Manchmal muss man sich ein bisschen aufdrängen, also stellt Norbert Röttgen am Dienstagmittag in Berlin vor der Hauptstadtpresse klar: "Ich trinke am liebsten Espresso und stehe Einladungen offen gegenüber." Es ist klar, mit wem der ehemalige Umweltminister (2009 bis 2012) gern ein Käffchen, wie es bei den Deutschen heißt, nehmen würde: mit Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Zu besprechen gibt es einiges, Röttgen nämlich hat am Dienstag in der deutschen Hauptstadt für eine handfeste Überraschung gesorgt: Per Mail teilte er Kramp-Karrenbauer mit, dass er sich um den CDU-Vorsitz bewerben wolle.

Er sei ja jetzt der vierte Kandidat aus Nordrhein-Westfalen, meint später jemand bei der Pressekonferenz. Da muss Röttgen korrigieren: "Ich bin nicht der vierte, sondern der erste."

Tatsächlich: Man weiß von Ex-Fraktionschef Friedrich Merz, vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet und von Gesundheitsminister Jens Spahn, dass sie bereit sind. Aber offiziell gemacht hat seine Kandidatur noch keiner.

Eigentlich wollte AKK das weitere Prozedere in dieser Woche mit den drei Herren klären. Natürlich braucht es eine tragfähige Lösung für die CDU, die Wünsche des Trios sollen auch erfüllt werden, und eine Kampfkandidatur will man möglichst vermeiden.

Friede, Freude, Eierkuchen

Doch Röttgen sorgt jetzt für Wirbel, es ist unklar, ob und wie er überhaupt eingebunden werden könnte. Dass er die Hinterzimmertaktik stört, ist ihm völlig klar. Aber es sei nicht wichtig, dass "vielleicht drei Aspiranten zufrieden sind, und wir haben dann Friede, Freude, Eierkuchen", sagt er.

Vielmehr gehe es um die "christlich demokratische Idee von der Zukunft unseres Landes", und da habe er "seit dem Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer wenig gehört". Ihm missfällt auch, dass sie für die Nachfolgesuche zunächst so viel Zeit eingeplant hat. Der CDU-Vorsitz dürfe nicht so lange vakant sein, die Frage der Kanzlerkandidatur solle man dann später lösen, meint Röttgen.

In einem Punkt ist sich der 54-Jährige sicher: Angela Merkel wird, wie geplant, bis 2021 Kanzlerin bleiben. Wie denn das mit ihm als CDU-Chef funktionieren solle, will jemand von ihm wissen. Schließlich hat Röttgen ein Alleinstellungsmerkmal unter allen, die je an Merkels Kabinettstisch saßen: Er ist der einzige Minister, den sie hinauswarf.

ORF

Landtagswahl verloren

2012 war das. Röttgen hatte die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gegen Hannelore Kraft (SPD) verloren, nachdem er die Wahl zu Merkels Missfallen zu einer Abstimmung über ihre Euro-Rettungspolitik hatte machen wollen. Danach weigerte er sich als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu gehen, er wolle nur Regierungschef sein. Merkel legte ihm daraufhin den Rücktritt als Bundesumweltminister nahe, Röttgen lehnte ab und flog aus der Regierung.

Er habe aber aus seinen Fehlern gelernt, sagt er. Bezüglich einer möglichen Zusammenarbeit mit Merkel sieht er kein Problem. Beide hätten eine "gemeinsame Definition von Pflicht". Nach seinem Rauswurf behielt Röttgen sein Bundestagsmandat und machte sich als außenpolitischer Experte der Unionsfraktion einen Namen.

Röttgen gilt – wie Merz – als Merkel-Kritiker, wird aber nicht dem konservativen Lager zugerechnet. Als CDU-Chef würde er für eine klare Abgrenzung zur Linkspartei und zur AfD sowie für einen besseren Dialog zwischen Ost- und Westdeutschen sorgen. Er fordert außerdem mehr Klimaschutz, auch um die jungen Wählerinnen und Wähler nicht zu verlieren.

Norbert Röttgen entwickelte sich vom Hoffnungsträger zur Persona non grata.
Foto: APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Überraschung in Thüringen

Auch in Thüringen gibt es eine überraschende Wende. Bodo Ramelow (Linke) will sich nun nicht mehr vom Landtag zum Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung wählen lassen, sondern schlägt als Regierungschefin für den Übergang die CDU-Politikerin Christine Lieberknecht vor. Die 61-Jährige war vor seiner Zeit, von 2009 von 2014, Ministerpräsidentin von Thüringen und soll für ungefähr 70 Tage eine "technische Regierung" mit nur drei Ministern bilden, um Neuwahlen vorzubereiten.

Zunächst hatte sich Ramelow erneut zur Wahl im Landtag stellen wollen, aber die CDU signalisierte keine Unterstützung. Nun bietet der Linken-Politiker die umgekehrte Variante an, um Thüringen handlungsfähig zu machen.

Ramelows Vorschlag weise "in die richtige Richtung", sagt die CDU. Sie will aber, dass Lieberknecht mit einer voll arbeitsfähigen Übergangsregierung betraut wird. Darin sollen Experten sitzen, die von Linken, CDU, Grünen, FDP und SPD gemeinsam berufen werden. Deren Aufgabe wäre zunächst einen Haushalt für 2021 zu erstellen und dann Neuwahlen zu organisieren. (Birgit Baumann aus Berlin, 18.2.2020)