Bei ihrem Tirol-Besuch hat die neue EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean vergangenen Freitag die Transitdebatte neu entfacht. Denn bevor sie auf Forderungen der Tiroler – allen voran die Korridormaut – eingehen will, verlangt sie, dass einseitig verordnete Fahrverbote für den Transitverkehr, vor allem das sektorale, fallen. Mittlerweile gibt es nämlich eine ganze Reihe von Tiroler "Notwehrmaßnahmen", die der EU sowie den Nachbarstaaten im Norden und Süden ein Dorn im Auge sind.

Sektorales Fahrverbot

Eigentlich sollte nach Überschreitungen der Schadstoffgrenzwerte schon im August 2003 auf der Inntalautobahn (A12) das erste sektorale Fahrverbot in Kraft treten. Darunter versteht man ein Fahrverbot für Lkws, die bestimmte Güter transportieren – damals waren das unter anderem Abfälle, Rundholz oder Erze. Doch die EU leitete umgehend ein Verfahren gegen Österreich ein, weil ein solches sektorales Fahrverbot mit dem Prinzip des freien Warenverkehrs unvereinbar sei. Im November 2005 verhinderte ein EuGH-Urteil die Einführung schließlich.

Tirol erstickt unter der Transitlawine und griff zur Selbsthilfe. Doch nun scheint die Geduld der EU ein Ende erreicht zu haben.
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Auch der zweite Versuch scheiterte im Dezember 2011 vor dem EuGH. Trotzdem entschied die Tiroler Landesregierung angesichts des ständig steigenden Transitverkehrs, es 2016 erneut zu versuchen. Diesmal sollten die Beschränkungen stufenweise bis 2018 kommen. Bislang blieb die erwartete EU-Klage dagegen aus. Doch mit 1. Jänner 2020 wurde das sektorale Fahrverbot erneut verschärft. Statt bisher acht sind nun 13 Gütergruppen betroffen, Ausnahmen gelten nur mehr für Lkws der allerneuesten Euroklasse 6.

"Wir wissen, dass wir dabei unsere Möglichkeiten bis zum Äußersten ausreizen", sagt Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe (Grüne) zur Verschärfung des sektoralen Fahrverbots. Sie rechnet trotzdem nicht mit einer Klage der EU-Kommission, sondern eher mit einer nationalstaatlichen Klage durch die Nachbarländer Italien oder Deutschland, wo die mächtigen Frächter- und Transportlobbys Stimmung gegen die Tiroler Fahrverbote machen. "Doch wir schränken nicht die Warenverkehrsfreiheit ein, sondern nur die Wahl des Verkehrsmittels", ist Felipe siegessicher. Schließlich sei der Sinn des sektoralen Fahrverbots, den Schwerverkehr auf die Schiene zu verlagern.

Euroklassen-Fahrverbote

Verschärfungen kommen derzeit auch bei den Euroklassen-Fahrverboten. Sie beziehen sich auf die Bauart der Lkws, die Tirol passieren. Seit Oktober 2019 dürfen auf der A12 zwischen Kufstein und Zirl nur mehr Lkws ab Euroklasse 5 verkehren. Mit 1. Jänner 2021 sind überhaupt nur mehr die neuesten Lkws der Euroklasse 6 zugelassen. Ausnahmen oder längere Fristen gibt es, wie auch beim sektoralen Fahrverbot, für den Ziel- und Quellverkehr.

Nachtfahrverbote

Das auf der A12 gültige Lkw-Nachtfahrverbot enthält derzeit noch eine Ausnahme für Euroklasse-6-Fahrzeuge. Ab Jänner 2021 gilt diese nur mehr für den Ziel- und Quellverkehr. Zuletzt erklärte Italiens Premier Giuseppe Conte in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen klar, dass das Nachtfahrverbot und die Blockabfertigung italienische Frächter behindern und gegen EU-Prinzipien verstoßen.

Blockabfertigung

Seit 2018 wird der Lkw-Transit über den Brenner an besonders verkehrsreichen Tagen dosiert. Pro Stunde werden dann ab dem Grenzübergang Kufstein nur 250 bis 300 Lkws in Richtung Brenner durchgelassen. Das sorgt regelmäßig zu enormen Staus auf bayerischer Seite. Daher protestiert neben Italien besonders die deutsche Regierung gegen diese Maßnahme und drohte schon mehrfach mit einer EU-Klage.

Ausweichverkehr

Richtig Fahrt aufgenommen hatte die Diskussion um den Transitverkehr schon im Juni 2019, als Tirol Fahrverbote für den Urlauberausweichverkehr erlassen hat. Diese betreffen erstmals nicht den Schwer-, sondern den Pkw-Verkehr. An Wochenenden in der Sommer- wie Winterreisezeit dürfen Autos mit Kennzeichen, die nicht aus der Gegend stammen, die Autobahn oder Überlandstraßen nicht mehr verlassen, um Staus zu umfahren. Vor allem die Bayern reagierten mit heftiger Kritik, Ministerpräsident Markus Söder rief sogar zum Tirol-Urlaubs-Boykott auf. Die von Berlin angedrohte EU-Klage dagegen blieb bislang aber aus.

Tankstellenabfahrverbote

Seit August 2019 gilt für zwei Billigtankstellen im Tiroler Unterland ein Abfahrverbot. Das heißt, Lkws auf der Durchfahrt dürfen diese nicht mehr ansteuern, um hier günstiger als anderswo zu tanken. Die Tiroler würden diese Maßnahme gern auf alle 13 Tankstellen entlang der A12 und A13 ausdehnen.

Allerdings, erklärt Verkehrslandesrätin Felipe, wäre eine Abschaffung des Dieselprivilegs, das diesen Sprit in Österreich so billig macht, die geeignetere Maßnahme, um solchen Tanktourismus zu unterbinden und so Umwegtransit zu vermeiden. (Steffen Arora, 18.2.2020)