Peter Weibel vor seinen Werken "Selbstportrait als junger Hund" (links) und "Selbstportrait als Frau" von 1967.

Foto: Felix Gruenschloss

Ein Plakat wie für einen Hollywood-Blockbuster: Ein Mann, Anzugträger, auf dem Kopf einen Schutzhelm, rennt, prescht den Betrachtern ins Auge, hinter ihm ein Flammenmeer. Große Lettern verkünden: "Peter Weibel – Medienrebell". So warb das Belvedere Wien für die große Werkschau des Künstlers, Theoretikers und Kurators, die 2014/15 im 21er Haus stattfand.

Derzeit gibt es in Karlsruhe erneut eine umfangreiche Übersicht über Weibels künstlerische Arbeiten. Eine modifizierte Wiederholung des Wiener Auftritts vor sechs Jahren? Im Gegenteil. Hier ist alles ganz anders, wird jede Menge Material ausgebreitet, das in Wien nicht zu sehen war.

Die Ausstellung im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) lässt erkennen: Da ist einer zugange, der einiges auf Lager hat. Was auch im Titel zum Ausdruck kommt. Statt Retrospektive heißt es im ZKM "respektive Peter Weibel".

Diesmal zielt das Plakatmotiv weniger auf Action als auf Beobachtung, Ausschau, Vorausschau. In ein partiell wiedergegebenes Schwarz-Weiß-Porträt sind – jetzt in Farbe – die Augen des Mittsiebzigers montiert. Das Auge ist das Leitmotiv, das sich durch fünf Jahrzehnte kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zieht. Und das daran erinnert, dass sich die Theorie, zumindest etymologisch, vom Sehen (griech. "theaein") ableitet. Bei Weibel stehen beide – Anschauung und Theoriebildung – ohnehin in kontinuierlicher Wechselwirkung.

Das Schwarz-Weiß-Foto, das für das Ausstellungsposter verwendet wurde, ist ein Selbstbildnis von 1967. Weibel verwendete es für seine Arbeit Porträt des Dichters als junger Hund. Die Anspielung auf Dylan Thomas und dessen Erzählsammlung Portrait of the Artist as a Young Dog (die wiederum auf James Joyce anspielt) verweist auf Weibels Verbindung zur Wiener Gruppe, aber auch auf seine eigenen poetischen Versuche, die in Karlsruhe mit seinem Gedicht Exodus dokumentiert sind: "Ich bin niemand. Mein Name ist Niemand / Ich kehre wieder aus dem Meer der Masken / Und mein Mund ist schal vom Aschengeschmack des Nichts."

Beobachtende Beobachtung

Das klingt wie eine Vorwegnahme der Punk-Poeme, die Weibel später als Sänger seiner Band Hotel Morphila Orchester ins Mikro skandierte. Wobei da die von jeder Romantik befreiten Texte schon deshalb härter klingen, weil Weibel hier über die Sprache gesellschaftliche Machtverhältnisse und soziale Ungereimtheiten kenntlich macht.

Gern nutzt er das Mittel der Kombinatorik: Buchstaben oder ganze Wortteile werden umgestellt und ergeben einen neuen Sinn. Mithin stehen die Wortpaare "medien/meiden" und "fake news / new fakes" nebeneinander oder eine Leuchtreklame wechselt zwischen "Patrioten", "Idioten", "Toten".

Welche Botschaft aufblinkt, hängt von der elektronischen Schaltung ab. Die Wahrnehmung wird bedingt durch das Medium. Das ist eine der zentralen Prämissen, auf denen Weibel über alle Werkphasen hinweg aufbaut. Neben Installationen, die wie Versuchsanordnungen funktionieren (Beobachtung der Beobachtung: Unbestimmtheit, 1973), können das auch exakt ausgezirkelte Arrangements wie Europa(t)raum (1983) sein, wo Weibel eine medienanalytische Demonstration mit einem politischen Statement verknüpft:

Eine disparate Ansammlung blutverschmierter gigantischer Messerklingen wird von einer Kamera so eingefangen, dass auf einem Monitor das Bild eines vermeintlich geeinten, in Wahrheit oft genug in Kriege zerfallenden Europas erscheint. Das Moment der Gewalt nimmt im Werk des Kriegskinds Weibel einen wichtigen Platz ein – spektakulär wie in seiner Brandrede von 1968, verhalten wie in Prinzip Widerstand (1971) aus der Reihe Prinzipien der Poesie: Die Tastatur einer mechanischen Schreibmaschine ist mit Reißnägeln bestückt, das Verb "schreiben" wird in "SCHREIben" verwandelt.

Am Ende erscheint das Wort "licht": fast ein Hoffnungsschimmer inmitten nicht selten beklemmender Befunde wie dem Mahnmal Vertreibung der Vernunft (1993), das die nationalsozialistische Judenverfolgung zum Hintergrund hat, oder der irritierenden Installation Station W – Die Welt ein Krankenhaus (2019). Und Peter Weibel, der einst ein Medizinstudium begann, ist einer ihrer Ärzte. Wohl kaum als Therapeut, sicher aber als glänzender Diagnostiker und Visionär.