Erfurt – Es bleibt spannend in Thüringen, und die Überraschungen gehen weiter. Der ehemalige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat unerwartet seine Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht als Übergangsregierungschefin vorgeschlagen. Die 61-jährige CDU-Politikerin soll demnach etwa 70 Tage lang bis zu Neuwahlen amtieren, als "technische Regierung" zusammen mit drei Ministern. Der Vorschlag sei sein "Beitrag zur Stabilisierung des Landes", sagte Ramelow am Montagabend nach einem Treffen von Linkspartei, CDU, SPD und Grünen in Erfurt.

Er selbst würde zunächst nicht als Ministerpräsident kandidieren. Man brauche eine Regierung, die handlungsfähig sei, so Ramelow. Zugleich machte er klar, dass er bei Neuwahlen wieder als Spitzenkandidat antreten würde.

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Mögliche Neuwahl

Stimmt das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit Neuwahlen zu, bleiben laut Landesverfassung 70 Tage Zeit für Neuwahlen. Nach Ramelows Plan soll Lieberknecht mit "einem Justizminister, mit einer Finanzministerin und einem Chef der Staatskanzlei" die wichtigsten Aufgaben lösen. Für eine Auflösung des Landtags sind 60 der 90 Stimmen nötig. Rot-Rot-Grün hat zusammen 42 Stimmen, die CDU 21 und die FDP fünf.

Die Fraktionen im Landtag suchen seit fast zwei Wochen einen Ausweg aus der Krise. Auslöser war das Debakel bei der Ministerpräsidentenwahl am 5. Februar. An dem Tag hatte die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU, FDP und maßgeblich der AfD zum Ministerpräsidenten für ein politisches Beben gesorgt. Drei Tage später trat der 54-Jährige zurück. Er ist seitdem geschäftsführend ohne Minister im Amt, bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist.

Lieberknecht amtierte von 2009 bis 2014

Die 61-jährige Lieberknecht war von 2009 bis 2014 Regierungschefin in Thüringen und führte damals eine Koalition von CDU und SPD an. Nach der Landtagswahl 2014 entschied sich die SPD für ein Bündnis mit den Linken und den Grünen. So kam es zum Machtwechsel, obwohl die CDU damals stärkste Fraktion blieb. Lieberknecht wird schon seit vielen Jahren ein gutes Verhältnis zu Ramelow nachgesagt.

Ramelow hatte zuletzt stets betont, er wolle sich erneut einer Ministerpräsidentenwahl stellen, wenn es für ihn eine absolute Mehrheit ohne AfD-Stimmen gibt – dafür sind mindestens vier Stimmen von CDU oder FDP nötig. Zugleich hatte er vorgeschlagen, dass er nach seiner Wahl den Weg für geordnete Neuwahlen freimacht – möglichst nach einer Verständigung über das Budget für 2021, um Thüringen bis zu einer Landtagswahl handlungsfähig zu halten.

Politische Reaktionen

Thüringens Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow twitterte einen Zeitplan zu Ramelows Vorstoß. Demnach soll sich Anfang März der Landtag auflösen und Neuwahlen beschließen. Danach würde die technische Landesregierung mit Lieberknecht an der Spitze eingesetzt. Anschließend soll es nach Neuwahlen zur Bildung einer neuen Regierung kommen. Dabei gehe die Linke wieder mit Ramelow als Spitzenkandidat ins Rennen, betonte sie.

Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee begrüßte Ramelows Vorstoß. "Das ist ein sehr guter Vorschlag", sagte Tiefensee. "Hoher Respekt für Bodo Ramelow, dass er sich selbst zurückzieht, den Weg freimacht für eine technische Regierung."

CDU stimmt unter Bedingungen zu

Die Verhandlungsgruppe der Thüringer CDU-Fraktion reagierte erst verhalten, gab aber am späten Dienstagnachmittag bekannt, Ramelows Vorschlag unter Bedingungen mitzutragen. Demnach wolle die CDU eine "Regierung des Übergangs", die vollständig besetzt sei und auch gleich den Landeshaushalt für 2021 aufstelle, sagte der CDU-Landtagsfraktionschef Mike Mohring. Die Regierung solle aus Experten bestehen, die von der Linken, der CDU, der SPD, den Grünen und der FDP parteiübergreifend berufen werden sollen. Erst nach der Verabschiedung eines Haushalts soll es Neuwahlen geben.

"Wir glauben, dass das Wichtigste ist, dass am Ende eines Prozesses nicht die AfD stärker werden kann, als sie jetzt schon ist", sagte Thüringens CDU-Vizechef Mario Voigt zuvor. Die CDU hatte im Vorfeld signalisiert, dass sie kein Interesse an Neuwahlen hat. Hintergrund dürfte auch sein, dass sie laut Umfragen in der Wählergunst stark eingebüßt hat. Die Christdemokraten hatten es bislang abgelehnt, Ramelow aktiv als Regierungschef mitzuwählen. Ihnen verbietet ein Bundesparteitagsbeschluss jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD und den Linken

Auch die Grünen zeigten sich zunächst nicht begeistert von Ramelows Vorstoß. Man präferiere weiterhin die Variante, "dass schnell eine handlungsfähige Regierung unter Bodo Ramelow hergestellt wird", sagte Landessprecherin Ann-Sophie Bohm-Eisenbrandt. (APA, 18.2.2020)