Bougainville hat mit großer Mehrheit dafür gestimmt, Neukaledonien wird im September abermals darüber abstimmen, Westpapua hätte sie gerne, darf jedoch nicht abstimmen: Zahlreiche Gebiete im pazifischen Raum streben nach Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit.

Auch das Atoll Chuuk will sich in die Liste unabhängiger Nationen eintragen – zumindest wenn es nach bestimmten politischen Vertretern geht. Das dazu angedachte Unabhängigkeitsreferendum steht unmittelbar bevor – jedenfalls theoretisch.

Chuuk ist neben Yap, Pohnpei und Kosrae einer der vier Teilstaaten der Föderierten Staaten von Mikronesien (FSM). Mit rund 50.000 Einwohnern lebt hier fast die Hälfte der Bevölkerung des aus mehr als 600 Inseln bestehenden Staatenverbands. Alle Inseln gehören zum Archipel der Karolinen.

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Jeep Island ist eine der zahlreichen Inseln in der Chuuk-Lagune.
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Ursprünglich war das chuukische Unabhängigkeitsreferendum bereits für 2015 geplant, wo es gemeinsam mit den bundesweiten Wahlen durchgeführt werden sollte. Der damalige Präsident der FSM, Manny Mori, lehnte eine Unabhängigkeit Chuuks ab. Diese sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Dem gegenüber steht ein Bericht der von der Regierung Chuuks eigens eingesetzten Statuskommission, der Chuuk Future Political Status Commission. Diese Kommission kam unter Berufung auf den Präzedenzfall Kosovo zu dem Ergebnis, alle anderen Optionen außer der Unabhängigkeit Chuuks seien "unpraktikabel, unrealistisch oder unmöglich".

Die Kommission war von den Gesetzgebern Chuuks im Jahr 2011 eingesetzt worden. Ihr Auftrag war die Klärung der Optionen für den Status und die wirtschaftliche Absicherung Chuuks für die Zeit nach dem Auslaufen der im Compact of Free Association (CoFA) geregelten finanziellen Unterstützung durch die USA im Jahr 2023. Gegner der Unabhängigkeit warfen der Kommission schon 2015 vor, ihre Empfehlung ohne jegliche Kostenanalyse und Wirtschaftsplan abgegeben zu haben. Die Strategie der Kommission sei ein Ja zur Unabhängigkeit bei einem Referendum, dann erst werde man sich Gedanken über die Wirtschaft, eine Verfassung und internationale Verträge machen. Fast könnte man glauben, Boris Johnson habe bei "Get Brexit done" eine Anleihe bei Chuuk genommen.

Das für 2015 geplante Referendum wurde jedenfalls auf den Wahltermin am 5. März 2019 verschoben, um mehr Zeit für Beratungen zu haben. Kurz vor diesem Termin wurde ein weiteres Mal vertagt, diesmal auf März 2020. Ob die Abstimmung diesmal stattfinden wird, wird sich zeigen.

Klamme Finanzen

Völlig unklar ist, wie sich ein unabhängiges Chuuk zu finanzieren gedenkt. Die FSM sind ein Entwicklungsland mit wenigen Ressourcen, die Haupteinnahmequelle ist Geld aus den USA. An Bodenschätzen werden Phosphaterze abgebaut. Die Landwirtschaft dient vorwiegend der Selbstversorgung, daneben wird Fischfang betrieben. Hauptsächlich werden jedoch Fischereilizenzen an ausländische Unternehmen verkauft. Für Tourismus mangelt es an Infrastruktur, die Distanzen sind groß.

Die Frage nach der Unabhängigkeit steht jedenfalls in einem Spannungsfeld zwischen den jahrzehntelangen Beziehungen zu den USA einerseits und China, das überall im pazifischen Raum versucht, einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Die USA haben mehr als deutlich klargemacht, dass ein unabhängiges Chuuk nicht auf Unterstützung durch US-Dollars hoffen darf. 2018 erklärte der damalige US-Botschafter in den FSM, Robert Riley, in einem an die Bewohner Chuuks gerichteten Video, dass ein Ausstieg aus dem Staatsverband weitreichende Konsequenzen haben würde. Der CoFA würde für ein unabhängiges Chuuk nicht gelten, warnte Riley. Einwohner Chuuks würden ihr Aufenthaltsrecht in den USA verlieren, zahlreichen Arbeitern und Studenten würde die Abschiebung aus den USA drohen.

US Embassy Kolonia

Zumindest die Auslandschuuker können sich aus diesen Gründen mit einer Unabhängigkeit ihrer Heimat nicht anfreunden. In den USA lebende Chuuker erklärten im Jahr 2018 zu dem Thema, die Leute daheim seien von der Regierung Chuuks unter Gouverneur Johnson Elimo gehirngewaschen. Ein Ja zur Unabhängigkeit könnte durch Betrug erschummelt werden, befürchteten andere.

Sabino Asor ist als Chef der Statuskommission und Chuuks Generalstaatsanwalt einer der wesentlichen Antreiber der Unabhängigkeit. Er kritisierte Rileys Rede an die Chuuker als Einmischung und bezweifelte, dass der Botschafter für die USA sprechen könne. Asor warnte, dass Chuuk gezwungen sei, sich China zuzuwenden, wenn die US-Gelder versiegen würden.

Strategische Schlüsselposition

Freilich, auch für die USA steht einiges auf dem Spiel. Der CoFA garantiert ihnen den exklusiven Zugang zum Luftraum und den Gewässern der Vertragspartnerstaaten FSM, Palau und Marshallinseln. Das ist nicht gerade wenig: Die Fläche der territorialen Gewässer der drei "Freely Associated States" (FAS) übersteigt jene der kontinentalen USA, also der als Conus bezeichneten 48 zusammenhängenden Bundesstaaten exklusive Alaska und Hawaii.

Das Gebiet des Trust Territory of the Pacific Islands auf einer Karte aus dem Jahr 1961. Links oben ist der Umriss der kontinentalen USA zum Vergleich über das Gebiet gelegt.

Mit den FAS steht und fällt also die US-Dominanz im pazifischen Raum. Deshalb warnte der US-Außenminister Mike Pompeo bei einem Treffen mit den FAS im vergangenen August in Pohnpeis Hauptstadt Kolonia. "Ich bin hier, um zu bekräftigen, dass die USA dabei helfen werden, die Souveränität zu schützen, ebenso die Sicherheit und das Recht, in Freiheit und Frieden zu leben", erklärte der Außenminister. Die USA hätten mit Verhandlungen zur Ausweitung der Verträge mit den FAS begonnen – diese garantierten die Demokratie angesichts chinesischer Versuche, die Karte des Pazifiks neu zu zeichnen, sagte Pompeo in Kolonia. Sein Besuch war der erste eines amtierenden US-Außenministers in Mikronesien.

Im vergangenen August besuchte Mike Pompeo als erster US-Außenminister Mikronesien.
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Hier traf er neben Mikronesiens Präsident David Panuelo (links) auch die Präsidentin der Marshallinseln, Hilda Heine, und Palaus Vizepräsidenten Raynold Oilouch.
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Besuchsdiplomatie

Bereits im Mai 2019 hatten die drei Präsidenten der FAS – David Panuelo (FSM), Hilda Heine (Marshallinseln) und Thomas Remengesau (Palau) – US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus in Washington besuchen dürfen. Auch dieses kurze, aber historische Treffen zeigt, dass den USA Chinas Expansionsbestrebungen Kopfzerbrechen bereiten. Ein Ausstieg aus den FSM und damit aus dem CoFA hieße für Chuuk, dass künftig ohne Rücksicht auf die USA Verträge mit China abgeschlossen werden können – womit die Monopolstellung Washingtons in der Region Vergangenheit wäre.

Ob Chuuk nun unabhängig wird oder nicht: Die FSM planen jedenfalls selbst für die Zeit nach 2023. So erhielt David Panuelo im vergangenen Dezember bei seinem Besuch in Peking einen pompöseren Empfang als ein halbes Jahr zuvor in Washington. Die "große Freundschaft erklomm noch größere Höhen", erklärte Chinas FSM-Botschafter Huang Zheng. Kein Wunder, denn Panuelo konnte mit Entwicklungsdeals im Wert von dutzenden Millionen Dollar im Gepäck die Rückreise antreten.

Mikronesiens Präsident stattete im Dezember des Vorjahrs China einen Besuch ab. Er wurde von Premier Li Keqiang ...
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... und Präsident Xi Jinping empfangen.
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Portugiesen, Spanier, Deutsche, Japaner und US-Amerikaner

Besiedelt wurden die Inseln wohl schon vor mehr als viertausend Jahren. In Pohnpei bestand bereits um das Jahr 1200 eine hochentwickelte Kultur, wie die auf künstlichen Inseln errichteten Megalithbauten von Nan Madol belegen. Als erste Europäer kamen im 16. Jahrhundert die Portugiesen, dann die Spanier. Nachdem die Spanier im Spanisch-Amerikanischen Krieg die Vorherrschaft im Pazifik verloren hatten, verkauften sie die Inseln 1899 an Deutschland, die damit Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea wurden.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurden die Inseln von Japan besetzt, im Zweiten Weltkrieg waren sie eine Drehscheibe für die japanischen Expansionsbestrebungen im Pazifik. Chuuk, das damals noch Truk hieß, war der Hauptstützpunkt der japanischen Marine im zentralen Pazifik. Bei der "Operation Hagelkorn" (Operation Hailstone) vernichtete hier die US-Marine am 17. und 18. Februar 1944 die japanische Versorgungsflotte. 42 Schiffe, darunter zwei Kreuzer und fünf Zerstörer, wurden versenkt, hunderte Flugzeuge auf den Flugfeldern zerstört. Die Wracks liegen bis heute in Chuuks Lagune.

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In der Lagune des Chuuk-Atolls liegen seit dem Zweiten Weltkrieg dutzende Schiffswracks. Das Atoll ist ein Traumziel für Taucher.
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Nach Ende des Krieges wurden die Inseln UN-Treuhandgebiet und als Trust Territory of the Pacific Islands (TTPI) von den USA verwaltet. 1979 gaben sich vier der Gebiete – die heutigen Teilstaaten – der TTPI eine Verfassung und begründeten so die Föderierten Staaten von Mikronesien. Die Marshallinseln, Palau und die Nördlichen Marianen beteiligten sich nicht an dem neuen Bundesstaat. Die ersten beiden wurden ihrerseits unabhängige, jedoch mit den USA assoziierte Republiken, die letzteren sind bis heute ein US-Außengebiet.

Mit den USA schlossen die FSM, Palau und die Marshallinseln den Compact of Free Association, der 1986 in Kraft trat und militärische und wirtschaftlichen Themen regelt, mit 1991 wurden die FSM unabhängig. Seit 1990 heißt das vormalige Truk Chuuk. (Michael Vosatka, 18.2.2020)