Alles ist anders. Auf den Tischen stehen keine Fässchen mit Kölsch, sondern Prosecco, Spritzer und Faschingsbier in Flaschen. Die rund 800 Besucher tragen keine schlecht gemachten Polizeiuniformen oder billige Clownskostüme, sondern Anzug, Tracht oder Kleid. Doch als die Musik im Villacher Kongresscenter für den Einzug ertönt, die Garde in ihren schwarz-goldenen Kostümen und mit breitem Grinsen vornweg tanzt und den Weg für das in Rot und Weiß gehaltene Prinzenpaar bahnt, habe ich als Kölner trotzdem Gänsehaut.

Das mag schwer vorstellbar sein für Menschen, denen der Fasching nichts bedeutet. Also für jeden, der nicht mit den Traditionen der fünften Jahreszeit aufgewachsen ist, die Sitzungen nicht schon als Kind im Fernsehen verfolgt hat und nicht weiß, wie viele verschiedene Kostüme man besitzen kann oder sollte.

Ein Bild vor der Fotowand ist genauso ein Muss wie das passende Bier.
Foto: Alexander Wrussnig

"Ich komm us dä Stadt met K." Wir Kölner sehen uns als Hochburg des deutschen Karnevals, ja, so heißt er, tut mir leid. Erzähle ich auf der Sitzung in Villach Gästen, woher ich komme, funkeln deren Augen. Der ansonsten so zurückhaltende Kärntner blüht plötzlich auf und stellt Fragen am laufenden Band. Man kennt Köln, man bewundert Köln.

Die beiden Traditionen eins zu eins miteinander zu vergleichen wäre unfair. Das sagen mir auch die Gäste. "Ich will den Villacher Fasching natürlich nicht kleinreden, aber ihr Kölner seid ja eine andere Hausnummer", sagt ein Polizist, sogar ohne Uniform, der die Veranstaltung überschaut.

Rund 250 Mitglieder hat die Villacher Faschingsgilde, die den Abend veranstaltet. Die Vorbereitungen laufen bereits seit dem 19. Dezember. Die Bühne, die Technik, die Dekoration – alles macht der Verein selbst.

Der Villacher Fasching ist ein ehrenamtliches Konzept. Niemand bekommt Geld für das, was er hier tut. Nicht Sonja Glanznig, die bei allen Sitzungen vorn am Empfang sitzt und die Karten austeilt. Nicht Christa Thomasser, die seit nunmehr 30 Jahren das Prinzenpaar betreut. Nicht Eva Mion, die sowohl die Hofnärrin spielt als auch die Moderation übernimmt und zwischendurch, Chart-Hits singend, im silbernen Kleid auf der Bühne steht. Alle Einnahmen durch die Sitzungen werden reinvestiert, beispielsweise in den großen Umzug, der, für Kärnten untypisch, nicht am Faschingsdienstag, sondern bereits am Faschingssamstag stattfindet.

Ein gelangweilter Prinz

Das merkt man, wenn man perfekt durchgetaktete Sitzungen aus Köln oder Umgebung gewohnt ist. Das mag man merken, wenn man einmal im Jahr den Fernseher einschaltet und eine Sitzung im ORF ansieht. Die Bewegungsabläufe der Garde sind nicht immer synchron, hier und da vergisst ein Künstler auf der Bühne den Text, mal wird aus "Heinz-Chrissi" der "Karl-Heinz", bis es fünf Sekunden später auffällt, der ganze Saal lacht und ein lautes Lei-lei brüllt.

Dafür ist dieser ganze Abend echt. Während oben die Sitzung läuft, probt unten vor der Garderobe die nächste Tanztruppe ihren bevorstehenden Auftritt. Ein junges Pärchen macht vor dem großen Spiegel im Foyer Selfies, wer weiß, wann man wieder so schick zusammenkommt. Die ehemaligen Prinzen tragen stolz ihre Narrenkappen, auf denen in römischen Ziffern die Nummer ihrer Regentschaft steht, zur Schau. Der aktuelle Prinz sitzt zeitweise gelangweilt oben auf der Bühne. Kein Wunder, der sieht dasselbe Programm ja auch rund 15-mal in der Faschingszeit.

Prinz Fidelius LXV., im echten Leben Roland Augustin, dirigiert seine Garde nach dem lautstarken Einzug in das Villacher Kongresscenter.
Foto: Villacher Faschingsgilde

Auch das ist authentisch. Die Hofnarren reimen zur Begrüßung, die "Jungs zwa-zwanzig" singen Kärntner Lieder in vier Stimmen, und "Männerabend" bietet Sketch-Comedy mit Villacher Schmäh. Das ist alles keine hohe Kultur und könnte oft mit dem Satz "Okay, Boomer" abgetan werden. Das ist den Villachern aber egal. Sie wissen, wie man im Rest des Landes und besonders in Wien über sie spricht. So bekommt die Hauptstadt mit ihrem Kulturangebot ihr Fett weg, der ewige Rivale Klagenfurt wird sportlich angegriffen: Kurz, Strache, Kickl, Handke, Greta, Trump, die Queen, Boris Johnson: Sie alle werden nach und nach in einen Schmäh verwandelt. Der Saal liebt es. Immer wieder müssen die Künstler ihre Nummer unterbrechen, weil das Gelächter zu lange andauert und sie selbst nicht mehr an sich halten können. Im Kongresscenter herrscht eine Stimmung, die im Fernsehen kaum rüberkommt.

Eine Jahreszeit mehr

Das Niveau des Humors, und das gilt sowohl für den Villacher Fasching als auch für den Kölner Karneval, ist kein hohes. Das muss es auch nicht sein. Fasching und Karneval sind Ausbrüche aus dem Alltag. Nicht umsonst wird die "narrische Zeit" als zusätzliche Jahreszeit benannt, eine, die nichts mit dem Hamsterrad zu tun hat, in dem die anderen vier stecken. So eine Sitzung bedeutet, vier Stunden lang den Kopf auszuschalten, Spaß zu haben, zu trinken und sich über Einzeiler zu amüsieren, die die Probleme eines Villachers oder Kölners eben ansprechen.

Während sich die Sitzung durch den Abend schiebt und ein Comedy-Akt nach dem anderen kommt, denke ich an zu Hause und spüre, dass mir etwas fehlt. Es ist nicht das ikonische "Alaaf", das bei uns gebrüllt wird. Es ist nicht der Elferrat, der bei uns hinten auf der Bühne sitzt und die Sitzung leitet. Es ist nicht der Tusch, der bei uns bei jedem geglückten Witz gespielt wird. Es ist die Musik.

1. FC Köln

En Levvensaat

Hinter dem Kölner Karneval steht eine Menge Geld. In der Session 2017/18 lag die Wirtschaftskraft bei rund 600 Millionen Euro. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft schätzte gegenüber der Deutschen Welle 2019 den Umsatz, den der Karneval in Köln und Düsseldorf bringt, auf rund eine Milliarde Euro. Kein Wunder also, dass sich etliche Bands etabliert haben, deren Hauptjob es ist, Karnevalslieder zu komponieren. Für Sitzungen in und um Köln gibt es kaum etwas Wichtigeres.

Die Lieder, die von Karneval und Köln handeln, sind ein essenzieller Teil der Identifikation. Wenn Kölsche Jung von den Brings gespielt wird, kann jeder den Text mitsingen. Wenn Viva Colonia von den Höhnern kommt, wissen auch die meisten "Jecken" außerhalb Kölns, wie die Strophen lauten. Wenn die Hymne des 1. FC Köln ertönt, liegen einander Menschen in den Armen, die ansonsten nichts als Abscheu für den Fußballverein der Domstadt verspüren. Der Kölner hört diese Musik, wenn er glücklich, wenn er traurig, wenn er zu Hause ist und wenn er Heimweh hat.

Karneval ist in Köln ein Lebensgefühl, nichts, was an eine Session, also an eine Faschings- und Karnevalsperiode, oder Sitzung gebunden ist. Wenn Miljö singen: "Doch et es nit nor en Sproch, et es nit nor Zohus, en Levvensaat, die stirv su schnell nit us", dann stimmt das. Es ist eine Lebensart, die nicht so schnell ausstirbt.

ELECTROLA - Universal Music

In Villach beginnt die Session nicht am 11. 11., sondern am Samstag danach. "Wenn der 11. 11. auf einen Mittwoch fällt, dann kommt keiner, weil alle arbeiten", erzählt mir Alexander Wrussnig, der vor drei Jahren Prinz war. In Köln beginnt die Session am 11. 11. um 11.11 Uhr. Wer arbeiten muss, hat Pech gehabt oder zu spät Urlaub eingereicht. Der Großteil der Stadt ist auf der Straße. Genauso in der Spanne von Wieverfasteloovend (Weiberfastnacht) bis Rosenmontag. Wenn Sie das hier lesen, bin ich schon seit Mittwoch in der Heimat und feiere.

Kasalla

Ein Abend wie zu Hause

In den vergangenen zwei Jahren habe ich das Spektakel zu Hause verpasst. Umso ergriffener bin ich, als ich spüre, ein Stück Köln in Österreich, in Villach, entdeckt zu haben. Das mag pathetisch klingen, und das ist es auch. Der Villacher Fasching ist für mich so, als würde ich das Leibgericht, das mir die Oma früher gekocht hat, in einem Restaurant essen. Es ist nicht dasselbe, aber es stillt eine Zeitlang die Sehnsucht. Es macht das Herz erst schwer vor Melancholie, dann leicht vor Euphorie.

Und genau wie zu Hause endet der Abend damit, dass mir jemand angesoffen in einem Dialekt, den ich nur schwer verstehe, lauter ins Ohr redet, als er eigentlich muss. Die Sitzung ist mittlerweile vorbei. Im großen Saal hat der Verein die Bühne zu einer Tanzfläche umfunktioniert, in der Bar neben dem Foyer läuft die Disco. Einige Gäste haben sich die gelben Faschingsschals im Souvenirshop gekauft, oder sie tragen einfach nur Luftschlangen um den Hals.

Die Gänsehaut, die ich beim Einzug des Prinzenpaars gespürt habe, kommt erst wieder, als ich in meinem Bett liege und zum Ausklang des Abends Kölner Karnevalsmusik höre. Alaaf, lei-lei, egal. Danke. (Thorben Pollerhof, 22.2.2020)

Kasalla