Gay Cricket hatte seine Schuldigkeit getan an diesem Apriltag im Jahr 1994. Er hatte Gabriela Martin in der Freudenau zu Wien galoppierend zum Sieg getragen und nahm sich das Recht heraus, gleich in Richtung Stall abzubiegen – das obligatorische Auswiegen nach dem Rennen hin, die Siegerehrung her. Martin mühte sich vergeblich um eine Richtungsänderung, ja stieg gar unfreiwillig ab und landete mit dem Hinterteil auf einer herumstehenden Hürde aus Holz. "Papa Schreitl hat gesagt, dass er so einen Bluterguss noch nie gesehen hat", sagt Gaby Elias, vormals Martin, heute. "Wäre Fasching gewesen, ich hätte als Pavian gehen können."

Papa Schreitl, das ist Georg "Schurl" Schreitl, heute 90 Jahre alt, bis 1995 der legendäre Masseur der Wiener Austria, ein kleiner Mann mit vom Bäckerhandwerk gestärkten und äußerst kundigen Händen sowie einem großen Anekdotenschatz ausgestattet.

Ein Wunder

Geschichten hat auch Gabriela Elias auf Lager, die dank Schreitls Können im folgenden Mai innerhalb von zwei Tagen neuerlich in Wien und dann in Bratislava Siege feierte. Auch abgesehen vom Bluterguss ein Wunder, hatte sie doch im vorhergehenden Jänner bei einem Sturz in Cagnes sur Mer, Frankreich, einen Rippen- und einen Wirbelbruch erlitten. Drei Siege – neben Wien und Bratislava noch in Zürich – sowie einige weitere starke Ergebnisse summierten sich für die Dauerrekonvaleszente zum Weltmeistertitel der Fegentri, der 1955 gegründeten Fédération Internationale des Gentlemen-Riders et des Cavalières. Martins Triumph in der internationalen Amateurszene war eine Premiere für Österreich.

Gabriela Elias lebt für den Galopprennsport.
Foto: Privat

Früh im Sattel

Es war einer der größten Erfolge der sechsmaligen Staatsmeisterin, die eher zufällig zum Sport gekommen war. Die Tochter einer Geschäftsfrau und eines Goldschmieds aus Wien-Hietzing saß zwar schon früh im Sattel, kam aber erst über ihren Großvater, einen Hobbywinzer, mit einem Schmied in Kontakt, dessen Sohn eine Vollblutstute namens Jeunesse trainierte und in der Freudenau galoppieren ließ.

Gaby Elias tauchte ihrer "Putzi" folgend in eine heute nicht mehr existente, damals noch rege österreichische Rennszene ein. In der lernte sie Gérard Martin kennen. Der Franzose sollte über Jahre einer der erfolgreichsten Jockeys in der Freudenau sein. 1975 sicherte er sich etwa mit 25 Siegen bei 151 Starts das Championat. Mit Gaby war der Profi bis 1997 verheiratet. Sie ritt ab 1971 Amateurrennen, das erste, auf "Indianer", endete früh, weil dieses Ross unmittelbar nach dem Öffnen der Startbox auszubrechen pflegte. Immerhin hielt sich seine Reiterin im Sattel.

Erfolgsjahre

Den ersten Sieg feierte Gaby Martin 1972, ab 1974 folgte eine zehnjährige Rennpause. 1989 holte Martin mit fünf Siegen das erste ihrer Championate. 1991 (sieben Siege), 1993 (vier Siege) und 1995 (fünf Siege) setzte sie sich ebenfalls durch, "als Hausfrau, neben einem Beruf wäre das nicht zu machen gewesen". Schließlich hatte 1990 auch Martins internationale Karriere begonnen und brachte promt den ersten EM-Titel für Österreich.

Gipfel war aber der Gewinn der WM 1994 durch die damals 40-Jährige. Und 1995 in einem aufsehenerregenden Rennsieg in Newmarket, England, einem der Epizentren des internationalen Galopprennsports. Das siegreiche Ross hieß Fort Knox, "für mich war der Name wegen meines Vaters, des Goldschmieds, ein gutes Omen", sagt Gabriela Elias, die unter ihrem Mädchennamen auch im Jahr 2000 ihren 53. und letzten Sieg herausritt.

August 1995: Gabriela Martin stürmt in Newmarket auf Fort Knox (5) zum Sieg im Fegentri-Rennen. Die Fachzeitschrift "Sporting Life" gönnt der Wienerin vor lauter Begeisterung ein zweites L im Vornamen.
Foto: Sporting Life

Aus 183 Rennen wurden acht

Damals wurden in der Freudenau zwischen Anfang April und Anfang November noch 150 Galopprennen geritten, nicht wesentlich weniger als 1971 (183).

2004 wurde die Szene unter Einsatz großer Summen, aber geringer Weitsicht von Frank Stronach nach Ebreichsdorf abgezogen, die Freudenau sah nur noch in Ausnahmefällen Rennen. Das Stronach-Projekt Racino belebte den Galopprennsport nicht nachhaltig, im Gegenteil. 2004 gab es 144 Rennen, im Vorjahr waren es an zwei Renntagen nur noch acht. Für dieses Jahr ist überhaupt nur noch ein Galopprenntag avisiert, über dem Racino wabern Verkaufsgerüchte.

Gegen Windmühlen

Gabriela Elias erlebt den Niedergang hautnah mit. Ab 1989 arbeitete sie im Vorstand des österreichischen Amateur-Rennreitervereins (ÖARV), diente ihm als Kassierin, Generalsekretärin und Vizepräsidentin. Nach einer Pause aus gesundheitlichen Gründen dient sie dem nur noch wenige Dutzend Mitglieder zählenden Verein seit 2010 wieder.

Elias, 1,60 Meter groß und einst in Rennverfassung 52 Kilo schwer, stemmt sich mit aller Kraft gegen den Niedergang, lotet Möglichkeiten aus, wirbt, nützt ihre Kontakte und leidet darunter, dass es keine Amateur-Rennreiter aus Österreich mehr gibt. Schließlich verdanke sie dem ÖARV selbst Ritte in fast aller Welt. Gabriela Elias saß in Europa, Asien und den USA im Sattel, sie ritt auf berühmten Bahnen wie Longchamp, Hoppegarten, Baden-Baden, Newmarket und im Arlington Park bei Chicago. Daheim in der Freudenau hatte sie über all die Jahre bis 2010 selbst zumindest ein Rennpferd stehen.

Heute stillt sie ihre Rennleidenschaft, die nie des Extrakicks durch Wetten bedurfte, mit Reisen an die größten Bahnen der Welt – zum Melbourne-Cup, zum Dubai Worldcup oder zum Prix de l’Arc de Triomphe. "Konfuzius sagte: Strahlende Stunden – weine nicht, dass sie vorüber, sondern lächle, dass sie gewesen sind", sagt Gaby Elias, vormals Martin. (Sigi Lützow, 17.2.2020)