Entscheidungen treffen ist eine Hirnleistung im präfrontalen Cortex, dort werden Optionen durchgespielt.

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Will ich heute Abend mit Freunden etwas trinken gehen oder doch lieber gemütlich zu Hause bleiben? Wenn ich zu Hause bleibe: Netflix oder Amazone Prime? Eine neue Serie starten oder doch besser eine politische Dokumentation ansehen? Allerdings könnte man nach dem Glas Wein auch noch feiern gehen und vielleicht neue Leute kennenlernen.

Wer diese Gedankenschleifen kennt, leidet vermutlich an "Fobo" – "the fear of better options" (zu Deutsch: die Angst vor besseren Optionen). Der Begriff stammt von Patrick J. McGinnis, einem internationalen Risikokapitalgeber, der auch schon den Term "Fomo" prägte – "the fear of missing out" (zu Deutsch: die Angst, etwas zu verpassen) –, der mittlerweile sogar ins Oxford Dictionary aufgenommen wurde. Ins Lexikon hat es "Fobo" zwar noch nicht geschafft, trotzdem werden viele Menschen das Gefühl kennen, sich nicht entscheiden zu können, weil man befürchtet, nicht die für sich beste Entscheidung zu treffen. Denn Fobo kann nahezu immer auftreten: beim Abendessen genauso wie bei der Wahl des Kitaplatzes.

Unentschlossenheit leben

Darüber nachzudenken, welche Betreuungsstätte sich für den Sohn oder die Tochter am besten eignet, und die Optionen gegeneinander abzuwägen ist nicht schlimm, sondern verantwortungsbewusst. "Schwierig wird es, wenn Menschen in ihrer Unentschlossenheit verharren, am Ende gar nichts machen und Unsicherheit in die Angst umschlägt, später eine Wahl zu bedauern", sagt Erich Kirchler, Wirtschaftspsychologe von der Universität Wien. In diesem Fall werde die Unentschiedenheit tatsächlich zum Problem, wenn nicht gar zum psychischen Leiden. Dem Begriff Fobo kann Kirchler hingegen nicht viel abgewinnen. Für ihn ist McGinnis Wortschöpfung vielmehr das Label für ein altbekanntes Phänomen – "nämlich die Schwierigkeit, sich für eine Option zu entscheiden, wenn viele Optionen zur Auswahl stehen und das vorweggenommene Bedauern überhandnimmt, auf eine Option verzichtet zu haben."

Doch weshalb fällt uns das Entscheiden in solchen Fällen eigentlich so schwer? "Damit wir uns entscheiden können, schreibt unser Gehirn, genauer gesagt sein präfrontaler Kortex, jeder Option einen flexiblen Wert zu", erklärt Thomas Klausberger, Leiter des Zentrums für Hirnforschung der Universität Wien. Das heißt, wenn wir uns den ganzen Tag auf ein Stück Sachertorte gefreut haben, wird dem Kuchen ein anderer Wert beigemessen werden, als wenn wir bereits drei Stück vertilgt haben. Auch persönliche Erfahrungen und Emotion, mit anderen Worten die Lebensgeschichte eines Menschen, spielt bei der Bestimmung der Werteskala eine Rolle. Trinke ich jeden Morgen eine Tasse Kaffee zum Aufwachen, rangiert das Getränk meist automatisch in einem höheren Wertebereich als der Schwarztee. Da fällt die Entscheidung leicht.

Am Angebot scheitern

"Unentschiedenheit entsteht, wenn zwei Optionen die gleiche Wertigkeit erhalten oder wenn der Wert bei jedem Darübernachdenken neu berechnet wird", so Klausberger. Die unüberschaubare Fülle an Informationen im Internet, in den sozialen Medien oder auf Netflix und Amazone Prime kann Menschen daher schnell überfordern.

Das trifft auch auf den Wortschöpfer McGinnis zu: Er selbst war in einer einfachen Kleinstadt in Neuengland aufgewachsen, wie die britische Tageszeitung "The Guardian" berichtet. Dann kam er nach Harvard und erlebte erstmals das Gefühl der grenzenlosen Wahlmöglichkeit. Das heißt, er wollte so viele Veranstaltungen wie möglich mitnehmen, allerdings auch keine verpassen. Ein in Harvard, wie McGinnis später feststellte, allgegenwärtiges Phänomen. Das heißt: Je mehr Wahlmöglichkeiten wir haben, desto höher das Fobo-Risiko.

"Die Freiheit, zwischen mehreren Optionen wählen zu können, macht den Menschen erst einmal zufrieden", sagt Wirtschaftspsychologe Kirchler: "Zu viele Optionen verwirren jedoch, schüren Unsicherheit und senken die Zufriedenheit." In diesem Fall könne es helfen, darauf zu achten, seine eigenen Wahlmöglichkeiten zu begrenzen und sich auf seine erste Eingebung zu verlassen: Bei nicht besonders wichtigen Entscheidungen könne man auch einfach Würfeln. (Stella Hombach, 18.2.2020)