Olof Palme, Schwedens Premier in den Jahren 1969–1976 und 1982–1986, wurde Ende Februar vor 34 Jahren ermordet. Nun soll es endlich mehr Klarheit über seine Todesumstände geben – verspricht die Staatsanwaltschaft, die sonst aber vage bleibt.

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Stockholm/Wien – Es ist immer noch einer der bekanntesten Mordfälle der europäischen Politikgeschichte. Und trotz falscher Geständnisse von mehr als 130 vermeintlichen Mördern ist er auch fast 34 Jahre danach noch immer ungeklärt. Der Mord am sozialdemokratischen schwedischen Premier Olof Palme vom 28. Februar 1986 war Anlass unzähliger Verschwörungstheorien, für einen schwedischen Podcast mit derzeit 213 Folgen und für Polizeibefragungen von mehr als 10.000 Menschen – was in Zahlen mehr als einem Prozent der Bevölkerung Stockholms entspricht. Alles bisher ohne greifbares Resultat.

Nun soll es aber womöglich doch noch eine Auflösung geben. Das zumindest hat der zuständige Staatsanwalt und Chefermittler Krister Pettersson am Dienstagabend im schwedischen Staats-TV SVT gesagt. Damit sorgte er für einige Überraschung – auch wenn er sich nicht darauf einlassen wollte, eine Verhaftung zu versprechen. "Ich bin optimistisch, dass wir sagen können, was mit dem Mord passiert ist und wer verantwortlich ist", sagte er wörtlich.

Doch obwohl 2010 extra wegen der nicht abgeschlossenen Ermittlungen um Palme das Gesetz geändert wurde, wonach Mordfälle nach 25 Jahren verjährten – mit einem positiven Abschluss der Ermittlungen hatte eigentlich kaum jemand mehr gerechnet. Zu oft schon waren die Ermittlungen zu einem scheinbaren Ergebnis gekommen, das sich anschließend als falsch erwies. Dabei lassen die nackten Daten zum Mord eigentlich keine allzu schwierigen Nachforschungen erwarten: Mehr als 20 Menschen waren anwesend, als Palme gemeinsam mit seiner Frau von einem gemeinsamen Besuch der Komödie "Die Brüder Mozart" im Stockholmer Grand Cinema in Richtung seiner Wohnung spazierte und um 23.21 Uhr aus nächster Nähe von hinten erschossen wurde. Der Täter floh zu Fuß, ward nicht mehr gesehen – und dann begann eine ganze Serie von Polizeipannen.

Ermittlungen liefen nicht gut

Von Beginn an waren die Behörden mit dem Mord an jenem Mann, dessen Programme noch immer das moderne Schweden und seinen Sozialstaat prägen, überfordert: Die Sicherung des Tatortes stockte, Trauernde legten Blumen nieder, Zeugen wurden teils erst nach Tagen befragt – und eine der zwei abgefeuerten Revolverprojektile erst nach mehreren Tagen von einem Passanten gefunden. Die Tatwaffe fehlt bis heute. Dann verrannte sich Polizeichef Hans Holmér in eine eher irrwitzige Theorie: PKK-Sympathisanten sollten den sozialdemokratischen Premier getötet haben, weil er die stalinistisch-kurdische Partei verbieten hatte lassen. Eine von Holmér angeordnete Serie von Hausdurchsuchungen gegen – wie sich herausstellte – zahlreiche wohl unschuldige Kurden im Herbst 1986 brachte kein Ergebnis. Holmér wurde entlassen, verfolgte die Spur erfolglos privat weiter und wurde 1988 verhaftet, als er – offenbar mit Wissen der sozialdemokratischen Justizministerin Anna-Greta Leijon – illegales Abhörequipment nach Schweden schmuggeln wollte.

Ebenso letztlich erfolglos verlief ein weiterer Ermittlungsstrang: 1988 wurde ein Mann namens Christer Pettersson verhaftet, der trotz annähernder Namensgleichheit nicht mit Staatsanwalt Krister Pettersson zu verwechseln ist. Das Aussehen des Drogen- und Alkoholsüchtigen entsprach zwar nicht einem Phantombild, das Zeugen produziert hatten, und auch ein naheliegendes Motiv fehlte ihm. Er war aber von mehreren Menschen in der Nähe des Kinos gesehen worden und galt unter anderem deshalb als verdächtig, weil er schon einmal wegen Totschlags verurteilt worden war.

Palmes beim Mord anwesende Witwe Lisbet identifizierte ihn bei einer Gegenüberstellung, gab aber später zu Protokoll, sie habe ihn vor allem deshalb ausgewählt, weil sein Aussehen ihn als Alkoholiker verriet. Petersson, der Verdächtige, wurde dennoch 1988 wegen des Mordes verurteilt – und Monate später nach einer Berufungsverhandlung wieder freigesprochen. Dass Pettersson, der Staatsanwalt, nun wieder ihn im Blick hat, ist eher unwahrscheinlich. Zwar passt dazu die Andeutung, es werde womöglich keine Verhaftung geben, zu Petterssons Tod 2004 an einer Hirnblutung – nicht hingegen erklärte das das geplante Abwarten bis zum Sommer.

Viele Verdächtige

Wer tatsächlich nun im Fokus der Ermittlungen steht, bleibt unsicher. Über die Jahre hatten sich so viele Verdächtige gefunden, dass sogar Palmes Sohn Joakim jüngst dem "Guardian" sagte, er könne sich "eine ganze Reihe von glaubhaften Szenarios" dazu vorstellen, wer seinen Vater habe umbringen wollen. Genannt werden immer wieder politische Gegner aus dem Inland – etwa der konservative sogenannte "Skandia-Mann" Stig E., der sich in der Nähe aufgehalten und verdächtig verhalten hatte, und Rechtsradikale in der schwedischen Polizei – ebenso wie solche aus dem Ausland: Der indische und der jugoslawische Geheimdienst wegen Waffendeals und Palmes angebliche Dissidentenfreundlichkeit, die CIA und die rechtsradikale italienische Freimaurerloge P2 gelten ebenso als verdächtig.

Möglich, aber doch sehr unwahrscheinlich scheint auch eine simple Verwechslung Palmes mit einer anderen Person. Und dann gibt es noch die Theorie des 2004 an einem Herzinfarkt verstorbenen Autors Stieg Larsson, der jahrelang in der Sache ermittelt hatte. Sie wurde 2018 von Autor Jan Stocklassa unter dem Titel "Stieg Larssons Erbe" veröffentlicht und geht so: Der südafrikanische Geheimdienst habe Apartheid-Gegner Palme töten wollen und dazu schwedische Rechtsradikale angeheuert.

Stocklassa jedenfalls hat mehrfach seine Vermutung zu Protokoll gegeben, dass von der Polizei in diese Richtung ermittelt werde. Sein als Killer Hauptverdächtiger, ein schwedischer Rechtsradikaler, hat den Verdacht allerdings mehrfach zurückgewiesen. Und: Er ist noch am Leben. Dazu also würde die vage Andeutung von Staatsanwalt Petersson nicht passen, wonach es zwar womöglich eine Auflösung, aber keine Verhaftung geben würde. (Manuel Escher, 19.2.2020)