Im Feld von Life-Coaching und Spiritualität richten sich auffallend viele Angebote gezielt an Frauen.

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"Glaube daran, dass alles möglich ist, denn das ist es! Warte nicht darauf, dass jemand deine Träume für dich erschafft, das ist dein Job!" Fünf Minuten dauert die Brandrede von Laura Malina Seiler. Die Podcasterin nennt sie "Power-Talk für dein Higher Self", mehrfach wiederholt sie: Veränderung, sie ist bloß eine Frage der Einstellung. Laura Malina Seiler betreibt nicht nur einen Podcast ("Happy, holy & confident"), der laut eigenen Angaben bereits 15 Millionen Mal heruntergeladen wurde, die 33-Jährige ist Bestsellerautorin und füllt bei Vorträgen ganze Hallen. Als Life-Coach hat sie ein höchst erfolgreiches Sinnsuche-Unternehmen aufgebaut, Seiler verkauft Onlinekurse, in denen NutzerInnen zum Preis von 249 Euro eine "übergreifende Lebensvision erschaffen". Auch wenn sie von tiefem Sinn und höherem Selbst spricht – Seiler verzichtet auf die Kritik sozialer Ungleichheit ebenso wie auf religiöse Inhalte.

Mittelschichts-Sinnsuche

Moderne – westliche – Spiritualität, die sich religiöser Lehren entledigt hat, liegt im Trend. Coaches wie Laura Malina Seiler versprechen ihren KundInnen Unterstützung bei der individuellen "spirituellen Weiterentwicklung" und setzen dabei meist auf traditionelle Praktiken wie Meditation. "Moderne Spiritualität nimmt der Religion die Zumutung. Man glaubt nicht mehr einer kirchlichen Autorität, sondern sucht die Autorität in sich selbst", sagt die Soziologin Stefanie Duttweiler im STANDARD-Gespräch. Wer sich auf Sinnsuche begibt, kann heute aus einem schier endlosen Angebot an Selbsterfahrungstechniken wählen. Spirituelles Coaching via Skype, Waldbaden, innere Einkehr mit Vollpension im nahegelegenen Kloster.

Der Wunsch nach Entschleunigung in einer flexibilisierten Wettbewerbsgesellschaft führt indes nicht selten in ein Hamsterrad der Selbstoptimierung. Meditations-Apps bieten die Möglichkeit, möglichst effizient zu entspannen, Yoga-Retreats und Achtsamkeitsübungen seien längst eingebettet in ein kapitalistisches Verwertungsinteresse, sagt Stefanie Duttweiler: "Wer entspannter ist, wer genau weiß, was sie kann und will, kann das eigene Potenzial auch produktiver verwerten."

Besonders eindrücklich lässt sich das am gesellschaftlichen Megatrend Achtsamkeit beobachten. Als der US-amerikanische Mikrobiologe Jon Kabat-Zinn in den späten 70er-Jahren das Programm "Mindfulness-Based Stress Reduction" entwickelte, zielte er vorrangig darauf ab, mit Elementen wie Zen-Meditation den Stress oder Schmerzzustände von PatientInnen zu reduzieren. Seine Ideen fanden großen Anklang im Silicon Valley, wo Unternehmer ihren MitarbeiterInnen achtsames Atmen und Schweige-Lunches verordneten. Angebote wie Achtsamkeitstrainings für Führungskräfte, die Empathie und Resilienz fördern sollen, sind längst auch im deutschsprachigen Raum angekommen. "McMindfulness" nennt das Autor Ronald E. Purser, der in seinem gleichnamigen Buch Achtsamkeit als neue kapitalistische Spiritualität kritisiert. Der Fokus auf das eigene Erleben verfestige eine neoliberale Ideologie, in der jeder seines Glückes Schmied sei, argumentiert der Autor.

Emanzipiert statt optimiert

Auch Bettina Zehetner sieht den Trend in Richtung Selbstoptimierung äußerst kritisch. Die Philosophin bietet in der Wiener Stelle "Frauen* beraten Frauen*" emanzipatorische Beratung an, die feministischen Leitlinien folgt. "Eine solche Form der Selbstoptimierung ist völlig unpolitisch, man richtet den Blick nur auf die eigene Leistungsfähigkeit und blendet dabei gesellschaftliche Machtverhältnisse aus", sagt Zehetner. Diese gesellschaftlichen Bedingungen und auch die geschlechtsspezifische Sozialisation würden emanzipatorische Beratung hingegen stets mit der individuellen Lebensgeschichte der Klientinnen verknüpfen. Dass Frauen sehr schnell dazu bereit sind, sich selbst infrage zu stellen, kennt Zehetner aus der Beratungspraxis. "Bin ich normal?", diese Frage werde immer wieder an sie herangetragen.

Die in Coaching-Angeboten propagierte Suche nach dem "wahren Selbst" stuft die Philosophin dabei als völlig überfordernd ein. "Es geht vielmehr darum, mit den Herausforderungen im Leben umzugehen und Widersprüche, Konflikte und Zweifel auszuhalten." Im Gegensatz zu Coaching, das oft mit klaren Botschaften und vermeintlich einfachen Lösungen werbe, könne emanzipatorische Beratung dementsprechend anstrengend und langwierig sein. "Aber sie wirkt nachhaltig", sagt Zehetner.

Weiblicher Auftrag

Im Feld von Life-Coaching und Spiritualität richten sich auffallend viele Angebote gezielt an Frauen. Frauen sollen ihre "weibliche Kraft" entdecken und emotionale Blockaden lösen, selbst auf feministische Konzepte wird in der Bewerbung kostspieliger "Sisterhood"-Seminare gerne zurückgegriffen.

Auch eine 2016 veröffentlichte Analyse des – schwer überschaubaren – Coaching-Markts zeigt eine deutliche Geschlechterdifferenz. So sind im globalen Durchschnitt 67 Prozent der Coaches weiblich, 69 Prozent der KlientInnen von "Life, Vision and Enhancement"-Coaches sind weiblich, meldet die International Coach Federation.

Frauen sind nicht nur eher bereit, sich selbst zu hinterfragen, sie sind auch besonders gewillt, an der persönlichen Verbesserung zu arbeiten. "Frauen wurden traditionell auf das Private beschränkt", sagt dazu die Soziologin Stefanie Duttweiler. Sie seien somit auch stärker auf ihren Körper, auf Gesundheit, Schönheit und Wohlbefinden fokussiert – und weniger auf die Wirksamkeit im Außen, wo Möglichkeiten für Frauen immer noch beschränkt seien.

Goldene Mitte

Verstärkt der Fokus auf die eigene Glücksreise somit auch Vereinzelung, die wiederum politischer Organisierung im Wege steht? Selbstoptimierer hier, politische Kämpferinnen dort – mit diesem Gegensatz kann Rebecca Randak wenig anfangen. Die Yoga-Lehrerin und ehemalige PR-Beraterin betreibt gemeinsam mit Kolleginnen einen Lifestyle-Blog für Yoga und Spiritualität. Wie ein roter Faden zieht sich Yoga durch esoterische Zirkel ebenso wie feministische Sportangebote oder Wellness-Tempel – die indische Lehre hat sich zum westlichen Lifestyle entwickelt. Auf dem Blog "Fuck Lucky Go Happy" finden sich Testberichte zu Yogamatten und Räucherguides, mithilfe von Tarotkarten wird dem eigenen Schicksal auf den Grund gegangen.

Aber auch mit Body-Shaming und "Toxic Positivity" – dem zwanghaften Fokussieren auf positive Gefühle – rechnen die Blog-Autorinnen ab. "Natürlich gibt es auch spirituellen Konsum. Ein schamanisches Ritual hier, ein Woman-Circle dort, aber das hat nichts mit echter Spiritualität zu tun", sagt Randak. In ihren Kursen will die Yoga-Lehrerin zur Selbsterfahrung anleiten, die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst sei erst Grundlage dafür, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten, ist Randak überzeugt. Spiritualität kommt auch auf "Fuck Lucky Go Happy" ohne Religion aus, "Deep stuff ohne Eso-Blabla" verspricht der dazugehörige Podcast "Heiliger Bimbam". Den Umgang mit dem Tod und dem Altern besprechen die Macherinnen ebenso wie Horoskope.

Coaching-Superstar Laura Maria Seiler stellt in ihrer neuesten Podcast-Folge indes die Frage, wie mit dem Schmerz der Welt umzugehen sei. "Wenn du selber der Wandel bist, den du in der Welt sehen willst, gewinnen alle", säuselt Seiler. (Brigitte Theißl, 23.2.2020)