Das EU-Parlament (hier ein Foto des Sitzes in Brüssel) lehnt den Budgetvorschlag des Ratspräsidenten wie erwartet ab.

Foto: Kenzo TRIBOUILLARD / AFP

Brüssel – Einen Tag vor dem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zu den EU-Finanzen der nächsten sieben Jahre haben sich die Fronten verhärtet. Das Europaparlament hat am Mittwoch als Reaktion auf den Budgetvorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel mit dem Daumen nach unten gezeigt. Man lehne den Vorschlag ab "und erwartet vom Europäischen Rat, keine Schlussfolgerungen auf dieser Basis anzunehmen", teilte das Verhandlungsteam des EU-Parlaments am Mittwoch in einer Aussendung mit. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich zudem skeptisch, ob es am Donnerstag zu einer Einigung kommen werde. Es würden "sehr harte und schwierige Verhandlungen" werden.

Die Abgeordneten aus den Reihen der Europäischen Volkspartei (EVP), der Sozialdemokraten (S&D), der Liberalen (Renew), der Konservativen (EKR) und der Grünen kritisierten etwa die geplanten Einschnitte unter anderem in der Landwirtschaft, Infrastruktur, beim Erasmus-Programm, Jugendarbeitslosigkeit und Verteidigung. Das Europaparlament hatte ein Budgetvolumen von 1,3 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens gefordert und dies mit den zahlreichen neuen Aufgaben der EU etwa im Bereich von Grenzschutz und Klimapolitik begründet.

"Weit unter Erwartungen"

Michels Vorschlag – er sieht ein Gesamtvolumen von 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftskraft für das Sieben-Jahres-Budget vor – bleibe "weit unter den Erwartungen des Europäischen Parlaments und der Bürgerinnen und Bürger", kritisieren die Abgeordneten. Das Europaparlament drängt darauf, den – schon einmal viel höheren – Anteil von Eigenmitteln am EU-Budget zu erhöhen. Die Abgeordneten erwarten sich davon ein Ende der Debatte über Nettobeiträge der einzelnen Mitgliedsstaaten.

Während bei den Beratungen der 27 Mitgliedsstaaten das Erfordernis der Einstimmigkeit gilt, muss dem künftigen Budget auch das Europaparlament als einzige unmittelbar von den Bürgern bestimmte Institution der Europäischen Union zustimmen. Der Rat der Mitgliedsstaaten und das Europaparlament sind gemeinsam die Budgetbehörde der Europäischen Union.

EU-Ratspräsident will Einigung erzielen

Aus den Mitgliedsländern kamen völlig unterschiedliche Signale dazu, welche Wünsche der Vorschlag von Michel für den Haushalt der Jahre 2021 bis 2027 erfüllen soll. Michel selbst zeigte sich dennoch entschlossen, beim Sondergipfel eine Einigung zu erzielen. Andernfalls fehle die rechtliche Basis für zentrale EU-Politikfelder, und wichtige Programme könnten nicht starten. Bis eine Einigung gefunden werde und auch das EU-Parlament zustimmt, bestehe die Gefahr, 2021 und 2022 zu verlieren, sagte ein hochrangiger EU-Beamter.

Nettozahler wollen nur ein Prozent des BIP einzahlen

Merkel sagte, Deutschland habe ein Interesse an einer Einigung noch vor der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr. "Trotzdem muss die Finanzbilanz stimmen." Die Kanzlerin rechnete vor, dass wegen des Austritts Großbritanniens aus der EU selbst 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die EU-Kasse für Deutschland Mehrausgaben von zehn Milliarden Euro auf dann 38 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten würde. "Wir finden, dass unsere Belange an vielen Stellen noch nicht ausreichend berücksichtigt sind, und so sehe ich sehr harte und schwierige Verhandlungen vor uns", meinte Merkel.

Österreich verlangt ebenfalls einen Budgetbeitrag in Höhe von einem Prozent des Bruttonationaleinkommens. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat jedoch in der Vorwoche gesagt, dass der Verhandlungsspielraum zwischen einem und 1,1 Prozent liege. Ein FPÖ-Antrag, der ihn zu einem Veto gegen jegliche Steigerung des österreichischen Nettobeitrags verpflichten sollte, fand am Mittwoch im Hauptausschuss des Nationalrats keine Mehrheit.

Die Niederlande und Dänemark gehen auch mit engen Vorgaben in die Verhandlungen: Ihre Ministerpräsidenten Mark Rutte und Mette Frederiksen dürfen nach dem Willen beider Parlamente keinem Kompromiss zustimmen, der einen Beitrag von mehr als 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung vorsieht. Zudem soll Frederiksen mit einem Veto für den gesamten Haushalt drohen, wenn der dänische Rabatt von einer Milliarde Kronen (134 Millionen Euro) angetastet wird.

Paris will höhere Ausgaben für Verteidigung und Agrar

Frankreich will sich unterdessen für höhere Agrar- und Verteidigungsausgaben im europäischen Haushalt einsetzen. Der vorliegende Budgetplan sieht Kürzungen der Agrarausgaben auf 329,3 Milliarden Euro in der neuen Finanzperiode vor, die Aufwendungen für Sicherheit und Verteidigung sollen um gut 600 Prozent auf 14,3 Milliarden wachsen. Der vorgesehene Betrag für die Landwirtschaft reiche nicht, weil die Bauern erheblich zum Erreichen der europäischen Klimaziele beitragen sollen, sagte ein EU-Diplomat am Mittwoch in Brüssel. Der Kohleausstieg werde schließlich auch finanziell abgefedert.

Italiens Premierminister Giuseppe Conte richtete sich wie Merkel auf einen "komplexen und schwierigen" Gipfel ein. Conte sagte Streit auch über bestimmte Aspekte der geplanten Verteidigungsausgaben voraus. Michel sieht eine Steigerung dieser Mittel um mehr als 600 Prozent auf gut 14 Milliarden Euro vor. Frankreich ist dieser Zuwachs zu wenig – die EU brauche mehr Geld, wenn sie Synergien etwa bei der Beschaffung neuer Waffensysteme schaffen wolle.

Kurz sieht "Trick" der EU-Kommission bei Verwaltungsausgaben

In der Debatte um die Steigerung der Verwaltungsausgaben in den kommenden Jahren hat Bundeskanzler Kurz der Brüsseler Behörde indes Rechentricks vorgeworfen. Die EU-Kommission hatte die Aussagen des Kanzlers zuvor zurückgewiesen, dass es Anhebungen der Ausgaben für die Verwaltung um 20 Prozent gebe. Der Kommissionsvorschlag friere die Verwaltungsausgaben für sieben Jahre auf dem Niveau von 2020 ein und berücksichtige nur die Inflation", hieß es in einer Stellungnahme der EU-Behörde am Mittwoch.

Kurz konterte mit Verweis auf die fehlende Berücksichtigung der Inflation. "Das ist ein relativ guter Trick." Er warf der EU-Kommission vor, erst die Zahlen in den Preisen von 2018 anzuführen und nach Beschluss des Budgets wieder auf reale Preise zu wechseln – "und die schauen ganz anders aus". Der SPÖ-Abgeordnete Christoph Matznetter gab sich am Mittwoch im Hauptausschuss mit den Erklärungen des Kanzlers nicht zufrieden, er pochte darauf, dass die Inflation nicht als Ausgabensteigerung zu werten sei. (APA, red, 19.2.2020)