Der Verzicht aufs Fliegen ist für Christoph Küffer eine Frage der Vernunft.

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Unmittelbar nach der Pariser Klimakonferenz 2015 entscheidet der Schweizer Christoph Küffer, ein Jahr lang auf Flüge zu verzichten. Kein leichter Entschluss, ist der Umweltsystemwissenschafter von der ETH Zürich doch in zahlreiche internationale Forschungsprojekte involviert. Auch seine Dissertation schrieb er weit weg von Zürich – auf den Seychellen. Forschung und Konferenzen erfordern es, dass er zumindest hie und da auch Langstreckenflüge antritt.

Nach Paris allerdings gelangt er zu der Überzeugung: Sollen die dort formulierten Klimaziele erreicht werden, muss die Gesellschaft den CO₂-Ausstoß in den kommenden Jahrzehnten drastisch reduzieren. Und lange genug hätten sich Wissenschafter mit ihrer Arbeit für die Klimaziele eingesetzt, nun sei die Zeit des Handels gekommen.

Vernunft im Alltag

Ende 2015 veröffentlicht Küffer im viel beachteten Zukunftsblog der ETH Zürich den Selbstversuch seines Flugverzichts. Er stellt ihm voran: "Ich liebe das Reisen und ändere mein Leben ungern." Und doch findet er in diesem Jahr viele Argumente für das Nichtfliegen – für ihn ein idealer Testfall des Verzichts –, die er in fünf Punkten formuliert:

Erstens sei es möglich, pragmatisch Maßnahmen der Flugvermeidung zu ergreifen. Etwa den Informationsaustausch mit langjährigen Partnern über das Web abzuwickeln. Zweitens sagt er ganz keck: Schummeln ist erlaubt. Auch er habe während dieser Zeit einen bereits gebuchten Flug auf die Azoren angetreten. Dennoch müsse das Vernünftige banaler Alltag werden. Drittens solle man wieder lernen, an die Vorteile des Nichtfliegens zu denken und keine "Verlustängste" zu haben. Er habe dadurch viel produktive Zeit dazugewonnen. Viertens appelliert er an die Wissenschaftscommunity: Man solle besser zur Ausbildung von Wissenschaftern in Schwellenländern beitragen, als sich dort selbst als unentbehrlich hochzustilisieren. Und schließlich: Die ETH solle substanzielle Ab gaben auf alle ihre Flüge einheben, die in die Umsetzung eines CO₂-freien Betriebs der Uni fließen.

2020 beginnt Küffer sein fünftes Jahr (fast) ohne Flüge. Wir haben ihn gefragt, welche Schlüsse er daraus zieht.

STANDARD: Wie erleben Sie den Verzicht?

Küffer: Verzicht bedeutet für die meisten, dass man leidet, etwas verliert. Ich habe keinen Verzicht erlebt, sondern etwas gewonnen. Es entsteht Raum für etwas, das ich genieße – neue Reiseerlebnisse mit dem Zug oder mit dem Schiff –, und es ergibt sich eine neue Freiheit: die Freiheit, Nein zu sagen. Wir sind in allen unseren Arbeitsumfeldern Sachzwängen ausgesetzt, diesen gilt es einmal zu widersprechen.

STANDARD: Das kann ein Wissenschafter eher als der klassische Angestellte.

Küffer: Ja, vielleicht. Es geht aber nicht um absolute Wahrheiten oder darum, dass man gar nicht mehr fliegt. So ist etwa die jüngere Generation der Wissenschafter auf direkte Kontakte angewiesen, der Druck zu fliegen ist höher. Mein Selbstversuch des Nichtfliegens wirft die Frage auf: Was ist die richtige Balance zwischen sorgfältigem Arbeiten und einem Wissenschaftsbetrieb, der in der Welt herumjettet? Je mehr wir reisen, desto weniger Zeit nehmen wir uns, die Artikel anderer Wissenschafter zu lesen. Das ist eine schlechte Entwicklung.

STANDARD: Aber wie sehen Möglichkeiten des Flugverzichts außerhalb des Wissenschaftsbetriebs aus?

Küffer: Mich hat beschäftigt: Was ist in meinem Umfeld möglich? Weil wir Wissenschaftler gerne behaupten, wir hätten keinen Spielraum, wir sind vom Fliegen abhängig. Für diesen Bereich kann ich die Behauptung widerlegen.

STANDARD: Die Karriere hat darunter nicht gelitten?

Küffer: Nein. Ich arbeite nur regionaler und dadurch intensiver.

STANDARD: Ihrem Blog stellen Sie voran, Sie lieben das Reisen. Wie schwer fiel es, in der Freizeit auf Flüge zu verzichten?

Küffer: Ich genieße langsame Reisen und sehe eine Bereicherung: Man kann sich intensiver mit dem auseinandersetzen, was einem begegnet. Andererseits habe ich international gearbeitet, von daher auch Freunde in der Ferne. Mit diesen kommuniziere ich nur noch virtuell. Dadurch habe ich aber mehr Zeit, alte Freundschaften in der Nähe zu pflegen. Das Leben ist Veränderung, auch Freundschaften ändern sich.

STANDARD: In Ihrer Familie gibt es niemanden, der sagt: Wir wollen aber wieder einmal wegfliegen?

Küffer: Die Familie war für mich ein wichtiger Grund, nicht mehr zu fliegen. Ich bin jetzt öfter im Homeoffice, wir sehen uns dadurch mehr. Das hat eine andere Qualität – ich hoffe, dass meine Familie das auch so sieht. Meine Kinder sind acht und zehn. Ich hoffe, dass unsere Reisen durch die Schweiz noch eine Zeitlang spannend genug für sie sind, dass sie gerne in der Schule davon erzählen.

STANDARD: Welche Art Urlaub haben Sie in letzter Zeit gemacht?

Küffer: Wir sind viel in der Natur. Die Kinder haben das richtige Alter, um in den Wald zu gehen, zu wandern oder zu zelten.

STANDARD: Und keines hat gesagt: Wir wollen aber nicht wandern?

Küffer: Stimmt schon: Wandern im klassischen Sinn ist nicht das Attraktivste für Kinder. Man muss sich schon etwas überlegen als Eltern, um die Natur spannend zu machen. Vielleicht sollte es auch mehr spezielle Reiseführer dafür geben als einen Lonely-Planet-Reiseführer über Myanmar.

STANDARD: Glauben Sie nicht, dass Ihre Kinder irgendwann einmal andere Kulturen kennenlernen wollen?

Küffer: Andere Kulturen leben zum Glück auch direkt vor unserer Haustür. Zumindest in den großen Städten. Ich würde mich eher fragen: Wie findet die Begegnung auf Augenhöhe statt? Muss ich dafür wirklich nach Südostasien oder nach Hawaii fliegen? Intensiver kann ich mich mit anderen Kulturen in der nahen städtischen Umgebung auseinandersetzen.

STANDARD: Ich höre aus alldem raus: Sie machen einfach das, was Ihnen ohnehin Freude bereitet. Wo bleibt der Verzicht?

Küffer: Verzicht heißt heute, das auszulassen, was mir von der Werbung herangetragen wird. Es geht also tatsächlich darum, sich bewusst zu machen, was man gerne tut. Nehmen wir das Beispiel eines Wochenendflugs nach London: Da habe ich das Gefühl, es ist etwas, von dem mir nur suggeriert wird, es sei richtig für mich. Es gibt Dinge, die sinnstiftender sind und einen Rückgewinn an Freiheit bedeuten.

STANDARD: Worin sehen Sie einen tieferen Sinn?

Küffer: Ich mag es, immer wieder an denselben Ort zurückzukehren, um dort Neues zu entdecken. Das deckt sich mit meiner Erfahrung als Ökologe: Ich gehe seit Jahren in denselben Wald, glaube, jeden Stein zu kennen, und finde plötzlich etwas, das in keinem Buch steht.

STANDARD: Was muss passieren, damit jemand, der lieber ferne Städte als nahe Wälder entdeckt, umdenkt?

Küffer: Es herrscht eine romantische Vorstellung vom Entdecken vor, die aus den Anfängen der Lonely-Planet-Reiseführer stammt. Als ich mit dem Zug und Schiff nach Athen gefahren bin, gab es viele ungeplante Erlebnisse entlang der Route – geprägt vom Zufall, das ist für mich Entdecken.

STANDARD: Nicht jeder kann oder will sich Zeit für Zufälle nehmen. Was halten Sie von Kompensationszahlungen, wenn man nicht auf das Fliegen verzichtet?

Küffer: Besser, man zahlt die CO₂-Kompensation, als man macht gar nichts. Das Problem an solchen freiwilligen Zahlungen ist, dass sie kaum Veränderungen anstoßen, sondern nur CO₂-Einsparungen finanzieren, die ohnehin passieren müssten. Wir benötigen aber einen Systemwandel. (Sascha Aumüller, 21.2.2020)