Das Virus ist bei uns nicht angekommen, sagt Experte Steininger.

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Aktuell steigen in den Schlagzeilen täglich die Zahlen von Patienten, die in China an Covid-19 gestorben oder erkrankt sind. Schnell kommt die Frage auf: "Muss man sich hierzulande immer noch nicht fürchten?" Nein, sagt Christoph Steininger, Infektiologe an der Med-Uni Wien: "Es gibt keinen Grund zur Panik, das Virus ist bei uns nicht angekommen", sagt er.

Das bestätigt auch Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin: "Wir haben im Moment null Risiko in der Bevölkerung", sagt er. Diese Einschätzung könne so lange aufrechterhalten bleiben, bis hierzulande erste Erkrankungsfälle ohne eine Reiseverbindung nach China auftreten.

Für die Beurteilung der Lage in Europa hat sich also nichts geändert, und Steininger relativiert auch für China. Denn trotz steigender Fälle – und selbst wenn die Dunkelziffer deutlich höher liegt – seien die Zahlen immer noch nicht erschreckend.

Dennoch werde es zunehmend schwieriger, die Lage in China einzuschätzen. Das liegt vor allem an Problemen mit der Statistik und daran, dass nicht klar ist, wie die Erkrankungsfälle in China erhoben werden. In den letzten Tagen wurde diesbezüglich einiges umgestellt. "Immer mehr Labors testen Proben, das lässt die Abklärungsquote steigen", sagt Steininger.

Vollkommen falsch

Auch Drosten spricht von einer vollkommen falschen Einschätzung der Daten in China. Dass das Meldesystem überlastet sei, erkenne man daran, dass in den letzten zwei Wochen quasi täglich gleich viele Fälle dazugekommen sind. "Das ist sicherlich nicht die Entwicklung der Zahlen, sondern die Kapazität des Meldesystems", so Drosten.

Auch die WHO betont, dass der sprunghafte Anstieg der Covid-19-Fälle in China nicht bedeute, dass sich plötzlich viel mehr Menschen infiziert haben. Die zusätzlich gemeldeten Fälle kommen teilweise aus den vergangenen Wochen, so der Nothilfedirektor der WHO, Michael Ryan. Bei diesen Patienten sei das Sars-CoV-2 genannte Virus nicht mit Labortests nachgewiesen worden, da die DNA-Tests im Labor die Infektion häufig nicht feststellen können. Oder weil die Diagnostic Kits, mit denen getestet wird, schlichtweg rar werden, glaubt Clemens Wendtner, Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen der München Klinik Schwabing. Er behandelt derzeit jene deutschen Covid-19-Patienten, die sich bei einer chinesischen Geschäftspartnerin angesteckt hatten.

In der Provinzhauptstadt Wuhan – und nur dort – werden nun auch Fälle in die Statistik aufgenommen, bei denen Ärzte eine Lungenentzündung sowie Fieber, Atemprobleme und andere typische Covid-19-Symptome festgestellt haben und so zu einer Diagnose kommen, ohne dass Labortests das bestätigt hätten.

Niedrige Sterblichkeit

Die unklare Datenlage macht eine generelle Prognose also schwierig. So kenne man derzeit auch die sogenannte "Attack Rate" noch nicht. Sie besagt, wie viele Menschen, die theoretisch infiziert werden könnten, auch tatsächlich infiziert wurden. Nur mit dieser Zahl könne man Voraussagen über die Geschwindigkeit der Ausbreitung treffen, sagt Drosten.

Jedenfalls für zuverlässiger hält er die Zahlen aus den Ländern außerhalb Chinas, in denen es Fälle von Covid-19 gibt. "Die von dort bekannte niedrige Sterblichkeit ist sicher die realistischere Zahl", sagt Drosten. In China liegt die aus der aktuellen Statistik abzulesende Sterberate bei etwa zwei Prozent, außerhalb des Landes nur bei 0,2 Prozent. Den Unterschied führt Wendtner auf die Versorgungslage in China zurück – "die Spitäler dort sind überfüllt, das Personal am Limit".

Auch die Rate der schweren Erkrankungen ist bisher nicht bekannt. Derzeit deuten die Daten darauf hin, dass bei Covid-19 die Verbreitung in China ähnlich verläuft, wie es bei einer schweren Grippewelle der Fall ist, sagt der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Wichtig sei, dass es bisher bei den Ansteckungsketten außerhalb Chinas immer einen Zusammenhang mit China gegeben habe. "Das ist wichtig, weil man damit belegen kann, dass sich das Virus noch nicht weit in der Welt verbreitet hat." Von einer Pandemie könne man noch nicht sprechen, und es bestehe auch die Chance, dass es keine werde, sagt Wieler.

Erst Grippe überstehen

In den Ländern außerhalb Chinas sei Eindämmung die wichtigste Maßnahme. Es müsse verhindert werden, dass es zu lang anhaltenden Infektionsketten kommt, so Wieler. Bisher gelinge das sehr gut. "Wir müssen jetzt Zeit gewinnen, um die Influenza zu überstehen, falls Covid-19 zu uns kommt", sagt Wieler weiter. Grassieren beide Erkrankungen gleichzeitig, würde das Gesundheitssystem mit Sicherheit an seine Grenzen stoßen.

Und was kann jeder Bürger selbst tun, sollte es zu einer Ausbreitung von Covid-19 in Europa kommen? Anstatt sich auf dramatische Bilder aus China zu konzentrieren, die nur einen kleinen Ausschnitt der Realität zeigen, sagt Christian Drosten, sei es sinnvoll, sich auf die bisher bekannten Fakten zu konzentrieren: Die Krankheit tritt in den meisten Fällen als Erkältung auf, Kinder sind quasi nicht betroffen, Schwangere scheinbar auch nicht, Männer etwas häufiger als Frauen, ältere Menschen gehören zur Risikogruppe, ebenso wie Menschen mit Vorerkrankungen – sie sollten geschützt werden.

Für die Wochen eines andauernden Ausbruchs könne es sinnvoll sein, größere Menschenansammlungen zu meiden, Partys abzusagen und sich über die Erkrankung sowie Vorsichtsmaßnahmen zu informieren. "Aber an diesem Punkt sind wir derzeit nicht", sagt Drosten mit Nachdruck. (Bernadette Redl, 15.2.2020)