London – Einen knappen Monat nach dem Austritt aus der EU plant Großbritannien die größte Einwanderungsreform seit Jahrzehnten. Dabei will die Regierung ein punktebasiertes System für ausländische Arbeitskräfte einführen und die Zuwanderung damit deutlich begrenzen. Um künftig ein Arbeitsvisum zu erhalten, müssen Kandidaten besondere Kompetenzen nachweisen, gut Englisch sprechen und ein Jobangebot vorweisen können, geht aus Vorschlägen hervor, die am Mittwoch vorgestellt werden sollen.
Das neue Einwanderungssystem werde die Zahl der Zuwanderer senken, erklärte Innenministerin Priti Patel am Dienstagabend. "Wir beenden die Freizügigkeit, holen uns die Kontrolle über unsere Grenzen zurück und kümmern uns um die Prioritäten der Menschen." Sie sprach von einem "historischen Moment". Dadurch soll sich die Zuwanderung von derzeit etwa 200.000 Personen pro Jahr verringern, aber weiter über 100.000 liegen.
Übergangsphase bis Jahresende
Großbritannien war am 31. Jänner nach 47 Jahren offiziell aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt eine Übergangsphase, in der es noch im Binnenmarkt und der Zollunion verbleibt.
Am 1. Jänner 2021 sollen dann laut den britischen Plänen die neuen Einwanderungsregeln in Kraft treten. Das neue System sieht vor, dass Kandidaten eine bestimmte Zahl von Punkten erhalten für ihre Kompetenzen, ihre Qualifikationen und ihr Gehalt.
Mindestens 70 Punkte
Das neue System gewährt maximal 20 Punkte, wenn das Einkommen bei mindestens 25.600 Pfund (30.800 Euro) pro Jahr liegt. Jeweils 20 weitere Punkte werden vergeben, wenn "passende Kompetenzen" nachgewiesen oder die Englischkenntnisse auf dem "geforderten Maß" liegen. Fachkräfte in Mangelberufen können zusätzliche Punkte bekommen. Insgesamt müssen Anwärter mindestens 70 Punkte sammeln.
"Die Visa werden nur an diejenigen vergeben, die genügend Punkte bekommen", teilte die Regierung mit. Damit werde den "besten Talenten" wie "Wissenschaftern, Ingenieuren und Akademikern" der Vorrang gegeben. Es gilt als sicher, dass das Parlament das neue Einwanderungssystem unterstützt, da die Tories von Regierungschef Boris Johnson dort die Mehrheit haben.
Kritik der Opposition
Die Opposition kritisierte die Pläne scharf. Die Labour Party verwies darauf, dass einige Branchen auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen seien. Die Regierung werde deshalb zu zahlreichen Ausnahmeregelungen gezwungen sein. Das mache das Einwanderungssystem "bedeutungslos", erklärte die innenpolitische Labour-Sprecherin Diane Abbott.
Die Liberaldemokraten erklärten, die Pläne der Regierung basierten auf "Fremdenfeindlichkeit, nicht auf den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen unseres Landes". Dass die Neuregelung bereits in zehn Monaten in Kraft treten soll, werde für "Chaos und Verwirrung" sorgen, erklärte Christine Jardine. Die Zeit sei für Unternehmen zu knapp, um sich darauf vorzubereiten. (APA, red, 19.2.2020)