Im Gastkommentar widmet sich Ursula Werther-Pietsch, Lehrbeauftragte der Universität der Bundeswehr München und Mitglied der Wissenschaftskommission des Verteidigungsministeriums, der Frage, was ein europäischer Sicherheitsrat brächte.

Wir müssen die "Sprache der Macht" lernen, ließ der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kürzlich aufhorchen, Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel schlagen das wacklige Boot eines "Europäischen Sicherheitsrats" vor. Die geopolitische Brisanz liegt auf der Hand: Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier findet gewaltige Worte bezüglich einer zunehmend "destruktiven Dynamik der Weltpolitik", Gäste im Bayerischen Hof sprechen von "Westlessness": Offene Libyenfrage, Westbalkan auf der langen Bank, Friedensvermittlung auf Eis im Nahen Osten sind Herausforderungen erster Klasse in allernächster Nähe zu Europa. Der Diplomatie müssen Taten folgen – das benötigt auch Koordinationsschienen für den Ernstfall.

"Westlessness" war das Thema der Münchner Sicherheitskonferenz vergangene Woche.
Foto: EPA / Philipp Guelland

Warum hat es bisher nicht richtig geklappt mit der EU als weltpolitischem Akteur? Fehlt es an Bewusstsein, an Arbeitsmuskel oder Einsatz? Nein, es fehlt erstens an einer ganz grundsätzlichen Perzeption einer geänderten, härteren Wirklichkeit, in der Akteure durchaus bereit sind, ihre Ziele mit Gewalt zu erreichen. Dabei geht es nach Martin Selmayr, dem Vertreter der EU-Kommission in Wien, um eine "Weaponization" von Wirtschaftsinstrumenten, Datenströmen, Technologien und handelspolitischen Maßnahmen für strategische Zwecke. Zweitens: Haben wir es mit einer quadripolaren Welt zu tun? Chinesischer Drache, amerikanischer Bison, russischer Bär und das "Häuflein" der Europäer? Vielleicht, denn was sich tatsächlich abzeichnet, ist eine strategische Stärkung der Hinterhöfe der Großmächte im Kampf um Politik, Ressourcen und Handel. So zieht China die Fäden in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, und Russland zieht sie – mit völkerrechtlich weniger anerkannten Methoden – in seinem Einflussgebiet. Würde aber, drittens, gerade eine geeinigte Haltung Europas nur Öl ins Feuer gießen? Eine Antwort darauf braucht Weitblick, ein Überdenken der Nachkriegsfriedensarchitektur wie von Außenminister Alexander Schallenberg kürzlich gefordert, Vorausschau und Mut – das Gegenteil von "hirntot" eben.

Enormes Potenzial

Das Fischen um Themenführerschaft in europäischen Sicherheitsfragen ist jedenfalls eröffnet. David Whineray von Carnegie Europe argumentiert Pros und Cons eines "Europäischen Sicherheitsrats": Optimierung außenpolitischer Abstimmung und militärischer Kapazitäten, bessere Kohäsion, Einladung an das Vereinigte Königreich, am Kontinent präsent zu bleiben, sehr zum Missfallen der USA. Mancher Beobachter meint, dass Alleingänge der E3 (Frankreich, Deutschland, Großbritannien) mit negativen Folgen für die "Kleineren" in der EU nur so ausgebremst werden könnten.

Der Vorschlag müsste zudem wohl Nato-kompatibel und Nuklearwaffen-sensibel sein – kein leichtes Unterfangen. Vielleicht wäre die organisatorische Verbesserung der Schnittstelle zwischen Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik ein erster Schritt. Dieser sollte an vorhandenen Strukturen anknüpfen, dazu gehört auch das Vorfeld politischer Entscheidungsfindung. So könnte ein österreichisches "Center of Excellence" das gemeinsame Handeln in Krisen- und Konfliktregionen mit Vorbildwirkung für die EU-Ebene weiterentwickeln.

Keine Frage, ein "Europäischer Sicherheitsrat" wäre eine Antwort auf fragile Situationen von Tripolis bis Tirana und birgt ein ungeheures Potenzial: schnellere Positionierungen, globaler Einfluss und echte Mitgestaltung – mehr "Sprache der Macht" oder, wie Macron betonte, "Sprache der Übersetzung" der Macht und, im neuen Münchner Jargon, weniger "Westlessness". (Ursula Werther-Pietsch, 17.2.2020)