Es besteht kein Zweifel, was mit Julian Assange gemacht wird, ist psychologische Folter und höchstwahrscheinlich ein gewaltiger Justizskandal, in den einige Staaten (Schweden, Großbritannien, die USA und Ecuador) verwickelt sind.

Aus diesem Grund sind die Appelle, Assange aus britischer Isolations- und Auslieferungshaft freizulassen, die angesehene internationale Persönlichkeiten veröffentlicht haben, absolut berechtigt.

Gleichzeitig muss aber unmissverständlich festgehalten werden, was Assange nicht ist: Er ist kein unparteiischer, unbestechlicher Wahrheitssucher, kein Held des internationalen investigativen Journalismus, kein Kämpfer gegen antidemokratische, korrupte Regime. Es geht ihm nicht darum, "das System" zu reformieren, sondern darum, das System zu sprengen. Sein Mittel war/ist das Hacken aller Geheimnisse. Sein Motto, veröffentlicht in einem Wikileaks-Manifest, lautet: "Leaking ist eine inhärent antiautoritäre Tat. Es ist eine anarchistische Tat."

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Wikileaks-Gründer Julian Assange
Foto: REUTERS/Henry Nicholls

Assange hat zahlreiche Schriften veröffentlicht, aus denen der Geist eines Eiferers, eines Zeloten spricht, der einfach eine Cyber-Bombe ins System werfen will. Er will "Segensworte sprechen (...) für die Bergleute der Wirklichkeit, die jedes vermoderte Gebäude zerschmettern, zerschmettern, zerschmettern, bis alles in Ruinen liegt, für die Saat des Neuen."

Über seine Plattform Wikileaks hat Assange so unterschiedliche Dinge geleakt wie die geheimen Handbücher der Scientology-Sekte, die Korruption afrikanischer Potentaten, die Berichte der US-Gegenspionage und, am berühmtesten und wirkungsvollsten, ein Video über eine kriegsverbrecherische Aktion von US-Eliteeinheiten im Irak sowie die "Clinton-Mails" im US-Wahlkampf 2016.

Die Mails haben zweifellos zu Hillary Clintons Niederlage gegen Donald Trump beigetragen, weil sie dadurch als verantwortungslose Person erschien. Aber für Assange war Clinton eine "undemokratische Kriegshetzerin", "eine Wahl für einen endlosen, sinnlosen Krieg". Dass Trump eine Wahl eines psychisch instabilen Möchtegernautokraten bedeutete, scheint er nicht bedacht zu haben. Dass die Clinton-Mails von Leuten gehackt wurden, die zum russischen militärischen Geheimdienst gehören, war ihm gleichgültig.

2012 trat Assange mehrfach in der Showserie "The World Tomorrow" des russischen staatlichen Propagandasenders Russia Today auf.

Trump erklärte im Wahlkampf 2016, dass er Wikileaks liebe, aber wenn Assange jetzt in die USA ausgeliefert wird, drohen ihm 175 Jahre Gefängnis. Die Trump-Administration weiß sehr wohl, dass sich die disruptive Energie von Assange/Wikileaks gegen alles und jeden richten kann.

Der "New Yorker" schrieb in einem großen Porträt, dass das, was Assange am meisten hasst – Macht ohne Verantwortung –, genauso für seine Schöpfung Wikileaks gilt. Das ist auch der Grund, warum der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, danebenliegt, wenn er Assange als überragendes Symbol für die Pressefreiheit betrachtet.

Für Assange müssen die Menschen- und Bürgerrechte gelten. Als Märtyrerfigur der Informationsfreiheit taugt er nicht. (Hans Rauscher, 19.2.2020)