Strategiespiele um Stiftungsratschef Norbert Steger: Wenn die Regierung ihn nicht vom Parteimandat abberuft, bleibt der umstrittene Vorsitzende.

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Die Regierung von ÖVP und Grünen könnte der FPÖ eine knifflige ORF-Frage ersparen: Sollen die Freiheitlichen ihren Parteivertreter Norbert Steger ablösen? Dafür spricht: Kantige Oppositionspolitik im ORF geht mit dem Vorsitzenden des obersten ORF-Gremiums nicht so leicht. Dagegen spricht: Der Vorsitzende entscheidet bei Stimmengleichstand etwa über die nächste ORF-Führung. Aber darüber muss sich die FPÖ womöglich gar nicht den Kopf zerbrechen.

Regierung kann, muss aber nicht

Denn: Die Bundesregierung muss auch nach der Nationalratswahl nicht alle Parteien einladen, neue Vertreter zu entsenden, indem sie die bestehenden abberuft. Sie könnte auch nur die Vertreterin der Liste Jetzt abberufen, weil die Pilz-Partei nicht mehr im Nationalrat sitzt, und dafür die Grünen eine neue Vertreterin oder einen neuen Vertreter entsenden lassen – theoretisch könnten sie auch die Jetzt-Vertreterin Susanne Fengler nominieren, eine deutsche Kommunikationswissenschafterin.

Die Bundesregierung kann laut ORF-Gesetz nach Wahlen und der Bildung einer neuen Bundesregierung die neun von der Regierung entsandten und die sechs von den Parteien nominierten, aber formell ebenfalls von der Regierung entsandten Stiftungsräte abberufen und neu besetzen. Für die Parteimandate ist sie an Vorschläge der Parteien gebunden. Aber nur, wenn sie die bestehenden Vertreter abberuft. Und das muss sie nicht – die Betonung liegt auf "kann".

Historisch unüblich

Mehrere sachkundige Juristen erklären auf STANDARD-Anfrage, dass die Regierung durchaus nur einzelne Parteimandate abberufen kann und neue Vorschläge einholen. Das wäre zwar historisch unüblich, wenden manche ein, aber rechtlich möglich.

Für solche Fragen ist Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der neuen Regierung mit den Grünen ressortzuständig, er hat mit seinem langjährigen Kommunikator Gerald Fleischmann einen Medienbeauftragten ernannt. Im Bundeskanzleramt gab man sich am Freitag auf STANDARD-Anfrage überrascht, dass die Regierung neben ihren neun Mandaten nur das bisherige Jetzt-Parteimandat neu besetzen lassen könnte und die übrigen Parteimandate weiterlaufen lässt.

"Das können wir weder bestätigen noch dementieren", hieß es dazu am Freitag auf Anfrage im Kanzleramt. Am Montag berichtete auch der "Kurier" über solche Überlegungen und "Manöver".

Steger verweist auf FPÖ

Was hätte die ÖVP von einem Verbleib des Stiftungsratsvorsitzenden Steger? Schon mit der FPÖ hatte die Volkspartei vereinbart, den Vorsitz des Stiftungsrats dem kleineren Regierungspartner zu überlassen; die operative ORF-Führung – Generaldirektor oder Vorstandschef – aber wäre bei Neubestellung (etwa durch ein neues ORF-Gesetz) ein Fall für die ÖVP gewesen. In der aktuellen Koalition wäre der – bei Stimmengleichstand entscheidende – Stiftungsratsvorsitzende wohl eine grüne Position.

Steger hat zwar 2011 gegen den Willen der FPÖ für die Wiederbestellung des Sozialdemokraten Alexander Wrabetz gestimmt, mit dessen freiheitlichem Vater ihn eine langjährige Freundschaft verbindet. 2016 aber unterstützte Steger schon den bürgerlichen Generalskandidaten Richard Grasl gegen Wrabetz bei der Bestellung zum ORF-General. Grasl unterlag damals, er ist derzeit Mitglied der "Kurier"-Chefredaktion.

Steger bleibt aber nicht zwingend Vorsitzender, wenn er im Stiftungsrat bleibt. Mit Zweidrittelmehrheit, sagen Juristen, könnte er aus der Funktion abberufen werden. Dafür bräuchten ÖVP und (künftig) Grüne aber weitere Fraktionen, etwa die SPÖ.

Schweigen zu Rückzug

Steger wollte sich am Montag auf STANDARD-Anfrage nicht darüber äußern, ob die FPÖ ihn verlängern will – oder ihr Parteimandat im Stiftungsrat neu besetzen. Steger verwies dazu nur knapp auf die Freiheitlichen: "Bestellungen wären Sache der Parlamentsklubs." Bei FPÖ-Chef Norbert Hofer hieß es am Montag auf STANDARD-Anfrage dazu nur: "Alles noch in Schwebe." Womöglich schwebt Steger ja auch – siehe oben – einfach weiter und die Frage stellt sich den Freiheitlichen mangels Abberufung durch die Regierung gar nicht.

Rein rechtlich könnte nur Steger selbst ein solches Regierungs- oder ÖVP-Kalkül unterlaufen: Er könnte das Mandat selbst jederzeit zurücklegen. Würde er das tun, wenn ihn die FPÖ darum ersucht, fragte ihn DER STANDARD am Montag. Steger beantwortete die Frage nicht.

Begnadeter blauer Schattensitzer

Mitte November erklärte Steger dem STANDARD: "Freiwillig trete ich nicht zurück." Der frühere FPÖ-Obmann und Rechtsanwalt hat in früheren Gesprächen aber auch mehrfach erklärt, er klebe nicht an Funktionen und sei "ein begnadeter Schattensitzer" – komme also auch sehr gut mit freier Zeit zurecht.

Steger wurde im Frühjahr 2018 mit der damals neuen Regierungsmehrheit von ÖVP und FPÖ zum Vorsitzenden des Stiftungsrats bestellt. Er fiel davor und danach mit Drohungen und Kritik am ORF auf. Steger drohte, die Budgets und Stellen der ORF-Korrespondenten zu kürzen, wenn sie nicht korrekt berichteten – Anlass war ein aus Stegers Wahrnehmung nicht korrekter Bericht über Wahlen in Ungarn. Er sagte zudem etwa ORF-Anchor Armin Wolf "unbotmäßige" Fragen an Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache nach.

Verschiebungen im ORF-Stiftungsrat

Die 35 ORF-Stiftungsräte entscheiden mit einfacher Mehrheit über die ORF-Führung (mit Zweidrittelmehrheit können Sie ORF-Generaldirektoren abberufen), über Budgets, Programmschemata und alle größeren unternehmerischen Fragen.

Die Bundesregierung entsendet neun Stiftungsräte, die Parteien im Nationalrat bestimmen sechs Mandate, die Bundesländer neun, der mehrheitlich vom Bundeskanzler oder Medienminister besetzte ORF-Publikumsrat sechs und der ORF-Zentralbetriebsrat fünf.

Die ÖVP stellt derzeit mit 15 Mandaten (ohne bürgerliche Unabhängige) die größte Fraktion im Stiftungsrat vor Freiheitlichen, SPÖ sowie Neos und Jetzt.

Derzeit haben ÖVP und FPÖ je vier Regierungsmandate, dazu kommt ein bürgerlicher Unabhängiger. Künftig soll die ÖVP hier fünf Mandate bekommen, die Grünen erhalten zwei, dazu zwei Unabhängige, auf die sich die Koalitionsparteien einigen müssen. Die ÖVP kommt damit auf 16 Mandate. Mit bürgerlichen Unabhängigen hat sie die einfache Mehrheit im Stiftungsrat, mit der sie die künftige ORF-Führung allein bestimmen könnte.

Die Freiheitlichen bleiben mit drei (bis 2022 bestellten) Mandaten aus dem Publikumsrat und einem Parteimandat künftig drittstärkste Kraft nach der SPÖ und vor den Grünen.

Neue Gewichte im Betriebsrat

Die Zentralbetriebsratswahl im ORF am Freitag dürfte auch die Gewichte im Stiftungsrat etwas verschieben: Die – ORF-intern als bürgerlich-unabhängig eingestufte – Liste von Radiobetriebsrätin Gudrun Stindl gewann auf Kosten der – als eher links eingestuften – unabhängigen Liste von TV-Betriebsratschefin Christiana Jankovics ein Mandat dazu. Sie hatte bisher ein Mandat im Stiftungsrat, das Wahlergebnis deutet auf zwei hin.

Der Zentralbetriebsrat dürfte sich noch vor der nächsten Sitzung des Stiftungsrats am 19. März konstituieren und seine Mitglieder entsenden. Auch die Bundesregierung hatte das mit den Mandaten vor, für die sie zuständig ist. Ob mit allen oder nur einem neuen Parteimandat. (Harald Fidler, 17.2.2020)