Kalifornische Moderne: Farbbilder des Oyler House in Lone Pine (1959), geschossen vom Tiroler Fotografen David Schreyer.

Foto: David Schreyer

Für die fünf Kinder waren die beiden großen Granitblöcke im Garten "die zwei großen Zehen". Richard Neutras Frau Dione hingegen bezeichnete die 90 Millionen Jahre alten Felstrümmer gerne auch als jene zwei Hände, die die Aufgabe hätten, das Haus und seine Bewohner, die Oylers, zu segnen und zu beschützen.

Das Oyler House in Lone Pine, rund dreieinhalb Autostunden nördlich von Los Angeles gelegen, zählt zu den wenig bekannten und auch entsprechend selten publizierten Werken des österreichisch-kalifornischen Exilarchitekten Richard Neutra (1892–1970).

Nun ist es als eines von insgesamt neun Neutra-Häusern – am liebsten möchte man in die himmelblau-salbeigrün-silbrig schimmernden Fotos hineinkippen und durch sie hindurchwandern – in einer Ausstellung im Wien-Museum zu sehen.

"Richard Neutra und Rudolph Schindler sind jene beiden Wiener Architekten, die gemeinsam mit John Lautner, Craig Ellwood, Gregory Ain und einigen anderen die kalifornische Moderne der 1930er- bis 1960er-Jahre maßgeblich geprägt haben", sagt Andreas Nierhaus, Architekturthistoriker am Wien-Museum.

"Doch während Schindler in Österreich regelmäßig publiziert und ausgestellt wird, gab es zu Neutra hierzulande vor knapp 40 Jahren die letzte Ausstellung. Es gibt also ordentlich Nachholbedarf."

Mid-Century-Hype

Gemeinsam mit dem Tiroler Architekturfotografen David Schreyer, seines Zeichens selbst ausgebildeter Architekt, machte sich Nierhaus im Sommer 2017 nach L.A. auf, um sich dort auf die Spuren jener Wohnhäuser zu begeben, die vor wenigen Jahrzehnten noch für 25.000 bis 100.000 US-Dollar in den Maklerbüros und Zeitungsinseraten erfolglos angeboten wurden.

Das Miller House in Palm Springs (1937.
Foto: David Schreyer

Mit dem Mid-Century-Hype, der rund um 2000 eingesetzt hat, und der Wiederentdeckung des kalifornischen Architekturfotografen Julius Shulman (1910–2009) durch den deutschen Taschen-Verlag, der seine Schwarz-Weiß-Fotografien zu riesigen Coffee-Table-Books zusammengebunden hat, die seitdem in keinem Kulturhaushalt mehr fehlen dürfen, sind auch die Bauten Richard Neutras in den Architektur- und Immobilien-Olymp aufgestiegen.

"Das Spannende aber ist, dass Neutras Häuser bis heute vor allem in den Schwarz-Weiß-Fotos von Julius Shulman sichtbar sind", sagt David Schreyer. "Die meisten Gebäude befinden sich in Privatbesitz, sind in der Zwischenzeit hinter Hecken, Büschen und Palmen verschwunden und wurden seit Shulman nie wieder professionell fotografiert."

Mit den nun vorliegenden Farbfotos Schreyers, die innerhalb von vier Wochen zwischen Kakteen und Klapperschlangen geschossen wurden, wird erstmals ein zeitgenössischer Blick auf Neutras Architektur ermöglicht.

Zum Selberbauen

Zurück nach Lone Pine, die Sierra Nevada im Westen, den Death-Valley-Nationalpark im Osten. Ende der 1950er-Jahre kaufte der Beamte und Versicherungsmakler Richard F. Oyler genau hier ein Grundstück, um für sich und seine Familie ein Haus zu errichten.

In der Ortsbibliothek stieß er auf Bücher über Richard Neutra und schrieb dem Architekten daraufhin einen Brief mit der Einladung zur Zusammenarbeit. Die beiden Grundvoraussetzungen waren die Einhaltung eines knappen Budgets sowie die Realisierung des Holzbaus in Selbstbauweise.

Das Feedman House in Pacific Palisades, L.A. (1949)
Foto: David Schreyer

"Im Gegensatz zum medial überlieferten Bild, dass Neutra ein Star sei, hat er eigentlich sehr gerne für Klienten mit niedrigem Budget geplant", sagen die beiden Kuratoren Nierhaus und Schreyer. "Er war beeindruckt von der urzeitlichen Landschaft des Ortes, wo später auch einige Hollywood-Western gedreht wurden, und entwarf ein Haus, das durch seine große Glasfassade im Osten die Natur in den Innenraum holte."

Ein ausladendes Vordach spendet Schatten und schützt das Haus vor sommerlicher Überhitzung. Die tragenden Balken sind so dimensioniert, dass Oyler sie in seiner Freizeit eigenhändig zusägen und in Position bringen konnte.

Heute wird das 1959 errichtete Haus von der Schauspielerin Kelly Lynch und dem Filmproduzenten Mitch Glazer bewohnt. "Dieses Haus ist ein Kunstwerk und zugleich der beste Beweis dafür, dass so ein Kunstwerk nicht viel kosten muss", sagt Lynch. "Mit seinem kompakten Grundriss, der Platz für eine siebenköpfige Familie bereitstellte, aber auch durch die natürlichen Baumaterialien könnte es zum Vorbild für heutige Wohnhäuser werden."

Antwort auf die Klimakrise

Neben dem neuen Blick auf die kalifornische Moderne und der umwerfenden Schönheit der Häuser und ihrer Bilder erklärt sich damit auch eine nicht unwesentliche Mission dieser in Anlehnung an die Balloon-Frame-Bauweise in Szene gesetzten Ausstellung: "Neutra hat gerne experimentiert und sich für neue, innovative Konstruktionen interessiert", so Nierhaus und Schreyer.

"Seinem behutsamen Umgang mit dem lokalen Wüstenklima ist zu verdanken, dass die meisten seiner Häuser auch bei 50 Grad Celsius ohne Klimaanlage auskommen."

Die kleine Größe der Bauwerke, die Selbstzufriedenheit des Low-Techs und die Langlebigkeit der hier gebauten Materie stellen den heutigen amerikanischen XXL-Lebensstil drastisch infrage und bieten eine nicht nur lokale Antwort auf die globale Klimakrise. (Wojciech Czaja, 15.2.2020)