Das Thema Missbrauch im Sport ist für Nicola Werdenigg "noch nicht erledigt".

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Wien – Hasspostings bekommt Nicola Werdenigg noch immer: "Sobald etwas von mir in Medien auftaucht, kommt es zu abstrusen Postings." Vor rund zwei Jahren brachte die ehemalige Skirennläuferin eine große Diskussion über sexuellen Missbrauch im Skisport in Gang. Mit den Postings geht sie bis heute "locker" um: "Über den Großteil dieser Postings konnte ich schmunzeln. Ich coachte mich selbst und fragte mich, welche Menschen so schreiben, und bekam ein Verständnis davon, dass es vorwiegend welche sein müssen, denen es selbst nicht gut geht."

Im Presseclub Concordia ging es Dienstagabend auf Einladung des Presserats um Ethik im Sportjournalismus. Werdenigg war zu Gast, ebenso der freie Journalist und Autor Johann Skocek.

"Sport ist ein hochkapitalisiertes Produkt"

"Im Unterschied zu anderen Ländern ist die Berichterstattung im österreichischen Sportjournalismus sehr systemfreundlich und machtnahe", sagte Skocek. #MeToo im Sport zeige bis heute "eine typische Verhaltensweise des Journalismus in Österreich. Das grundsätzliche Problem wird nicht wahrgenommen, das Gewaltmonopol nicht hinterfragt. Wenn wir über Sport reden, reden wir über ein hochkapitalisiertes Produkt, das in den verschiedensten Kanälen vermarktet, verkauft, verbogen und versteckt wird."

Den "Showsport" in Österreich könne man nicht losgelöst sehen "vom politisch-wirtschaftlich-medialen System, mit dem er verquickt ist. ORF und 'Kronen Zeitung' haben kommerzielle Verbindungen mit dem Skiverband." Die kommerzielle Nähe von journalistischen Outlets zu Sportlern und Sportorganisationen sei ein weiteres Grundproblem: "Wenn Journalisten immer wieder mit den Mannschaften unterwegs sind, ist es schwierig, Distanz zu wahren. Journalisten tun sich dann schwer zu thematisieren und zu recherchieren." Er persönlich habe das Thema Missbrauch im Sport lange Zeit "schwer unterschätzt", sagte Skocek. Werdeniggs Geschichte im STANDARD sei "eine journalistische Großtat" gewesen.

Als Nestbeschmutzerin beschimpft

Die Reaktionen anderer Medien eher nicht: Werdenigg wurde vielerorts als Nestbeschmutzerin beschimpft. Toni Sailers Verletzung einer polnischen Prostituierten 1974 in Zakopane sei jahrzehntelang von Medien totgeschwiegen worden. DER STANDARD, "Dossier" und Ö1 berichteten.

"Sport wird verwendet, um ein Bild des österreichischen Zusammenhalts abzugeben, das gewissen Machtinteressen massiv dient", sagte Skocek. Der Journalist zog als Beispiel das Tabuthema Doping heran: "Wenn wir hier über Tugenden reden, dann müsste man sich fragen: Warum wird im Sport so oft Gewalt gegen Abhängige angewendet, warum wird so oft betrogen, hintergangen? Ist das systemimmanent, oder sind das Systemfehler?"

Kriselndem Wintertourismus wieder auf die Beine helfen

Die Verquickung zwischen Sport, Wirtschaft, ORF und "Krone" sieht Skocek bis in die Politik reichen: Es sei ein "absurdes Detail, wie sich der ÖSV für die verpflichtende Wiedereinführung des Schulskikurses einsetzt. Kinder werden verwendet, um dem kriselnden Wintertourismus wieder auf die Beine zu helfen. Das Bildungsministerium verbrämt das mit pseudopädagogischen Argumenten."

Das Reich des Peter Schröcksnadel profitiere davon. Der ÖSV-Chef habe "eine Corona von Firmen gegründet, die an diesem Ski-Wintertourismus-ÖSV-Geschäft partizipieren", sagte Skocek und führte ein Beispiel an. Am 28. Februar gebe es das Weltcupwochenende in Hinterstoder. Schröcksnadel sei dort "Mehrheitseigentümer an den Liften, die massiv vom Land Oberösterreich gefördert werden. Er ist Besitzer eines Hotels, in dem die Skifahrer nächtigen, seine Firma Feratel hat eine Onlineplattform, mit deren Hilfe Sie Hotelreservierungen machen können. Seine Firma vermarktet im Dorf die Bergkameras." Nirgends auf der Welt gebe es Vergleichbares.

Thema Missbrauch im Sport noch nicht erledigt

"Ich fürchte weder Tod noch Teufel noch den ÖSV", sagte Werdenigg. Das Thema Missbrauch im Sport sei "noch nicht erledigt. Das Positive an #Metoo ist, dass man jetzt darüber sprechen kann", sagt Werdenigg. Ihre eigene Vergewaltigung mit 16 hat die 61-Jährige in Therapien aufgearbeitet: "Als ich damit an die Öffentlichkeit ging, war da keine Rache, keine Wut." Manche andere habe das Outing aber so berührt, "dass sie wirklich Hilfe gebraucht haben", sagt Werdenigg. Bis zum heutigen Tag haben sich mehr als 120 Frauen gemeldet.

Gemeinsam mit der diplomierten Trainerin Chris Karl gründete sie die Organisation #WeTogether zur Prävention von Machtmissbrauch im Sport. Als Anlaufstelle für Betroffene gehe es "ganz stark darum, aufzuklären. Wir wollen Betroffenen sagen, wo sie sich hinwenden können. Der nächste Schritt wäre eine ausgelagerte Clearingstelle, "die nicht von einem Sportverband betrieben wird und möglicherweise im Justizministerium besser angesiedelt wäre als im Sportministerium." (Doris Priesching, 19.2.2020)