Walzer, Bälle und Kränzchen mach(t)en im Fasching auch vor Wissenschaftern nicht halt. Sorgte am Beginn des 20. Jahrhunderts etwa das Naturhistoriker-Kränzchen für volle Ballsäle, ist es heute der Wiener Ball der Wissenschaften. Der Donauwalzer gehört immer dazu – auf dem Wiener Parkett wie auf schmelzenden Eisschollen im hohen Norden.

Zunächst sei der Naturwissenschaftliche Verein an der Universität vorgestellt. Er hatte sich am 21. Oktober 1882 konstituiert mit dem Ziel, "einen Sammelpunkt zu haben, in dem sie, abgesehen von materieller Unterstützung ihrer Studien durch litterarische Behelfe, Sammlungen u. s. w., Gelegenheit zu gegenseitigem Gedankenaustausch und gemeinsamer Arbeit finden können". Nach knappen zwei Dekaden erfand man das zunächst "sehr bescheidene" Naturhistoriker-Kränzchen. Doch es hatte sich binnen weniger Jahre "zu einem förmlichen Ball ausgewachsen" ("Neues Wiener Tagblatt", 11. Februar 1902); dieser fand im Hotel Continental statt.

Das legendäre Hotel Continental.
Foto: Archiv Th. Hofmann.

Vom Hotel Continental zum Naturhistoriker-Kränzchen

Damenspende des "Chemiker-Kränzchens" 1905.
Foto: Geologische Bundesanstalt
Geologische Bundesanstalt
Geologische Bundesanstalt
Geologische Bundesanstalt
Geologische Bundesanstalt

Besagtes Hotel Continental geht auf die Wiener Weltausstellung (1873) zurück. Es entstand aus dem Goldenen Lamm und dem Weißen Schwan. Neben 200 Zimmern besaß es auch einen Saal für 600 Personen. Im 19. und auch im frühen 20. Jahrhundert war das Continental eine renommierte Location für große Veranstaltungen. Vor allem Bälle, Tanzveranstaltungen und große Feierlichkeiten fanden hier statt. Als der Polarforscher Fridtjof Nansen (1861–1930) am 6. Mai 1898 im Festsaal des Wiener Rathauses sprach, fand das anschließende Festbankett mit 130 Personen im Continental statt. Heute steht an dessen Stelle ein anderes Hotel, das SO/Vienna, eine Landmarke am Donaukanal.

Eine jener Veranstaltungen, die stets im Continental stattfanden, war das Naturhistoriker-Kränzchen. Hier war das einstige Who is Who der Wiener scientific community vereint, wie ein Rückblick auf den Ball des Jahres 1909 zeigt. Das Protektorat des damaligen Balles hatte der Rektor der Universität Wien, Professor Dr. Franz Exner, über, Präsidentin war Lilly Rechinger, die Frau des Botanikers Karl Rechinger. "Unter den Ehrengästen waren zu bemerken: der Präsident der Akademie der Wissenschaften, Professor Dr. Sueß, die Hofräte Weiß und Tietze, die Professoren Becke, Brückner, Berwerth, Diener, Fiebiger, Hoernes, Oberhummer, […] Tschermak, Uhlig, v. Wettstein, der Vizepräsident der Zoologisch-botanischen Gesellschaft Dr. Ostermayer, […]." ("Neues Wiener Tagblatt", 12. Februar 1909). Bei den Damen und Herren, die den Ball eröffneten, finden sich klingende Namen, vielfach Söhne und Töchter der Gelehrten. Am bekanntesten aus heutiger Sicht ist der damals 22-jährige Physiker und spätere Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, der mit Paula Hölzel eröffnete. Neben den Naturforschern gab es eine Reihe weiterer Bälle im akademischen Umfeld, wie jenen der Chemiker.

Vom Chemiker-Kränzchen zum Donauwalzer im fernen Eismeer

Über das Chemiker-Kränzchen, das von der Technischen Hochschule in Wien (heute TU) organisiert wurde, finden sich zahlreiche humorvolle Berichte und Notizen, wie etwa Beispiele von 1885 und 1886 zeigen: "Im Destillirraume der Musikvereins-Säle hatten sich am 10. Februar d. J. mehrere hundert lustige Basen eingefunden, welche, sämmtlich begabt mit der Fähigkeit, binäre Verbindungen einzugehen, auf die anwesenden kräftigen Säuren eine gewaltige Anziehungskraft ausübten. Da fast alle Basen jung und hübsch waren, fiel es den Säuren nicht im Traume ein, sauer zu reagiren, vielmehr betheiligten sie sich mit süßester Miene an den Walzer- und Polka-Processen, zu welchen die als Damenspenden überreichten Retorten Raum boten. Daß bei den vielen innigen Mischungen sehr viel Wärme entwickelt wurde, versteht sich von selbst und es ging auch ein großer Theil des vorhandenen Wassers in Dampf auf: trotzdem befanden sich augenscheinlich alle Elemente in ihrem Elemente und nicht ein einziges Mal kam es vor, daß eine Verbindung gefällt wurde. Ob die meisten Verbindungen nicht flüchtiger Natur waren, soll hier nicht analysirt werden, nur soviel sei bemerkt, daß manche Annaliese quantitativ und qualitativ sehr befriedigte. Definitive Auflösung aller Mischungen in ihre Elemente bewirkte erst das Licht der aufgehenden Sonne." ("Wiener Caricaturen", 22. Februar 1885).

Beim Chemiker-Kränzchen
Student: Warum seufzen, mein Fräulein, was fehlt Ihnen?
Junge Dame: O, nichts, Herr Doctor, nichts als – Mitgift! ("Die Bombe", 14. Februar 1886)

Karikatur aus dem "Kikeriki" vom 18. Jänner 1920.
Foto: anno

Dass man bei den Wiener Bällen zu Walzermusik tanzte, muss nicht betont werden. Doch man lauscht nicht nur in Wien den flotten Klängen. Den Beweis liefert der Geologe Gustav Laube (1839–1923) in einem Vortrag am 23. November 1870 in Wien. Laube war Teilnehmer der Zweiten Deutschen Nordpolexpedition (1869/1870), die aus zwei Schiffen, der Germania und der Hansa, bestand. Er selbst befand sich auf der Hansa, die vom Druck der Eisschollen zerstört wurde. Somit musste die Besatzung auf einer "Scholle, die sieben Seemeilen im Umfange hatte", überwintern.

Titelseite des Donauwalzers von Johann Strauß.
Foto: Gemeinfrei

Dazu Laube: "Für die Leute gab es Segel zu nähen und andere Vorrichtungen, auch hatten wir genug gute Lectüre und davon für alle hinreichend uns geistig zu beschäftigen. Ausserdem verkürzten Spiele und sogar Musik die Zeit. Meine Spieldose hörten wir Tag für Tag mit grossem Behagen an. Den Wienern wird es interessant sein zu vernehmen, dass eine Musikdose wohl viele hundertmal 'An der schönen blauen Donau' im fernen Eismeere spielte." (Thomas Hofmann, 20.2.2020)