann schon beim Überthema für das von Freitag bis Sonntag in der bayerischen Landeshauptstadt stattfindende renommierte außen- und sicherheitspolitische Forum.

Als Motto der Veranstaltung, an der mehr als 500 internationale Entscheidungsträger aus Politik, Streitkräften und internationalen Organisationen teilnehmen, fungierte dieses Mal die englische Wortkreation "Westlessness", zu Deutsch etwa "Westlosigkeit". Ischinger zufolge spiegelt der Kunstbegriff ein zentrales sicherheitspolitisches Problem wider. Er sieht den Westen als Rückgrat der Weltordnung in Auflösung begriffen. Im vorab publizierten Munich Security Report steht die Frage im Zentrum: Was bedeutet es, wenn die Welt und auch der Westen nicht mehr geprägt sind von Werten wie Demokratie, Marktwirtschaft und persönliche Freiheit? Was passiert, wenn der Westen überhaupt anderen die Bühne überlässt?

Bei der Präsentation des Berichts sagte Ischinger: "Die Welt ist gefährlicher geworden. Wir haben mehr Krisen und grauenhafte Vorgänge, als man sich vorstellen kann." Der internationalen Staatengemeinschaft, insbesondere der EU, warf er vor, bei der Suche nach Friedenslösungen versagt zu haben: "Dass die EU mit ihren fast 500 Millionen Einwohnern in vielen Krisen nicht die Handlungsfähigkeit zeigen kann, die sie zeigen müsste, ist zutiefst beschämend."

Außenpolitische Evergreens stehen im Münchner Luxushotel "Bayerischer Hof" ebenso auf der Agenda wie neuartigere Herausforderungen. Die folgenden Fokuspunkte umreißen die 35 Staats- und Regierungschefs, 100 Außen- und Verteidigungsminister und -ministerinnen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Nato, UN und EU-Kommission, wenn sie weltpolitische Schwierigkeiten wälzen.

Europa

Vor der Eröffnung der Sicherheitskonferenz griff ihr Chef dieser Tage die vielgehörte Forderungen in Richtung Europa auf: Zunächst rief er die Union dazu auf, sich außenpolitisch zu emanzipieren. Konkret sprach er sich für ein Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip in Fragen der äußeren Angelegenheiten der EU aus. Eine im Münchner Bericht enthaltene Analyse des britischen Thinktanks International Institute for Strategic Studies gibt ihm hier recht: Aktuell wäre Europa nicht in der Lage, ohne Unterstützung der USA einen Angriff Russlands auf das Baltikum zurückzudrängen.

Außerdem mahnte Ischinger ein größeres deutsches Engagement in der Welt ein. Ein solches verlangten deutsche Politikerinnen und Politiker vermehrt selbst, bislang drohe sich dieser Anspruch aberauf "leere Worthülsen" zu beschränken. Kanzlerin Angela Merkel besucht die Konferenz nicht, sie reist planmäßig nur jedes zweite Jahr an. Dass Merkels Nachfolge nach dem Rückzug ihrer Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer ungelöst bleibt, droht die deutsche Position in Europa nicht eben zu stärken. Impulsgeber ist in der EU jener Mann, der heuer erstmals anreist: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Nuklearwaffen

Bereits vergangene Woche hat Emmanuel Macron in seiner Rede zur französischen Verteidigungspolitik die Europäer eingeladen, konkret über die gemeinsame Nuklearverteidigung zu sprechen. Frankreich ist nach dem Brexit die einzige Atommacht der EU, weltweit die drittgrößte hinter den USA und Russland. In den zahlreichen im Hintergrund stattfindenden vertraulichen Unterhaltungen dürfte nun in München darüber gesprochen werden, wie eine von Paris ins Spiel gebrachte und von Berlin aufgegriffene "strategische Partnerschaft" in puncto Atomwaffen aussehen kann.

Der in München ebenfalls anwesende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird dabei einmal mehr betonen, dass sämtliche europäischen nuklearen Überlegungen im Rahmen des westlichen Militärbündnisses und nicht parallel dazu stattfinden müssten. Die Folgen der Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA wegen vermuteter Verstöße der Russen bleiben Thema. Stoltenberg kündigte an, auf die Stationierung russischer atomwaffenfähiger Marschflugkörper in Europa mit dem Ausbau der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten zu reagieren.

USA

Bei allen transatlantischen Friktionen: Die Amerikaner kommen mit einer größeren Delegation als im Jahr zuvor. Präsident Donald Trump, der schon 2019 gefehlt hatte, befindet sich aber wieder nicht darunter. Sein Vize Mike Pence reist ebenfalls nicht an. Pence beteuerte bei seiner Rede im Vorjahr, dass die USA weiterhin eine führende Rolle in der westlichen Welt übernehmen wollten.

Aus den USA werden Außenminister Mike Pompeo, Verteidigungsminister Mark Esper und Oppositionsführerin Nancy Pelosi erwartet. Auf der Gästeliste steht auch jener Staatschef, dessen Telefonat mit Trump Anlass des kürzlich abgeschlossenen Amtsenthebungsverfahrens gegen den Präsidenten war: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt in München sein Debüt. Die Ukraine bleibe für Europas Sicherheit wichtig, sagt Ischinger, der Osteuropa seit geraumer Zeit mehr einbindet.

Irak, Syrien, Libyen

Die Konferenz soll auch dafür genützt werden, die Krisen im Irak oder in Syrien zumindest einzudämmen. So wollen Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Koalition im Kampf gegen den "Islamischen Staat" über die Zukunft des Militäreinsatzes im Irak – etwa eine stärkere Rolle der Nato – beraten. Im Fall von Syrien konstatierte Ischinger ein "unverzeihliches Versagen der Staatengemeinschaft". Die EU habe in neun Jahren Bürgerkrieg "keinen einzigen Versuch" unternommen, die beteiligten Seiten an einen Tisch zu bringen. Dies sei eine "Verantwortungslosigkeit erster Klasse".

Am Rande der Sicherheitskonferenz lädt der deutsche Außenminister Heiko Maas am Sonntag zu einem Nachfolgetreffen zur Berliner Libyen-Konferenz ein. Maas begrüßte am Donnerstag die Entscheidung des UN-Sicherheitsrats, sich hinter die Berliner Beschlüsse zu stellen.

Asien

Vertreterinnen und Vertreter aus Asien finden sich dieses Jahr mehr als je zuvor vor Ort – was laut Konferenz die Wichtigkeit des Kontinents widerspiegelt. Erstmals sollte auch ein Land teilnehmen, das noch nie eingeladen war: Nordkorea. Pjöngjang sagte zu, Vizeaußenminister Kim Song-gyong zu schicken – kürzlich folgte dann doch die Absage. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) treffen vor Ort unter anderem mit dem chinesischen Chef-Diplomaten Wang Yi zusammen. Thema werden die Unterstützung beim Kampf gegen das Coronavirus und die Beziehungen zwischen der EU und China beziehungsweise Wien und Peking im Speziellen sein.

Iran

Trotz aller Spannungen in der Golfregion lud Wolfgang Ischinger auch dieses Jahr den iranischen Außenminister Mohammed Javad Zarif erneut ein. In der Frage des von der US-Regierung gekündigten Atomabkommens mit Teheran treten die Europäer außenpolitisch geschlossen auf. Darüber hinaus sprach sich Ischinger für die Ernennung eines EU-Sonderbeauftragten aus, der zwischen dem Iran, den USA, Saudi-Arabien, der Türkei und Russland vermitteln solle: Er brachte dafür den ehemaligen schwedischen Premierminister Carl Bildt ins Spiel.

Klima, Handel, Technologie

Zur Debatte stehen auch sicherheitspolitische Auswirkungen des Klimawandels sowie Schnittstellen zwischen internationaler Sicherheit, technologischer Entwicklung und Handel. Die zunehmende geopolitische Bedeutung neuer Technologien wie der 5G-Ausbau sorgt zunehmend für Konflikte. Kanzler Kurz soll auch mit Wirtschaftstreibenden wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg zusammentreffen. Die Krise des Westens, sie hat auch digitalpolitische Auswirkungen. (Anna Giulia Fink, 14.2.2020)