Die Hoffnung hat Frau L. (50) trotz aller Probleme nicht aufgegeben – und sie hat einige Wut im Bauch.

Werner Dedl

Linz – Es ist ein kalter, verregneter Wintermorgen. Frau L. kommt in einer dicken Wolljacke zum vereinbarten Treffpunkt. Auch während des Gesprächs wird sie diese dicke Jacke nicht ausziehen. Wärme ist in diesen Tagen wieder einmal zum absoluten Luxusgefühl für Frau L. geworden. Denn in den eigenen vier Wänden ist es im Moment bitterkalt.

Psychischer Ausnahmezustand

Ihre 50-Quadratmeter-Wohnung in Wels heizt die 50-Jährige mit einem kleinen Holzofen. Solange ausreichend Geld da ist. Doch zum Monatsende wird es meist knapp. 723 Euro Notstandshilfe, 308 Euro Alimente für ihren elfjährigen Sohn, 175 Euro Wohnbeihilfe – davon muss Frau L. ihr Leben bestreiten. Was in normalen Monaten schon extrem schwierig ist, wird dann in Ausnahmesituationen zum unlösbaren Problem. 650 Euro wären etwa aktuell für den Schulskikurs ihres Sohnes zu zahlen: "Wie soll sich das ausgehen?" Es ist dies letztlich die entscheidende Frage, die Frau L. eigentlich schon durch ihr halbes Leben begleitet: "Du kannst am Abend nicht einschlafen, weil du dir ständig die Frage stellst, wie du das schaffen sollst. Und mit diesem Gedanken schreckst du in der Nacht auf, mit diesem Gedanken steigst am Morgen aus dem Bett."

Wut, Verzweiflung und Hoffnungen schwingen in jedem Satz von Frau L. mit. Und es bleibt die große Frage nach dem Warum. "Eigentlich habe ich immer gearbeitet. Bis es halt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr gegangen ist. Und plötzlich merkst du, du schaffst es allein nicht mehr."

Frau L. wächst in Wels auf, besucht die Volksschule, dann die Hauptschule. Sie lernt Schneiderin. Mit zwanzig bekommen sie und ihr Mann den ersten Sohn, eineinhalb Jahre später folgt Sohn Nummer zwei.

Erste Schwierigkeiten

Schon damals beginnt das Familiengefüge zu wanken. Bei Frau L. machen sich erste gesundheitliche Probleme bemerkbar, mehr noch drücken die finanziellen Sorgen. Zwei kleine Kinder, ein Mann, der nicht arbeiten will. Frau L. funktioniert – und arbeitet jede Nacht als Zeitungsausträgerin. Mit dem Kindergarteneintritt öffnet sich für Frau L. ein neues Arbeitsfenster. Es folgt ein Job als Reinigungskraft in einem Welser Kindergarten. 2008 ist Frau L. wieder schwanger. Und plötzlich geht gar nichts mehr. "Es war eine unglaublich schwere Geburt. Es hat mich gesundheitlich irrsinnig mitgenommen. Und mein Mann hat sich einfach verabschiedet", erinnert sich Frau L.

Nach der Karenz findet die heute 50-Jährige nicht mehr zurück ins Arbeitsleben. Die ständigen Existenzängste schlagen sich auf die Psyche. Massive Panikattacken machen mehrere Psychiatrieaufenthalte notwendig – und lassen die vielen Versuche, wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, fehlschlagen. "Man funktioniert irgendwie. Ich muss ja als Mama für meinen Sohn da sein."

Hilfe in Anspruch zu nehmen war für Frau L. lange Zeit keine Option. Letztlich entscheidet sich Frau L. dann doch zum Gang aufs Amt. "Es ist ein furchtbarer Augenblick. Wenn du da reingehst und einen Antrag auf Mindestsicherung stellst, fühlst du dich einfach nur elendig. Als Versagerin, als Bittstellerin."

Verständnislose Behörden

Mit den Behörden im Allgemeinen und der Politik im Speziellen hadert die dreifache Mutter aber ohnehin. "Es entscheiden da Menschen, die keine Ahnung von meiner Lebenssituation haben. Die wissen nicht, wie es sich anfühlt, mit einem minderjährigen Kind im Winter in einer eiskalten Wohnung zu sitzen."

Aktuell sorgt vor allem die Wartefrist auf eine Frau L. zustehende Aufzahlung auf die Mindestsicherung für Ärger und Unverständnis: "Ich habe alle Anträge ausgefüllt. Aber es gibt eine dreimonatige Wartefrist auf den neuen Bescheid. Mein Einkommen hat sich für drei Monate um bis zu zwei Drittel verringert. Ich kann kaum die Miete zahlen." Wut, Verzweiflung – aber am Schluss des Gesprächs bleibt doch die Hoffnung: "Ich bin überzeugt, dass es wieder besser wird." Und vielleicht erfüllt sich einer der großen Wünsche von Frau L.: "Nur fünf Minuten im Parlament reden. Und den Politikern erklären, was es heißt, am Existenzminimum zu leben." (Markus Rohrhofer, 16.2.2020)