Und was, wenn nur eine knappe Mehrheit für die Titelverteidigerin votiert?

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Aus der Emotion heraus ist es verständlich, dass es Pamela Rendi-Wagner nun wissen will. Seit Monaten stellen Genossen ihre Autorität infrage, das reicht vom hintenrum Ausrichten bis zum direkten Putschversuch. Weil die SPÖ-Chefin offenbar glaubt, dass sie bei der Basis besser angeschrieben ist als bei den Funktionären, will sie sich Rückhalt von unten holen: Die Parteimitglieder sollen über ihren Verbleib an der Spitze entscheiden.

Doch die persönlichen Bedürfnisse einer Vorsitzenden decken sich nicht zwangsläufig mit jenen einer Partei. Die SPÖ hat bei dem riskanten Experiment mehr zu verlieren, als Rendi-Wagner dabei gewinnen kann.

Umfragewerte im Keller

Selbst wenn die Hasardeurin 90 Prozent oder mehr an Zuspruch einfährt, brächte ihr das kaum eine langfristige Überlebensgarantie. An der letzten Mitgliederbefragung nahm ein knappes Viertel der Genossen Teil – da relativiert sich auch bei einem Erdrutschsieg die Bedeutung. Bekanntlich schreiten bei Nationalratswahlen nicht nur Menschen mit rotem Parteibuch zu den Urnen. Bleiben die Umfragewerte im Keller, wird die Führungsdebatte in der SPÖ so oder so von neuem losbrechen.

Und was, wenn nur eine knappe Mehrheit für die Titelverteidigerin votiert? Anders als eine gut vorbereitete Kampfabstimmung mehrerer deklarierter Kandidaten, wie sie in der SPÖ um den Bürgermeistersessel von Wien stattfand, garantiert die von Rendi-Wagner verblüffenderweise ohne Absprache mit den Parteigranden durchgesetzte Befragung kein unumstrittenes Ergebnis. Die amtierende Chefin mag bereits 65 Prozent als einen Sieg, weil Mehrheit, auslegen – ihre Kritiker werden das ganz anders sehen. Da droht eine quälende Debatte über die Interpretation des Resultats samt verschärfter Ablösediskussion, und das zu einer Unzeit: Statt hässliche Schlagzeilen zu produzieren, könnte die SPÖ im Frühjahr auch all ihre Kraft ballen, um bei der Wahl im Herbst das rote Wien zu verteidigen.

Rendi-Wagners Trumpf

Im schlimmsten Fall fährt Rendi-Wagner mit ihrem seltsamen Referendum nicht nur die maximale Demütigung für ihren Abgang ein, sondern bringt auch noch eine der letzten sozialdemokratischen Hochburgen zum Wackeln.

Dass sich alle vor dieser Katastrophe fürchten, ist ihr Trumpf. Rendi-Wagner darf darauf hoffen, dass die Landesparteien ihre Mitglieder bearbeiten, damit die Befragung möglichst ruhig über die Bühne geht. Doch dann sollte sie wissen, dass ein Teil der Sympathie nur geliehen ist. (Gerald John, 16.2.2020)